Wer bestimmt über den Islam an der Schule?
Laut Grundgesetz Artikel 7 (Absatz 3) haben alle Religionsgemeinschaften das Recht auf Religionsunterricht an den Schulen. Das gilt auch für rund 700.000 Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens in Deutschland.
Da der Islam aber nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt ist, betreten die Bundesländer bei seiner Einführung juristisch und politisch Neuland. Sie suchen nach Möglichkeiten, um die Vertreter der Muslime mit einzubeziehen.
Nordrhein-Westfalen hat sich am weitesten vorgewagt und bietet zum Schuljahr 2012/2013 als erstes Bundesland einen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht für rund 44 Grundschulen mit insgesamt 2.500 Schülern an.
Von der islamischen Unterweisung zum islamischen Religionsunterricht
Ab dem kommenden Schuljahr soll der Islamunterricht auch an den weiterführenden Schulen des Landes erteilt werden. Er wird dann sukzessive das Fach Islamkunde ablösen, das es schon seit 1999 an allen Schultypen im Bundesland gibt.
Die Islamkunde hat allerdings der Staat allein verantwortet, jetzt bestimmen die Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaften zusammen mit dem Bildungsministerium in Düsseldorf die Lehrpläne und wählen die Lehrer aus. Die Vertreter der unterschiedlichen Strömungen sind sich aber nicht einig, und die Islamverbände wollen bei dem neuen Unterrichtsfach ihre Version des Glaubens durchsetzen.
Zunächst einmal gibt es aber eine ganze Reihe praktischer Schwierigkeiten: So wurde der Unterricht ohne gültigen Lehrplan eingeführt, weil dieser erst im Sommer 2013 fertig sein soll. Außerdem fehlen derzeit noch die notwendigen Lehrer.
Da die ersten ausgebildeten Islamlehrer erst ab 2019 von der Universität Münster abgehen werden, übernehmen die Islamkunde-Lehrer auch das neue Unterrichtsfach. Sie müssen aber zuvor von einem Beirat abgesegnet werden, dessen Zusammensetzung umstritten ist.
Die Hälfte der acht Beirats-Mitglieder besteht aus Islamwissenschaftlern und Experten, die das Land Nordrhein-Westfalen ernannt hat. Die andere Hälfte bestimmt der Koordinierungsrat der Muslime, ein Zusammenschluss der vier großen Islamverbände Ditib, Islamrat, Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und der Zentralrat der Muslime.
Mangelnde Reife
Doch sie repräsentierten nur einen Ausschnitt aus dem breiten islamischen Spektrum, moniert Lamya Kaddor vom Liberal-Islamischen Bund. Ihr fehlen im Beirat die Interessensvertreter des liberalen Islam, der mystischen Strömungen, aber auch der Schiiten. Sie hält den islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen in der jetzigen Form deshalb für noch nicht ausgereift.
Auch bei der Ausbildung der Religionslehrer an der Universität Münster kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen über die theologische Ausrichtung. Konservative islamische Kreise stoßen sich am reformorientierten Islam von Institutsleiter Mouhanad Khorchide und werfen ihm vor, den Islam zu dekonstruieren. Schon Khorchides Vorgänger Sven Kallisch musste gehen, weil er für den Koordinierungsrat der Muslime (KRM) nicht mehr tragbar war.
Bei der Besetzung des Beirats mischt sich auch der Staat ein, was er bei evangelischen oder katholischen Professoren nicht tut. Das wiederum sorgt bei den Muslimen für Unmut.
Hessens bekenntnisorientierter islamischer Religionsunterricht
In Hessen hat die Entscheidung, zum Schuljahr 2013/2014 einen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht einzuführen, einen ganz anderen Konflikt verursacht. Dort geht es zunächst zwar nur um etwa 25 Grundschulen, erheblich weniger also als in Nordrhein-Westfalen, trotzdem feiert Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) den geplanten neuen Islamunterricht als "historische Entscheidung".
Das Bundesland kooperiert bei der schulischen Islamunterweisung mit dem Ditib-Landesverband Hessen und der Ahmadiyya Muslim Jamaat Gemeinde, beide Religionsgemeinschaften erfüllten die Voraussetzungen und seien "geeignete Kooperationspartner" heißt es im Bildungsministerium. Allerdings erhalten Schulkinder der Ahmadiyya einen anderen Religionsunterricht als jene, deren Eltern zur Ditib gehören. Denn sunnitische Eltern würden ihre Kinder kaum in einen Unterricht der Ahmadiyya schicken.
Die in Indien gegründete Ahmadiyya versteht sich als islamische Reformbewegung und stößt bei den meisten Sunniten auf Vorbehalte. Noch vor dem Start des Islamunterrichts in Hessen gibt es deshalb eine Kampagne konservativer Kreise gegen den Religionsunterricht für die Ahmadiyya. Eine Petition ist im Umlauf, die an den hessischen Landtag appelliert, keinen Religionsunterricht der Ahmadiyya zuzulassen, weil es sich bei ihnen um eine Sekte handele.
Suche nach dem besten Modell
Dem Weg von Nordrhein-Westfalen und Hessen will sich auch Niedersachsen anschließen. Es sind aber auch noch andere Formen des islamischen Religionsunterrichts möglich: In Bayern werden nach dem "Erlanger Modell" lokale Gemeinden und muslimische Eltern an der inhaltlichen Gestaltung der Lehrpläne beteiligt. Auf diese Art und Weise konnte ein weitgehender Konsens erzielt werden.
Hamburg hat einen gemeinsamen Religionsunterricht für alle Konfessionen, an dem jetzt auch Muslime beteiligt werden. Katholische, evangelische und jüdische Kinder haben an der Elbe einen gemeinsamen Unterricht, der formal von der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche verantwortet wird.
Nachdem Hamburg unter Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) als erstes Bundesland 2012 einen Staatsvertrag mit den Muslimen abgeschlossen hat, beteiligen sich auch die muslimischen Vertreter und die alevitische Gemeinde an der inhaltlichen Ausgestaltung des Religionsunterrichts.
"Für mich ist es das bessere Modell", sagt der Islamwissenschaftler Michael Kiefer dazu. "In einer wertepluralen Gesellschaft ist das gemeinsame Lernen besser als ein getrennter Religionsunterricht. Dieses Modell stammt aus einer anderen Zeit."
Claudia Mende
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