Üppige Körper gegen obsessiv-religiösen Konservatismus
Was hat Sie zu "Lush Fixations" (dt. "Üppige Fixierungen") inspiriert?
Nadiah Bamadhaj: Meine vorherige Serie Dreaming Desire 2019 hatte ich mittlerweile abgeschlossen. Und nachdem ich kürzlich 50 geworden bin und die Menopause bald anstehen dürfte – über die alle in meinem Alter ständig Witze reißen –, dachte ich über meine eigene Sexualität im Kontext dieser Übergangsphase nach. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist Lush Fixations. Allerdings mit einer durchaus politischen Botschaft, womit ich auf das Leben im heutigen Indonesien und der obsessiven sexuellen Fixierung des religiösen Konservatismus reagiere.
Ein berühmtes Zitat lautet: "Alles auf der Welt dreht sich um Sex, außer beim Sex. Beim Sex geht es um Macht." Mit "Lush Fixations" verweisen Sie auf diese Tatsache, feiern aber auch den Körper. Wie ist es Ihnen gelungen, diese unterschiedlichen Aspekte miteinander zu verbinden?
Nadiah Bamadhaj: Es stimmt ja, dass Sex und Sexualität in den meisten unserer täglichen Interaktionen eine Rolle spielen. Lush Fixations stellt Sex durch das Medium Körper dar und lässt ihn mit der sterilen Umgebung einer Galerie interagieren. Wenn ich meine Werke außerhalb meines Studios sehe, fühle ich mich selbst mit diesem Gedanken konfrontiert.
Ich denke auch, dass es bei Sex um Macht geht, aber diese Macht ist nicht binär. Die Machtdynamiken im Sex sind vielgestaltig, facettenreich und divers. Sie werden zwischen den Menschen ständig neu verhandelt. Mit Lush Fixations wollte ich dieses Phänomen aber nicht in der Tiefe ausloten. Die Zeichnungen an der Wand sind ganz offen sexuell und feiern damit hoffentlich alle Geschlechter.
In Ihrer Ausstellung verweisen die Pflanzenmotive der Körperzeichnungen auf das offene Ausleben von Sexualität; die Tatsache, dass Sexualität an sich etwas Natürliches und Wertfreies ist. Sie schreiben, dass die üppigen Pflanzen in Ihren Zeichnungen für "Sexualität, nicht für Fruchtbarkeit" stehen. Wo liegt der Unterschied?
Nadiah Bamadhaj: Für mich ist es wichtig, eine klare Grenze zwischen Sexualität und Fruchtbarkeit zu ziehen. Nicht jede sexuelle Ausdrucksform sollte sich auf die Mehrung der menschlichen Spezies beziehen. Sex sollte eine Form der Kommunikation, Verbundenheit und Freude sein, die sich von der Fruchtbarkeit unterscheidet. Es gibt jedoch eine starke Schamkultur, die an die Sexualität gekoppelt ist und die wiederum von der Fruchtbarkeit entkoppelt ist, was ein Grund dafür ist, dass es LGBTQ-Gemeinschaften so schwer haben.
Wie wirkt sich dieses ständige Verhandeln der Herrschaft über den Körper auf Frauen und Männer aus, insbesondere in Indonesien?
Nadiah Bamadhaj: Ich kann nicht für alle Frauen sprechen. Ich bin in der komfortablen Lage, als Cis-Gender-Frau in einer indonesischen heterosexuellen Ehe zu leben, was natürlich gesellschaftlich und familiär akzeptiert ist und mit verschiedenen Privilegien einhergeht.
Obwohl Indonesien ein säkularer Staat ist, wird die nationale Doktrin vom "Glauben an Gott" beherrscht. Trotz dieses inhärenten Widerspruchs werden Lebenserfahrungen meist mit religiösen Bezügen und dem Verweis auf den "Willen Gottes" versehen.
Für Frauen drückt sich dieser Glaube vor allem im Aussehen aus: Sie tragen den Hidschāb. Neben den gesellschaftlichen Erwartungen an die körperliche Erscheinung von Frauen gibt es eine ganze Reihe von Gesetzen und Vorschriften darüber, was Frauen mit ihrem Körper tun dürfen.
