Der Anfang vom Ende Assads

Die jüngste Gewalteskalation in Damaskus und der Anschlag auf Assads inneren Führungszirkel zeigen die Schwäche des Regimes und die Auflösungstendenzen im Machtapparat. Ist das der Anfang vom Ende der Diktatur?

Interview von Kersten Knipp

In den letzten Tagen hat sich dieser machtvolle Anschlag bereits angedeutet. Es gab seit mehreren Tagen Gerüchte, dass die Rebellen nach Damaskus vordringen würden. Was wissen Sie über die Vorgeschichte dieser Attentate und über das Erstarken der Freien Syrischen Armee?

Heiko Wimmen: Unter dem Vordringen der Armee hätte man verstehen können, dass sich die bewaffnete Präsenz der Freien Syrischen Armee in Damaskus oder auch in anderen Teilen des Landes verstärkt und dass in der Folge solche Operationen zunehmen, wie etwa regelrechte Angriffe auf Militärstützpunkte und dergleichen. Es war nicht unbedingt klar, dass das die Form von Bombenanschlägen oder Selbstmordattentaten annehmen würde.

Es ist aber tatsächlich nicht so neu, weil es schon wenige Tage vor dem Massaker in Hula Mitte Mai einen Versuch gegeben hat, Mitglieder des inneren Führungszirkels – vor allem solche, die mit Sicherheitsfragen befasst sind – zu töten. Berichten zufolge handelte es sich dabei um einen Giftanschlag, der aber nicht ganz funktioniert hat. Assef Shawkat, ein Schwager Präsident Assads, der bei dem jüngsten Anschlag getötet wurde, war damals auch ein Ziel. Grundsätzlich kann man natürlich sagen, dass die Aktivitäten der Rebellen zunehmen, genauso wie ihre Bewaffnung und ihre Fähigkeit, an vielen Orten gleichzeitig aufzutreten.

Heiko Wimmen; Foto: DW
Vorbereitung für die Zeit nach Assad: Im Moment sollte man vor allem "versuchen, die Kapazitäten der Oppositionsgruppen auszubauen, für zivile Funktionen in den Gebieten, die sie kontrollieren, zu garantieren und grundsätzliche Basisstrukturen einer lokalen Verwaltung aufzubauen", meint Wimmen; Foto: DW

​​Es nimmt aber auch die Brutalität des Regimes zu, die auf solche Operationen militärisch reagiert: Es werden Hubschrauber und Raketen eingesetzt, mit denen ganze Stadtteile beschossen werden, in denen Rebellen sich aufhalten oder dort vermutet werden. Vor ein paar Wochen und Monaten gab es noch Hausdurchsuchungen und dergleichen, bei denen natürlich auch Gewalt ausgeübt wurde. Aber nun hat das alles natürlich eine andere Qualität. Es steht zu befürchten, dass jetzt als Reaktion auf diesen Anschlag noch einmal die Gewaltspirale vom Regime noch ein ganzes Stück weiter nach oben geschraubt wird.

Die intellektuelle Vorbereitung des Attentats deutet ja auf ein erhebliches Vertrauensnetzwerk im Führungskreis hin. Haben Sie den Eindruck, dass sich dieses Vertrauen in letzter Zeit noch einmal qualitativ verfestigt hat? Und gibt es Hinweise darauf, dass die Tendenz, dass immer mehr Armeeangehörige desertieren und zur Opposition überlaufen, weiter anhält?

Wimmen: Ich glaube, dass viele Menschen, die dem Regime nach wie vor dienen, sich in der Tat Gedanken darüber machen, was sie tun sollen – sei es aus moralischen Gründen, sei es aus dem Grund, dass sie aus Regionen kommen, in denen Gewalt herrscht und wo womöglich Bekannte oder Verwandte von ihnen betroffen sind.

Es ist durchaus realistisch, dass auch diese Menschen nun immer mehr zugänglich werden für Versuche, sie auf die Seite der Opposition zu ziehen. Wir müssen dabei beachten, dass es hier um einen Konflikt innerhalb der syrischen Gesellschaft geht. Es handelt sich nicht um eine Besatzungsstruktur und eine Bevölkerung, die von dieser beherrscht wird und in der tiefe Gräben zwischen beiden Seiten existieren würden, sondern das kann sich im Einzelfall sogar durch ganze Familien ziehen. Und da werden die Leute natürlich darüber nachdenken, was sie tun – auch aus opportunistischen Überlegungen.

Der syrische Verteidigungsminister Dawud Radschiha; Foto: Reuters
Schwerer Schlag für Assads-Führungsriege: Bei einem Bombenattentat auf den Sitz der syrischen Sicherheitskräfte in Damaskus wurde auch der Verteidigungsminister Dawud Radschiha getötet; Foto: Reuters

​​Als Beispiel sei der syrische Botschafter im Irak genannt. Dieser ist durch die Baath-Partei in einflussreiche Positionen aufgestiegen. Er kommt aus der Peripherie des syrischen Staates, zählt also nicht zu der alten Bourgeoisie und hat sich auf diesem Weg zu einer privilegierten Machtposition vorgearbeitet.

