"Gott ist mein Komplize"
Was sind Ihre frühesten Erinnerungen ans Schreiben?
Feby Indirani: Die stammen aus meiner Grundschulzeit. Ich schrieb damals Tagebuch und verfasste Gedichte. Später als Teenager entwickelte ich eine regelrechte Liebe zum Schreiben. Mit 17 Jahren gewann ich sogar einen Schreibwettbewerb der Teenagerzeitschrift Gadis. Das Thema des Wettbewerbs war "Jetzt sprichst du". Ich schrieb etwas auf die letzte Minute und schickte meinen Essay kurz vor Einsendeschluss los. Unter den mehr als 700 Teilnehmern gewann ich den zweiten Preis. Eine schöne Erfahrung für mich als 17-jähriges Mädchen!
Das hat Sie vermutlich bestärkt, weiterzumachen.
Indirani: Ja, aber vor allem erhielt ich dadurch zwei Briefe von Mädchen in meinem Alter, die in der Provinz Aceh ganz im Nordwesten von Sumatra lebten. Die Mädchen schrieben mir, sie fühlten sich von meiner Geschichte berührt. Ich war damals ganz fasziniert, dass mein Text andere Menschen an einem fernen Ort berühren kann, die ich nie gesehen hatte. Das war mir mehr wert als jede Auszeichnung!
Wie beeinflusste die Arbeit als Journalistin Ihre literarische Arbeit?
Indirani: Ich habe etwa zehn Jahre hauptberuflich als Journalistin gearbeitet. Zum Journalismus fand ich, weil das meinem Wunsch zu schreiben am nächsten kam. Ich konnte viel darüber lernen, wie man die Wahrheit ans Licht bringt. Die Arbeit hat mich aber auch gelehrt, demütig zu sein. Beispielsweise, wenn ich erkennen musste, dass ich falsch lag, obwohl ich mir anfangs so sicher war.
Sie haben neben Ihrem Job weiter geschrieben?
Indirani: Ich habe zwei Jahre als Medienwissenschaftlerin gearbeitet, mich dann mit der in Indonesien verfolgten Ahmadiyya beschäftigt und einen Artikel darüber verfasst. Dank der flexiblen Arbeitsbedingungen hatte ich Zeit, mich anderen Dingen intensiver zu widmen und meine eigenen Geschichten zu schreiben. 2005 verfasste ich meinen ersten Roman "Simfoni Bulan" (dt. Bulans Symphonie).
"Simfoni Bulan" handelt von einer wahren Begebenheit, nämlich der Schließung des größten Rotlichtviertels Südostasiens, Kramat Tunggak. Es musste einer Moschee weichen. Haben Sie die Recherchen vor Ort selbst durchgeführt?
Indirani: Leider war es mir nicht vergönnt, die primären Recherchen selbst durchzuführen, da das Viertel bereits geschlossen war, als ich den Roman verfasste. So sammelte ich einen Großteil meiner Informationen aus Büchern, Nachrichtenarchiven und anderen Quellen. In "Simfoni Bulan" kritisierte ich die Religion zum ersten Mal ganz unverblümt.
Selbst als Angehörige der muslimischen Gemeinschaft empfinde ich es als kaltschnäuzig, einen Rotlichtbezirk durch eine Moschee zu ersetzen. Niemand der sogenannten religiösen Menschen schien sich dafür zu interessieren, was mit den Menschen dort geschah. Die verloren mit der Schließung ihre Existenzgrundlage.
"Simfoni Bulan" und die darin angesprochenen sensiblen Themen lösten in Indonesien eine Menge Kontroversen aus. Wie gingen Sie damit um?
Indirani: Kritik kann ich gut vertragen. Doch der Widerspruch meiner Eltern und Geschwister war für mich hart. Ich komme aus einer konservativen Familie und ich konnte ihre Standpunkte durchaus nachvollziehen. Möglicherweise hielten sie das Thema für anstößig. Dass ich es ansprach, verletzte und entsetzte sie wohl.