Sex außerhalb der Ehe, uneheliches Zusammenleben, Verhütung für Personen unter 18 Jahren und Abtreibungen nach einer Vergewaltigung werden ab 2022 strafbar sein aufgrund entsprechender Änderungen im indonesischen Strafgesetzbuch. Das Strafgesetzbuch kodifiziert damit lediglich die Erwartungen, die in der indonesischen Gesellschaft bereits heute vorherrschen.
Gleichzeitig wird die Polygamie für Männer zunehmend toleriert. Mit der Wiederbelebung der patriarchalischen religiösen Vorstellungen hat die Pro-Polygamie-Debatte in Indonesien an Bedeutung gewonnen.
Was vor 20 Jahren noch verpönt war, wird heute offen praktiziert. Wobei Prominente und Politiker vorangehen. Ungeachtet des emotionalen Schadens für deren Frauen und Kinder.
Die Debatte in der westlichen Welt ist derzeit von der Zustimmung und dem Wollen der Frau dominiert. Ist es in Indonesien möglich, dass eine Frau in gleichem Maße über Wollen und Zustimmung verhandelt?
Nadiah Bamadhaj: Hier stellt sich wohl eher die Frage, wie eine unverheiratete indonesische Frau ihre sexuellen Wünsche und die Zustimmung zum Sex überhaupt aushandeln kann, wenn bereits die Handlung illegal ist.
Diese Verhandlungsfreiheit entwickelt sich doch nur in einem Umfeld oder in einer Kultur, die offen mit Sexualität umgeht, die Sexualaufklärung fördert, die zu Gesprächen über Sexualität zwischen Eltern und Kindern ermutigt und die entsprechenden Einrichtungen und Berater für sexuelle Gesundheit unvoreingenommen bereitstellt.
Mitten in der sexuellen Begegnung "nein" sagen zu können oder auf dem Kondomgebrauch zu bestehen, sind Fähigkeiten, die erlernt werden müssen. Eine solche Kultur der Offenheit kann der Vergewaltigungskultur entgegenwirken – einer Kultur, in der die Zustimmung verwässert oder gar angefochten wird und wo Sex ohne Zustimmung geleugnet und den Opfern angelastet wird, die meistens Frauen sind.
Je mehr Macht religiöse Gruppen in Indonesien, Malaysia und Brunei gewinnen, umso mehr rücken Fragen zu Sex und Sexualität in den Vordergrund des politischen Diskurses. Hat das Auswirkungen auf die künstlerischen Freiheiten? Und wie schwer ist es für Sie, gegen den Strom zu schwimmen?
Nadiah Bamadhaj: In diesem Jahr sah ich zum ersten Mal Altersbeschränkungen für Kunstinstallationen auf der Biennale Jogja in meiner Wahlheimat Yogyakarta. Die meisten betrafen Sex und Sexualität. Für eines der dynamischsten Kunstzentren Südostasiens ist dies nicht nur eine bittere Schande, sondern ein klares Zeichen, dass die Kunstszene einen Kotau macht vor der zunehmenden religiösen Kontrolle über künstlerische Ausdrucksformen in Indonesien. Obwohl meine Werke von meinen Erfahrungen mit Indonesien handeln, war es wegen der zunehmend repressiven Bedingungen unmöglich, dort Lush Fixations auszustellen.
Sie arbeiten seit Jahren in einem Schutzraum für Trans- und Cis-Personen in Indonesien. Wie beeinflussen diese Erfahrungen Ihre Kunst?
Nadiah Bamadhaj: Dieser Schutzraum wird von Transgender-Personen für Menschen geführt, die mit HIV leben. Meine Erfahrungen aus dieser Arbeit fließen seit 2018 in mehrere meiner Werke ein, darunter Lush Fixations. Meine Auseinandersetzung mit Fragen zu Sex und Sexualität von Menschen mit anderem Geschlecht und sexueller Orientierung sowie das Stigma und die Scham, mit denen diese Menschen konfrontiert sind, haben mich dazu ermutigt, mich intensiver damit zu befassen. Die daraus gewonnenen Vorstellungen haben ihren Weg in meine Arbeit gefunden. Im Schutzraum bin ich einigen erstaunlich einfallsreichen und unerschrockenen Menschen begegnet. Dank dieser Begegnungen geht es mir heute besser – nicht nur als Künstlerin, sondern ganz allgemein.
Das Interview führte Naima Morelli.
© Qantara.de 2019
Aus dem Englischen von Peter Lammers