Den eigenen Weg gehen
Hatten Sie zu Beginn des Schreibprozesses von "Worauf wir hoffen" bereits eine vollständige Geschichte im Kopf oder wollten Sie sich zuerst nur mit bestimmten Themen auseinandersetzen?
Fatima Farheen Mirza: Ich kann mich noch daran erinnern, als ich das erste Mal den Namen "Hadia" geschrieben habe. Ich war 18 Jahre alt und wollte über eine Frau schreiben, die ich hätte selbst sein können. Oder meine Schwester. Oder eine meiner Cousinen. Davor hatte ich mich immer nur von anderen Werken inspirieren lassen und Figuren erfunden, deren Herkunft nicht ganz eindeutig war. Cory, Cody oder Charlie zum Beispiel. Jedenfalls keine Muslime, denn Muslime tauchten in keiner Geschichte auf, die ich las. Als würden sie nicht existieren, als gäbe es keinen Platz für sie in der Literatur. Das inspirierte mich, über einen Protagonisten zu schreiben, mit dem ich mich identifizieren konnte.
Hatten Sie irgendwelche Bedenken?
Mirza: Einerseits wollte ich unbedingt über Muslime in Amerika schreiben, andererseits hatte ich aber auch Angst, weil es immer so schmerzhaft für mich gewesen war, Muslime in den Medien, in Filmen oder im Fernsehen zu sehen. Entweder spielten sie gar keine Rolle, waren böse oder gar Scherzfiguren. Ich machte mir Sorgen, ob ich sie womöglich auch so darstellen und ihnen damit schaden würde. Ich wollte diese Menschen schützen. Also habe ich beschlossen, eine Geschichte über Muslime zu schreiben, die man nicht unbedingt erwarten würde. Eine Geschichte, in der die Figuren selbst das Sagen haben, jenseits ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres politischen Kontexts.
Sie nutzen viele Wörter aus dem Urdu, ohne sie ins Englische zu übersetzen. War das eine bewusste Entscheidung?
Mirza: Leute fragen mich ständig, warum es kein Glossar gibt oder warum bestimmte Sachen nicht erklärt werden. Dagegen habe ich mich gewehrt, weil ich mich gefragt habe, warum sollten meine Romanhelden ihre Kultur erklären? Es ist ihr Leben, sie schämen sich nicht dafür, warum sollte ich das also tun? Weiße Protagonisten können ihre Geschichten doch so frei und flexibel erzählen wie sie möchten. Sie müssen ihre Existenz nicht extra erklären, auch wenn die Leser vielleicht gar nichts über ihr Leben wissen. So bin ich auch vorgegangen, auch wenn das vielleicht einige Leser abschrecken mag.
In Ihrem Buch heißt es an einer Stelle, dass die Kinder großen Gefallen daran finden, Wörter auf Urdu auszutauschen, es gleichzeitig aber merkwürdig finden, wenn ihre Eltern die Sprache sprechen. Erging Ihnen das auch so als Kind?
Mirza: Ich liebe Urdu, habe aber früher nie verstanden, was für eine Kraft die Sprache hat. Dies wurde mir erst bewusst, als ich von zuhause weggezogen bin. Genau das wollte ich auch über die Kinder ausdrücken, die in Amerika aufwachsen und gleichzeitig ihrer südasiatischen Kultur treu bleiben. Als Hadia und Amar klein sind, sprechen sie Urdu in der Öffentlichkeit und es öffnet sich eine Art geheime Welt für sie. Aber sie machen das aus Spaß – im Gegensatz zu ihren Eltern, für die Urdu ja etwas Ernstes darstellt. Diese Nuancen wollte ich festhalten, weil Sprachen unseren Horizont erweitern.
Sie verwenden nicht nur verschiedene Sprachen, sondern schreiben auch mit verschiedenen Stimmen. Warum war es Ihnen wichtig, so viele zu vereinen?
Mirza: Der Grund, weshalb ich verschiedene Perspektiven verwendet habe, ist, damit ich ein umfassendes Bild einer muslimischen Familie zeichnen kann. Ich wollte die unterschiedlichsten Charaktere mit ihren jeweiligen Überzeugungen aufeinandertreffen lassen und zeigen, wie sich das auf ihr Leben auswirkt. Was ist das für ein Konflikt, wenn eine Mutter eine bestimmte Meinung zur Liebe hat und ihr Sohn eine andere? Ich als Fatima musste zum Glück keine Seiten wählen, ich habe jeder Stimme den gleichen Respekt entgegengebracht. Nur wenn ich sie mit den Augen einer anderen Figur betrachtet habe, durfte ich am Boden zerstört, wütend oder hilflos sein.