Ich bin seit jeher eng mit meiner Familie verbunden. Entsprechend schwer war es damals für mich. Es dauerte etwa zehn Jahre, bis ich überhaupt wieder wagte, über religiöse Themen zu schreiben. Unter dem Strich bin ich aber davon überzeugt, dass ich menschlich daran gewachsen bin, ebenso wie auch das Verständnis meiner Familie gewachsen ist.
Das ist auch spürbar bei der Porträtierung der Charaktere in "Bukan Perawan Maria" (dt. "Ich bin nicht die Jungfrau Maria"). Sie zeigen großes Einfühlungsvermögen für Figuren mit unverrückbaren Ansichten; man könnte auch fundamentalistische Ansichten sagen. Möchten Sie so die Widersprüche bestimmter Regeln und Verhaltensweisen aufdecken, anstatt ein moralisches Urteil zu fällen?
Indirani: Ja, genau das versuche ich. Wenn Sie meine persönliche Einstellung zu bestimmten Fragen wie zur Verschleierung oder anderen im Buch angesprochenen Themen erfahren möchten, kann ich zustimmen oder widersprechen. Wenn ich literarisch arbeite, halte ich mich mit Urteilen zurück. Die Kraft der Literatur liegt doch darin, für alle Charaktere mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen einen Raum zu schaffen, in dem sie sich voll entfalten können. Es spielt keine Rolle, ob sie konservativ, fundamentalistisch, schwul oder polygam sind. Jeder Einzelne handelt auf der Grundlage seiner Werte. Jeder ist überzeugt, das Richtige zu tun. Die Wahrheit hat viele Facetten. Das erfordert ein gehöriges Maß an Disziplin, denn selbstverständlich habe ich meine ganz persönliche Meinung.
Sie sind eine aufgeschlossene muslimische Frau, die die Dinge gerne hinterfragt. Wie hat sich Ihr Verhältnis zum Islam im Laufe der Zeit entwickelt?
Indirani: Meine Beziehung zum Islam ist seit meiner Kindheit bittersüß. In gewisser Weise gleicht sie der Beziehung zu meiner Mutter. Eine Mutter-Tochter-Beziehung ist immer ein bisschen speziell. Beide lieben einander, aber sie machen es sich nicht immer leicht, zusammenzufinden. Es gibt gewisse Erwartungen. Wenn die nicht erfüllt werden, muss sich erst wieder die nötige Akzeptanz entwickeln. Diese Art der Beziehung ist also sehr dynamisch. Heute betrachte ich Gott als meinen Komplizen.
Es gibt ein muslimisches Sprichwort, das sich in etwa wie folgt übersetzen lässt: "Gott ist dir näher als deine Halsschlagader". Also sehr nah. Wenn das wahr ist – was ich übrigens glaube – wie könnte man sich da verstecken? Weil meine Mutter nicht wollte, dass ich mein Haar offen trage, bin ich einige Jahre nur mit Hidschāb nach draußen gegangen. Aber nach einem langem Weg auf der Suche nach der Wahrheit, habe ich einfach entschieden, mich nicht mehr zu verschleiern. Mir wurde klar: Vor Gott kann ich mich ohnehin nicht mehr verstecken. So oder so. Gott wird mich lieben, ganz gleich, was geschieht. Also brauche ich nie wieder etwas von mir zu verbergen.
Wenn Sie schreiben, unterscheiden Sie strikt zwischen der eigenen Glaubensauffassung einer Person und der organisierten Religion.
Indirani: Glaube ist etwas sehr Persönliches. Ganz anders die organisierte Religion: Die geht tendenziell davon aus, dass sich die Menschen gleichen. Hinzu kommen zahlreiche Interessenskonflikte. Einige Gruppen missbrauchen die Religion zudem für ihre politischen oder wirtschaftlichen Interessen. Meiner Meinung nach sollte jeder das Recht haben, seinen eigenen Glauben zu bestimmen.
Das Interview führte Naima Morelli.
© Qantara.de 2019
Aus dem Englischen von Peter Lammers