Zwischen Hoffen und Bangen

Die einst großen jüdischen Gemeinden in Tunesien und Ägypten sind fast verschwunden, die verbliebenen Juden werden meist misstrauisch beäugt. Der Arabische Frühling hat ihre Lage eher noch schwieriger gemacht.

Von Andreas Gorzewski

Die große Synagoge in Tunis ist von weitem als jüdisches Gebetshaus erkennbar. Ein Davidstern schmückt die Fassade. Allerdings kommen immer weniger Gläubige. Von den einst hunderttausend Juden in Tunesien sind nur noch rund 2000 geblieben. Die meisten sind ausgewandert.

Der jüdischen Gemeinde in Ägypten geht es noch schlechter, sie ist fast verschwunden. Die Wahlsiege der Islamisten in den beiden Ländern wecken Sorgen, dass die jüdische Geschichte dort zu Ende gehen könnte.

Einst gab es überall im Nahen Osten und in Nordafrika blühende jüdische Gemeinschaften. Nach der Gründung des Staates Israel 1948 und den folgenden israelisch-arabischen Kriegen wurden die Juden im Orient jedoch als Feinde gesehen. Hunderttausende wanderten nach Israel, Europa oder in die USA aus.

Am Nil leben Juden seit der Zeit der Pharaonen. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren es rund 80.000. Heute leben in Kairo und Alexandria nur noch knapp hundert Juden.

Die Maimonides-Synagoge im ehemaligen jüdischen Viertel Haret al-Yahoud von Kairo; Foto: picture-alliance
Auf dem Rückzug: Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten noch rund 80.000 Juden am Nil. Heute sind es in den beiden ägyptischen Metropolen Kairo und Alexandria nur noch knapp Hundert; Foto: picture-alliance

​​Die meisten von ihnen sind alte Frauen, sagt David Harari, der in Ägypten aufwuchs. Heute ist der 73-Jährige der Schatzmeister der "Gesellschaft der Juden ägyptischer Herkunft in Frankreich" (AJOE).

Synagogen als Museen

Die alten Synagogen in Ägypten sind Museen. Zwar ließ die Regierung 2010 die Maimonides-Synagoge in Kairo restaurieren, aber Gebete finden dort kaum noch statt. Die Gemeindevorsteherin organisiert nur noch wenige Mal im Jahr einen Gottesdienst. "Für die wichtigen jüdischen Feiertage Neujahr und Yom Kippur lässt sie einen Rabbiner aus dem Ausland anreisen", erzählt Harari. Da mindestens zehn jüdische Männer für einen Gottesdienst nötig sind, müssten Mitarbeiter der israelischen Botschaft in Kairo teilnehmen.

Die Wiedereröffnung der Maimonides-Synagoge war von politischen und religiösen Konflikten überschattet. Ägyptische Regierungsvertreter wollten sich nicht in einer Synagoge zeigen, nachdem israelische Sicherheitskräfte gegen Palästinenser vorgegangen waren. Spannungen zwischen Israel und den Palästinensern treffen auch die letzten Juden in Ägypten, obwohl das Land seit 1979 einen Friedensvertrag mit Israel hat.

Hoffnungen auf eine Entspannung durch den Arabischen Frühling wurden enttäuscht. "Das hat sich überhaupt nicht verbessert, es ist eher schlimmer geworden", klagt Harari. Die Gemeindevorsteherin in Kairo werde vom Staat massiv überwacht und könne sich nicht frei äußern. In Alexandria schlossen die Behörden an den diesjährigen Feiertagen die Synagoge, wie israelische Medien berichteten. Ägyptische Behördenvertreter dementierten dies später.

Sorge bereitet den letzten Juden am Nil auch, was aus den Besitztümern der früher wohlhabenden Gemeinden wird. Ihre Gebäude in Alexandria und Kairo stünden auf wertvollen Grundstücken, auf die Unternehmer und Politiker ein Auge geworfen hätten. "Wenn einmal der letzte Jude von Kairo gestorben sein wird, dann werden die Güter vom Staat beschlagnahmt werden", fürchtet Harari.

Im Schatten des Nahostkonflikts

Jüdische Pilger in der Ghriba-Synagoge in Djerba; Foto: picture-alliance/dpa
Jüdische Pilger in der Ghriba-Synagoge in Djerba: In Tunesien funktioniert das Gemeindeleben noch. In der Hauptstadt und auf der Insel Djerba sind einige Synagogen am Sabbat geöffnet; Foto: picture-alliance/dpa

​​In Tunesien funktioniert das Gemeindeleben noch. In der Hauptstadt und auf der Insel Djerba sind einige Synagogen am Sabbat geöffnet. Im Gegensatz zu früher kämen aber auch an den hohen Feiertagen nur noch wenige Leute, erzählt Roger Bismuth, Präsident der Weltzentrums für das nordafrikanische Judentum mit Sitz in Marseille.

"Die Situation fing bereits an, sich ab 1967 zu verändern mit dem Sechs-Tage-Krieg und mit der gefährlichen und ungerechten Gleichsetzung von Juden mit Israelis", erklärt Bismuth. Der israelisch-palästinensische Konflikt sei dadurch zum Konflikt zwischen Juden und Muslimen geworden. Die meisten Familien seien deshalb ausgewandert.

Mit den Umwälzungen des Arabischen Frühlings keimten auch in Tunesien Hoffnungen auf mehr Gleichberechtigung der Religionen. Anfang 2011 stürzte Präsident Ben Ali. Im anschließenden Chaos wurden jedoch zweimal jüdische Einrichtungen angegriffen. Bei einem der Übergriffe versuchten Islamisten, in die Hauptsynagoge von Tunis einzudringen. Dabei riefen sie judenfeindliche Parolen.

Übergangspräsident Moncef Marzouki sagte den Juden Schutz zu. Im künftigen Parlament erhalten Juden möglicherweise zwei Sitze. Die Sorgen sind jedoch geblieben. So forderte der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde auf Djerba, Perez Trabelsi, erst vor kurzem mehr Schutz. Trabelsi reagierte in den tunesischen Medien auf einen vereitelten Versuch, einen Juden in der Stadt Zarzis zu entführen.

Von der traditionellen Pilgerfahrt zu den jüdischen Stätten auf Djerba hatten die israelischen Behörden in diesem Jahr abgeraten. Sie befürchteten Anschläge. 2002 war die Ghriba-Synagoge auf der Insel bei einem al-Qaida-Anschlag verwüstet worden. 21 Menschen starben damals, darunter 14 deutsche Urlauber.

Roger Bismuth vermisst eine klare Haltung der neuen tunesischen Regierung zum Schutz der Juden und anderen Minderheiten. "Meiner Meinung nach drückt sich die herrschende religiöse Nahda-Partei um eine Erklärung, weil sie salafistische Verbündete hat", sagt der Präsident des Zentrums für das nordafrikanische Judentum. Diese Salafisten seien sehr antijüdisch eingestellt. Bismuth glaubt: Wenn sich die Lage verschlechtern sollte, dann würden auch die letzten Juden auswandern.

Andreas Gorzewski

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de