In einem Moment skizzieren Sie ganz genau, wie sich eine muslimische Braut auf ihrer Hochzeit zu verhalten hat. Wie war es, diese Szene zu beschreiben?
Mirza: Mit diesem Roman hatte ich die Gelegenheit, die Welt zu beschreiben, aus der ich komme. Und daran hatte ich besonders großen Spaß. Ich konnte wirklich lächerliche Dinge aufgreifen. Seit Jahren möchten deine Eltern, dass du heiratest. Wenn es dann soweit ist, fragen sie dich auf der Hochzeit: Warum lächelst du? Das ist so bizarr! Einerseits kann man darüber lachen, andererseits muss man auch hinterfragen, was das über den Stellenwert einer Frau in unserer Gesellschaft aussagt. Was für eine Tradition feiern wir, in der sich eine Frau nicht mal glücklich über ihre Hochzeit zeigen darf? In der eine Ehe eher als eine Pflicht betrachtet wird?
Und das Großartige an Kunst ist, dass man diese Ebenen kommentieren kann, sowohl die spaßigen als auch die seriösen. Und hinterfragen, warum wir unseren Töchtern solche Signale geben? Wollen wir nicht, dass diese Frauen glücklich sind, wenn sie heiraten? Ist alles andere nicht ein Anzeichen dafür, dass wir als Gesellschaft versagt haben? Dass wir nicht in der Lage sind, ein gutes Leben zu leben? Hoffentlich denkt jeder, der dieses Buch liest, darüber nach – ob er überhaupt so denken sollte.
Ein großer Teil Ihres Romans handelt von einer Familie. Sie selbst haben drei jüngere Brüder. Ist vieles im Buch autobiografisch?
Mirza: Wenn man als Kind von Einwanderern aufwächst und die Eltern aus einem anderen Land kommen als man selbst, dann werden deine Geschwister zu Verbündeten. In einer gewissen Art und Weise werden deine Geschwister auch quasi zu deinen Eltern. Ich nehme oft die Elternrolle für meine Brüder ein, vor allem wenn es um Frauen oder Schulangelegenheiten geht. Und umgekehrt erziehen meine Brüder mich auch. Sie unterstützen mich oft und wir haben eine sehr enge Beziehung zueinander. Genau das wollte ich in meinem Buch würdigen und zeigen, dass es auf der einen Seite wunderschön sein kann, weil wir so oft miteinander gespielt haben. Auf der anderen Seite aber kann es auch anstrengend sein, weil wir uns heftig gezankt haben. Meine Brüder durften beispielsweise Dinge tun, die für mich tabu waren, das hat mich natürlich sehr aufgeregt. Sie wurden als "Jungen" großgezogen, ich wiederum als "Mädchen".
War es dann umso schwieriger für Sie, Ihre Eltern davon zu überzeugen, dass Sie von zu Hause wegziehen, um Schriftstellerin zu werden?
Mirza: Meine Eltern waren auf jeden Fall die erste Hürde. Als sie einwilligten und meine Entscheidung akzeptierten, schützten sie mich dann aber vor meiner gesamten Familie. Sie sagten allen, dass Fatima jetzt ihren eigenen Weg geht. Ich bin so glücklich, dass ich solche Eltern habe. Der größeren Gemeinschaft taten die beiden dann Leid. Sie sagten solche Sachen wie: "Was ist nur aus der Tochter von Mohammed und Shereen geworden?" Weil es eben nicht normal war, dass ein Mädchen von zu Hause wegzieht. Einmal lauschte ich meinem Vater beim Telefonieren. Er wurde wohl gefragt, wie er mich nur habe gehen lassen können. Mein Vater antwortete darauf: "Ich vertraue Fatima, sie ist meine Tochter. Es wird ihr schon gut gehen."
Das Gespräch führte Schayan Riaz.
© Qantara.de 2019
Fatima Farheen Mirza: "Worauf wir hoffen", dtv-Verlag, München 2019, 480 Seiten, ISBN 9783423281768