''Eigentlich müssten wir uns doch hassen''
Die starren Mauern zu durchbrechen, die Politik manchmal zwischen Menschen errichten kann, ist nicht immer leicht. Doch es gibt Menschen, die auferlegte Feindschaften wie den oftmals herauf beschworenen Antagonismus von Israel und Iran nicht hinnehmen wollen. Sind wir uns nicht eigentlich viel ähnlicher, als es uns unsere Regierungen weismachen wollen, fragen sie und setzen sich kreativ mit dem Thema "Identität" auseinander. Ein solcher Ausdruck von Menschlichkeit war die Kampagne eines israelischen Graphikdesigners im Frühjahr. Seinen Slogan "Iranians, we love you" verbreitete er über Facebook und bekam dafür ein gewaltiges Medienecho.
In Berlin hat sich ein Bündnis aus israelischen und iranischen Studenten gebildet, die gemeinsam gegen die Kriegstreiberei ihrer Länder protestieren wollen. Der "Iranian-Israeli Circle" möchte über die Mechanismen hinter dem Atomkonflikt aufklären und wendet sich gegen "Krieg, Sanktionen, Besatzung und staatliche Unterdrückung".
Bei der ersten gemeinsamen Demonstration von Iranern und Israelis in Berlin-Kreuzberg kamen im Mai Spruchbänder in Hebräisch, Farsi und Deutsch zum Einsatz. Zudem will die Initiative mit Vorträgen zeigen, dass sich nicht nur die Menschen mit all ihren Sorgen und Nöten ähneln, sondern auch die Strategien ihrer beiden Regierungen.
Nach dieser Lesart wird der Atomkonflikt vor allem als ein Ablenkungsmanöver von internen Problemen gesehen: In Iran gibt es eine Regierung, die vor allem unter der jungen Bevölkerung an Rückhalt verloren hat – eine Entwicklung, die während den Wahlprotesten im Jahr 2009 offen zu Tage trat. Besonders unter Jugendlichen war die Entfremdung von den ideologischen Grundfesten der Islamischen Republik nie so groß wie heute.
In Israel verbaut Benjamin Netanjahu durch eine aggressive Siedlungspolitik jegliche Lösung im Nahostkonflikt. Iran und der vermeintlich drohende "atomare Holocaust" sind ein dankbares Thema, um mit lauten Tönen die eigene Verantwortung zu überdecken. Die sozialen Proteste junger Israelis bleiben da weitestgehend ungehört.
Anti-Israel-Propaganda
Die Idee zum Freundschaftskreis entstand als der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak im März nach Berlin reiste. Damals wurde jener U-Boot-Deal besiegelt, der rund zweieinhalb Monate später in Reaktion auf einen "Spiegel"-Artikel die Debatte über deutsche Waffenlieferungen nach Israel entfachte.
Als Barak sich in der israelischen Botschaft befand, versammelten sich zehn israelische Studenten vor dem Haus, um gegen die Außenpolitik ihrer Regierung zu demonstrieren. Aus einer losen Protestgruppe erwuchs die Idee, sich mit den Iranern vor Ort zu verbinden. Über Facebook starteten die Israelis einen Aufruf und erhielten bald Antwort von der anderen Seite. Man traf und tauschte sich aus – ein fruchtbarer Prozess, auch in der Beschäftigung mit eigenen Stereotypen.
Die Iranerin Arezu hat in den letzten zehn Jahren vor allem in Europa gelebt. In Iran aufzuwachsen bedeutet ganz automatisch den israelischen Staat hassen zu lernen. "Tod Israel" ist in Iran ein inflationärer Slogan. Das Fernsehen berichtet ausschließlich negativ über das Land und einmal im Jahr fordert die Regierung am "Quds"-Tag dazu auf, gegen das "zionistische Regime" durch die Straßen zu ziehen.
Das, meint Arezu, führe bei Iranern manchmal zu vorschnellen Schlüssen: Du bist gegen die Regierung. Die Regierung unterstützt die Palästinenser. Also stehst du der palästinensischen Sache gleichgültig gegenüber.
Feindschaft für Machterhalt
"Als wir uns in Berlin mit Israelis trafen, war es offensichtlich, dass wir alle in Opposition zu unseren Regierungen stehen", sagt Arezu. "Wir machten Witze darüber, dass wir doch eigentlich Feinde sein und uns hassen müssten."
Arezu will unterscheiden zwischen der unrechtmäßigen Unterdrückung der Palästinenser und einer Regierung, die dieses Thema für sich ausschlachtet.
Gal Schkolnik, israelische Chemiestudentin, traf 2005 auf einem Festival zum ersten Mal auf Iraner. Es waren Frauen, vor allem Architektinnen und Rechtsanwältinnen. "Bis dahin wusste ich gar nicht, dass iranische Frauen so etwas studieren dürfen", sagt Gal. Aus dem Fernsehen habe sie nur Bilder von schwarz vermummten Frauen und Fäuste schwingenden Mullahs gekannt.
"Auf eine gewisse Art haben es die Iraner da leichter. Sie leben in einem autoritären Regime und wissen, dass sie von ihren Medien belogen werden. Aber in Israel haben wir noch ein gewisses Grundvertrauen in unsere Medien. Die Propaganda ist bei uns subtiler."
Auch Gal war bisher nicht bewusst gewesen, dass ihre Situation von der der jungen Iraner gar nicht so verschieden ist. "Wir sind zwei Völker, deren Regierungen nicht am Wohlergehen ihrer Bürger, sondern allein daran interessiert sind, an der Macht zu bleiben. Ein kreierter Krieg wie der Iran-Konflikt eignet sich hervorragend dazu."
Marian Brehmer
© Qantara.de 2012
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de