"Wir sind Franzosen - Ende der Diskussion!"
Deine Texte sind immer sehr engagiert. In welcher Weise beziehst du Stellung zu den gegenwärtigen Debatten um Immigration und Identität?
Magyd Cherfi: Soweit ich mich zurückerinnern kann, sieht man bis heute täglich in den Nachrichten einen Araber, einen Schwarzen, einen Einwanderer, jemanden ohne gültige Papiere, einen unglückseligen Menschen. Nicht in den öffentlichen Debatten vorzukommen - das Problem kenne ich nicht. Und nun zwingt man uns diese Debatte über die nationale Identität auf. Da könnte ich x-Lieder drüber schreiben. Aber ich schäme mich zu sehr.
Lehnst du es ab, an der aktuellen Debatte über die nationale Identität in Frankreich teilzunehmen?
Cherfi: Ich hoffe nicht daran teilnehmen zu müssen. Jedenfalls nicht an der Debatte, die Eric Besson losgetreten hat. "Identität" und "national" - das ist ein Begriffspaar, das ich so nicht verwenden würde. Wenn ich sehe, wie manche Leute versuchen, diese Frage zu beantworten, besonders Leute wie Fadela Amara, Rachida Dati oder Rama Yade die diese Debatte unterstützen, dann bedeutet das für mich, nicht mehr auf Brüderlichkeit hoffen zu können.
Sie sind dabei, eine weiße Rasse zu propagieren und eine weiße Identität zu etablieren, die aber nie offenkundig als solche bezeichnet wird. Und das geht durch. Die Leute sagen "ja doch, das ist eine interessante Diskussion". Aber meinen Gemütszustand kann ich nicht schönreden, ich verabscheue einfach die Idee einer weißen Rasse, die uns jeden Tag aufgedrückt wird.
Nehmt zum Beispiel die Aussagen unseres Innenministers Brice Hortefeux, der sagte: "Einer ist ok. Erst wenn es viele von ihnen gibt, kommen die Probleme." Jetzt, im Alter von 47, empfinde ich viel weniger Zorn. Früher wollte ich am liebsten ein Gewehr in die Hand nehmen, einen Stein, eine Steinschleuder und sagen: "Was soll's - ich werd' schießen. Mir reicht's." Denn da gab es immer einen Minister oder einen Staatspräsidenten, der gesagt hat: "Es gibt zu viele von euch", "Ihr seid überflüssig", "Ihr müsst euch integrieren".
Aber jetzt empfinde ich keinen Zorn mehr. Ich sage mir, dass nicht die Einwanderer ein Problem haben, sondern die weißen Franzosen, die Angst vor den Arabern, den Schwarzen und dem Islam haben. Wir sind Franzosen - Ende der Diskussion. All diese Leute sind Franzosen. Sie sind anders, weil sie in sich einen Teil einer Kultur tragen, der von anderswo kommt. In den USA ist ein Schwarzer vor allem Amerikaner, unabhängig von seinen Wurzeln. In Frankreich ist ein Schwarzer ein Einwanderer, ein Sohn von Einwanderern in zweiter, dritter Generation, jemand ohne gültige Papiere und erst danach ein Franzose.
Wie beurteilst du die Kopftuchdebatte?
Cherfi: Meinem Verständnis nach bin ich gegen das Kopftuch. Aber ich sage mir, dass diese Mädchen den Schleier tragen, weil wir (der Staat) sie fallen gelassen haben. Nachdem ich gesehen habe, wie Cousinen in Frankreich und Algerien sich verschleiern, verstehe ich dieses "Warum" ein bisschen besser. Diese so genannte Republik - beziehungsweise der sogenannte Rechtsstaat - beschützen sie nicht. Sie haben Angst in ihren Familien und in ihren Wohnsiedlungen. Deshalb suchen sie nach Waffen, die ihnen diese Pseudorepublik mit ihren Rechten und Pflichten nicht gibt. Da beißt sich die Katze selbst in den Schwanz.
Was können sie gegen diese Angst tun?
Cherfi: Nichts. Wie sollten sie das anstellen? Weggehen? Aber wohin? Wer würde sie schützen? Und dann gibt es da ja auch noch die affektive Bindung zur eigenen Mutter. Wie sollte man die Kraft haben wegzugehen und dabei die eigene Mutter, die Familie oder seinen Stammbaum hinter sich zu lassen? Es gibt immer Ausnahmen - Mädchen, die die Kraft finden und allem den Rücken kehren, um in Freiheit zu leben. Das sind aber Ausnahmen. Meiner Meinung nach gibt es keinen Ausweg. Selbst für Jungs sind die Möglichkeiten begrenzt. Deswegen funktioniert das Prinzip "Black, Blanc, Beur" ("Schwarz, Weiß, Arabisch") nicht.
Klingt pessimistisch…
Cherfi: Kurzfristig gesehen, ja. Aber langfristig gesehen bin ich gezwungenermaßen optimistisch. Denn es ist notwendig, dass wir uns gut verstehen, auch wenn es erzwungen scheint. Gleichstellungsgesetze sind notwendig für Araber und Schwarze. Denn ansonsten gäbe es in 50 Jahren nicht einmal zwei Farbige in der Nationalversammlung. Man wird uns wohl sagen: "Das ist aber nicht gerecht." Doch da scheißen wir drauf! Schon wenn man die Ausgangslage betrachtet, gibt es keine Gerechtigkeit. Ich stehe dazu, ein Begünstigter der Geschichte zu sein. Viele Schwarze und Araber sind dagegen. Darum dreht sich die Debatte.
Eine Politik der positiven Diskriminierung wie in den USA wäre also die Lösung?
Cherfi: Ich denke ja. Obwohl es mir auch etwas widerstrebt, ist es doch das einzige, was uns übrigbleibt. Man hat viel über Integration, Gleichheit, Einheit und Brüderlichkeit geredet. Aber das funktioniert nicht. Wenn du farbig bist, bekommst du keinen Job.
Was ist deine Vision von Europa?
Cherfi: Ich denke sehr wenig europäisch, weil ich finde, dass wir schon in unserem eigenen Land nicht wirklich existieren. Es fällt mir schwer, in europäischen Dimensionen zu denken. Denn ich bin der Ansicht, dass wir schon in unserem eigenen Land nicht als Franzosen behandelt werden. Wie sollte man europäisch denken, während das Prinzip der fraternité schon bei uns nicht funktioniert?
Wie erklärst du das deinen Kindern?
Cherfi: Manchmal stellen sich meine Kinder die Frage, ob sie Franzosen sind. Mein Sohn wurde als "schmutziger Araber" beschimpft. Er hat in der Schule zu weinen angefangen. Wenn er mich also fragt, ob er Franzose sei, antworte ich ihm "Du bist Franzose, aber…" Wenn man in Frankreich Schwarzer ist, ist man nicht weiß!
Hast Du dich von der Initiative der "Motivé-e-s" distanziert? Wie steht es um deine Karriere als Aktivist?
Cherfi: Ob ich politisch aktiv bin? Eigentlich war ich es noch nie. Ich habe Leute begleitet, die mir nahe standen und die politisch links waren oder auch linksextrem. Ich praktiziere eine Art "feinfühlige Militanz", mit Hilfe meiner Lieder.
Interview: Céline Lemaire/Gabriel Zemron
© Cafebabel.com 2009
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de