"Algerien wird die zweite Runde erreichen!"
Wie schätzen Sie die Chancen Algeriens als einziger arabischer Mannschaft bei der Brasilien-WM ein?
Hafiz Deraji: Früher hätte man gesagt, es sei verfrüht, zum jetzigen Zeitpunkt schon von den Chancen der algerischen Mannschaft zu sprechen. Alles hing von der Verfassung der Spieler ab und davon, welche Leistungen sie in den Vereinen ihrer jeweiligen Ligen gezeigt hatten. Aber jetzt, kurz vor dem Countdown zum ersten Spiel, kann man sagen, dass die algerische Elf in etwa gleich gute Chancen hat wie die anderen Mannschaften in der achten Spielgruppe, also Belgien, Russland und Korea, besonders nach der WM-Teilnahme in Südafrika 2010.
Aber auch andere Faktoren machen uns Mut: Zum einen setzen die algerischen Fans große Hoffnungen in ihre Mannschaft, zum anderen besteht diese aus jungen Spielern, die alle ihr technisches Können vorführen möchten. Dazu kommt die hervorragende Arbeit des Trainers Vahid Halilhodzic für das Team. In Algerien glauben viele Analysten und Kommentatoren, dass Algerien diesmal seine bisher beste Leistung bei einer WM zeigen wird.
Aber seit dem Antritt des bosnischen Trainers Halilhodzic ist dieser zur Zielscheibe der algerischen Presse geworden. Auch die Qualifikation zur WM scheint daran nichts geändert zu haben. Zudem soll es Streit zwischen ihm und Verbandspräsident Mohamed Rourawa geben. Was ist da dran?
Deraji: Ich glaube, dass beide nur unterschiedliche Sichtweisen hatten, und so etwas ist natürlich und normal. Es ging um die Zukunft von Halilhodzic in der Nationalmannschaft, und dieses Thema ist vom Tisch. Rourawa wollte, dass Halilhodzic die Elf auch nach der WM weiterbetreut und für mindestens weitere sechs Monate unterschreibt, also bis zum Ende des African Cup 2015. Halilhodzic lehnte ab, und das ist sein gutes Recht. Außerdem gab es von ihm in der Vergangenheit Aussagen, die die algerische Presse als defätistisch empfand. Der Trainer hatte gesagt, Algerien habe noch keine konkurrenzfähige Nationalelf. Der Verbandspräsident bezeichnete diese Äußerungen dann unter dem Druck der Straße als überzogen.
Das getrübte Verhältnis des Trainers zur Presse geht vermutlich zurück auf den Afrika-Cup 2013, als Halilhodzic schon einmal Ärger mit algerischen Medien hatte und er daraufhin einen regulierten Umgang mit diesen verlangte. Die algerische Presse war bis anhin an Trainer von der Art eines Rabeh Saadan und seines Nachfolgers Abdelhaq Binchekha gewohnt. Ich glaube, die Missverständnisse von damals bestehen bis heute fort, und manche algerischen Journalisten haben das Gefühl, dass Halilhodzic sich lieber mit internationalen Medien unterhält als mit einheimischen.
Sie sagen, in Algerien sei man optimistisch in Bezug auf die WM in Brasilien. Was hat sich denn seit der WM in Südafrika 2010 geändert?
Deraji: Wir haben einen neuen Trainer und eine neue Generation von Spielern mit großen Ambitionen, die Höchstleistungen zeigen möchten und unter Beweis stellen wollen, dass sie das Zeug dazu haben, bei der WM weiterzukommen, um damit auch ihre Spielerkollegen aus ihren Vereinen zu motivieren. Ich glaube, die Teilnahme bei der WM in Südafrika war allen eine Lehre. Ich bin sehr optimistisch, weil ich nah am Trainer dran bin und weiß, wie er denkt, und weil ich mir sicher bin, dass viele unserer Spieler es sich nicht entgehen lassen werden, gegen Gegner zu spielen, gegen die sie eine Chance haben. Es wird zwar nicht leicht werden, aber in der Gruppe H sind zumindest keine Schwergewichte wie Argentinien, Brasilien, Deutschland, Portugal oder Spanien vertreten.
Wenn Sie sagen, Sie wüssten, wie der Trainer der algerischen Mannschaft tickt, wie würden Sie ihn denn beschreiben?
Deraji: Halilhodzic hat zum einen eine ähnliche Mentalität wie wir Nordafrikaner. Er hat eine starke Persönlichkeit und äußert gern seine Einschätzung zum technischen Stand der Mannschaft und zum Niveau der Spieler. Er ist streng zu den Spielern und beharrt gerne auf seiner Meinung, auch wenn er manchmal im Unrecht ist. Ich glaube, er hat sich Respekt in der Mannschaft und auch bei den Medien verschafft. Und das kann er meiner Meinung nach auch auf dem Platz bei den Begegnungen mit den anderen WM-Teams ausspielen.
Sie glauben also an ein Weiterkommen Algeriens über die Vorrunde hinaus. Wer wird die algerische Elf aus der Gruppe H in die zweite Runde begleiten?
Deraji: Ich denke, das wird Russland sein. Viele glauben zwar, Belgien werde sich qualifizieren, aber ich setze auf Algerien und Russland. Belgien hat zwar herausragende Spieler, aber ihnen fehlt neben der Technik die Mannschaftsharmonie. Das kann anderen Mannschaften zugute kommen.
Interview: Adil Chroat
© Qantara.de 2014
Aus dem Arabischen von Günther Orth
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de