Wenn man dann sieht, dass so jemand von der Fahne geht, dann überlegen natürlich viele Leute aus ganz nüchternem Kalkül, wann wohl der Punkt erreicht sein wird, an dem sie darüber nachdenken sollten, sich und ihre Interessen auf die Zeit nach Assad vorzubereiten. Das gilt natürlich nicht für Leute, die unter Umständen Selbstmordattentate verüben. In diesem Zusammenhang muss man davon ausgehen, dass diese Personen auch ideologisch und religiös motiviert sind, dieses Mittel einzusetzen. Sie haben dann diese Disposition und sind daher zugänglich für Versuche der Opposition, sie für solche Aktionen zu gewinnen.

Welches Signal geht von diesem Attentat aus? Im Grunde genommen kann sich die Opposition, so heterogen sie auch sein mag, nun sehr gestärkt fühlen...

Wimmen: …Sicherlich fühlt sich die Opposition dadurch bestärkt, das ist völlig klar. Und ich glaube es ist auch kein Zufall, dass dieser Anschlag und diese Kampagne, die unter dem Titel "Das Erdbeben von Damaskus" steht, fast zeitgleich zur Sitzung des Sicherheitsrates in New York stattfindet. Einerseits beobachten wir nach dem Anschlag eine Opposition, die sich gestärkt und bestätigt fühlt, was eventuell noch mehr Überläufer produzieren könnte. Und andererseits lässt sich eine Erosion des Machtapparates erkennen – eine Tendenz, die sich beschleunigt.

Natürlich kann ein Schneeballeffekt einsetzen, der zu rapiden Auflösungserscheinungen führen kann, wenn immer mehr Personen mit dem Gedanken spielen oder Überlegungen anstellen, wieweit der Tag X noch entfernt sein könnte. Sie werden sich vielleicht noch Chancen ausrechnen, wie sie ihre Interessen noch irgendwie sichern können, wenn sie nur rechtzeitig die Seiten wechseln. Ich spreche hier von Personen, die sich noch nicht durch Verwicklungen in Gewalt, Folter und dergleichen völlig selbst kompromittiert haben.

Nawaf al-Fares; Foto: Reuters
"Richtet Eure Kanonen und Panzer auf die Kriminellen dieses Regimes": Der syrische Botschafter im Irak Nawaf al-Fares kehrte am 11. Juli dem Regime Assads den Rücken und rief seine Landsleute dazu auf, sich der Opposition anzuschließen; Foto: Reuters

​​Wir dürfen aber auch nicht den ethnischen und konfessionellen Faktor außer Acht lassen. Es gibt eine Gruppe innerhalb der syrischen Gesellschaft, die Alawiten, die befürchten, dass es zu einer kollektiven Bestrafung, zu Pogromen und dergleichen mehr führen wird, da das Regime ja bekanntlich alawitisch geprägt ist. Das heißt, dass wahrscheinlich eine Kerngruppe übrigbleiben wird, auch innerhalb der Streitkräfte, die diesem Regime bis zum bitteren Ende die Treue hält und dieses Ende könnte dann tatsächlich sehr bitter sein.

Wie beurteilen Sie die Fähigkeit dieser sich sehr heterogenen Opposition was die zukünftige Regierungsbildung angeht?

Wimmen: Ich denke, dass eine Regierungsbildung noch in sehr weiter Ferne liegt. Worüber man sich aber jetzt Gedanken machen sollte, ist, ob man irgendetwas dazu beitragen kann, dass dieser Übergangsprozess oder dieser Zerfallsprozess dieses Regimes in einer Weise stattfindet, die günstigstenfalls zu einer weichen Landung führt und in einem weniger günstigen Fall zumindest ein völliges Abgleiten ins Chaos verhindert. Daher sollte man versuchen, die Kapazitäten der diversen Oppositionsgruppen auszubauen, für zivile Funktionen in den Gebieten, die sie kontrollieren, zu garantieren – sprich: für Sicherheit, für die Bevölkerung und auch für humanitäre Leistungen zu sorgen und dergleichen mehr. Man muss versuchen, ganz grundsätzliche Basisstrukturen einer lokalen Verwaltung aufzubauen.

Vieles muss also jetzt schon vorbereitet werden, um sicherzustellen, dass es dann irgendjemanden gibt, der in der Lage ist, zunächst einmal auf lokaler Ebene Verantwortung zu übernehmen und der auch verantwortlich handelt, um zu verhindern, dass das Ganze ins Chaos abgleitet, lange bevor wir über eine mögliche Regierungsbildung sprechen können.

Interview: Kersten Knipp

© Qantara.de 2012

Der Syrien-Experte Heiko Wimmen forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin zu ethnisch-religiös gemischten Gesellschaften im Nahen Osten und auf dem Balkan. Er lebte als Journalist in Beirut und veröffentlichte zahlreiche Studien über den Libanon, die Hisbollah und den Irak.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de