Todesurteil Journalist
Rascha Abdullah al-Harazi und ihr Ehemann Mahmud al-Utmi wollten zu einer der letzten Untersuchungen in ein Krankenhaus in Aden fahren. Ihren Erstgeborenen Jawad hatten sie zu den Großeltern gebracht. Rascha war im neunten Monat schwanger - das Baby sollte bald auf die Welt kommen.
Als das Paar in den Wagen stieg, explodierte eine Autobombe. Rascha starb an Ort und Stelle, mit ihr das ungeborene Kind. Ihr Mann wurde mit sehr schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. "Rascha war eine so liebenswerte junge Frau. Nie hätte ich daran gedacht, dass sie Opfer eines Anschlags wird", sagt Asma A., eine gute Freundin des Paares.
Bedrohung von allen Seiten
So wie Mahmud al-Utmi und Rascha Abdullah al-Harazi ist auch Asma A. Journalistin und will aus Sicherheitsgründen ihren echten Namen nicht veröffentlicht sehen. Mahmud al-Utmi war bis zu seiner schweren Verletzung freiberuflicher Reporter für den emiratischen Fernsehsender Al-Ain, soll aber auch für saudische Medien tätig gewesen sein. Seine getötete Frau war ebenfalls immer wieder journalistisch tätig. "Ich kann bis jetzt nicht fassen, dass sie auf so brutale Weise aus dem Leben gerissen wurde. Sie hat ab und zu als Fotojournalistin gearbeitet oder ihren Mann bei Berichten begleitet", sagt Asma A. unter Tränen.
Journalisten im Jemen dokumentieren seit über zehn Jahren die dramatische Entwicklung ihres Landes. 2012 wurde im Zuge der Aufstände in vielen arabischen Ländern Präsident Ali Abdullah Saleh gestürzt. Seit fast schon sieben Jahren tobt im Jemen ein Bürgerkrieg, in den auch ausländische Mächte involviert sind. Seit 2015 unterstützt eine von Saudi-Arabien geführte Koalition die Regierung des Landes, der Iran steht den Huthi-Rebellen zur Seite, die mittlerweile weite Teiles des Landes kontrollieren - inklusive der eigentlichen Hauptstadt Sanaa.
Die meisten hochrangigen jemenitischen Regierungsbeamten leben im benachbarten Saudi-Arabien. Und Aden wird seit 2020 von Separatisten eines sogenannten Südlichen Übergangsrats verwaltet, einem von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützten Gremium, das wiederholt mit der Regierung über die Kontrolle des Südens gestritten hat. Denn eigentlich hat die international anerkannte Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi in Aden ihren Sitz, seit die Huthis sie aus Sanaa vertrieben hat. Dazu kommen terroristische Gruppen wie Al-Kaida oder der sogenannte Islamische Staat (IS), die inmitten des Chaos darum kämpfen, ebenfalls ihren Einfluss auszuweiten.
"Jemens Journalisten werden von allen politischen Fraktionen ins Visier genommen", sagt Asma A. "Wenn du dich in deiner Berichterstattung politisch eindeutig auf eine Seite schlägst, musst du damit rechnen, getötet oder verhaftet zu werden."
Bürgerkrieg im Jemen: "Journalistinnen und Journalisten genießen kaum Schutz"
"Journalistinnen und Journalisten würden häufig als Teil einer Konfliktpartei wahrgenommen und nicht als zivile Beobachter," sagt Christopher Resch, Pressesprecher von Reporter ohne Grenzen (RoG) in Berlin. "Sie genießen somit kaum wirksamen Schutz." Auf der RoG-Rangliste der Pressefreiheit belegt der Jemen derzeit Platz 169 von 180.
Mahmud al-Utmi ist im Jemen bekannt für seine kritische Berichterstattung über die Huthi-Rebellen. Er soll mutmaßliche Menschenrechtsverstöße durch sie dokumentiert haben. Er und seine Frau Rascha hatten daher aus Sorge um seine Sicherheit Sanaa verlassen und waren nach Aden gezogen. Laut dem "Committee to Protect Journalists" - dem Komitee zum Schutz von Journalisten - sollen seit 2014 mindestens 19 Journalisten im Jemen getötet worden sein.
Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen sind vier von ihnen allein im Herbst 2021 getötet worden. Drei Journalisten starben am 10. Oktober bei einem Anschlag auf einen Autokonvoi des Gouverneurs von Aden, Rascha ist die vierte getötete Journalistin. Mehrere Journalisten sitzen derzeit außerdem in Haft.
Aden gilt als besonders gefährlich
"Alle vier in diesem Jahr getöteten Journalisten starben in der Region Aden", berichtet RoG-Vertreter Resch. "Verschiedene Medienberichte legten den Verdacht nahe, dass die Huthis für die Taten verantwortlich waren, die versuchen, ihre Macht auch auf diesen Teil des Landes auszudehnen.", so Resch im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Aber in allen Teilen des Landes ist es extrem gefährlich, als Journalist oder als Journalistin zu arbeiten."
Nicht nur die Huthis sprechen Todesurteile gegen Medienschaffende aus, foltern oder verhaften sie. Auch die international anerkannte Regierung und der sogenannte Südliche Übergangsrat verfolgen Journalisten und nehmen sie fest. Die Huthis streiten derweil ab, hinter dem Anschlag auf das Journalisten-Ehepaar in Aden zu stecken.
Mahmud al-Utmi hat den Anschlag mit schweren gesundheitlichen Schäden überlebt. Viele Bekannte und Beobachter gehen davon aus, dass der Anschlag eigentlich ihm galt. Die mit beiden befreundete Asma A. lässt das Geschehene nicht los. Auch sie hat lange in Sanaa für verschiedene Medien, darunter auch ausländische, berichtet. "Zuletzt konnte ich nicht mehr mit Kamera aus dem Haus gehen, geschweige denn Interviews auf der Straße führen", erzählt sie am Telefon. Das sei zu gefährlich gewesen. "Ich hätte nur nur noch sicher mit einer Genehmigung arbeiten können. Aber um diese zu bekommen, hätte ich mich verpflichten müssen, mich politisch auf eine Seite zu schlagen. Das wollte ich nicht", sagt sie.
Flucht ins Ausland
Abgesehen von der konkreten Bedrohung für Journalisten durch politische Gruppierungen erschweren Kämpfe, Bombenangriffe und die schlechte wirtschaftliche und humanitäre Lage die alltägliche Arbeit von Journalisten. Sender schließen, und wer Arbeit hat, der verdient meist wenig Geld und ist permanenter Gefahr an Leib und Leben ausgesetzt. Für viele Journalisten ist das Exil die einzige gangbare Option - eine Entscheidung, die ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringt. Denn nicht alle Journalisten finden im Ausland Arbeit und wissen zudem nicht, was sie erwartet, wenn sie zurückkehren.
Auch Asma A. hat das Land mittlerweile verlassen. "Ich habe mich nicht mehr sicher gefühlt. Außerdem habe ich das viele Leid und Elend nicht mehr ertragen, das ich als Reporterin gesehen habe. Seit Jahren berichte ich über Tod und Gewalt. Das hat etwas mit mir gemacht. Ich brauche eine Pause, um mich um meine psychische Gesundheit zu kümmern."
Auch der jemenitische Journalist Mohammed A. - der ebenfalls seinen echten Namen nicht nennen möchte - musste mit seiner Familie aus der Hauptstadt Sanaa wegziehen. Er ist aber an einem anderen Ort im Jemen geblieben: "Auch ich konnte den psychologischen Druck in Sanaa nicht mehr aushalten. So viele meiner Freunde und Kollegen wurden festgenommen oder zum Tod verurteilt. Ich war aus Sorge um unsere Sicherheit letztendlich nur noch zu Hause”, schreibt er der Deutschen Welle. "Die Stimme der Freiheit von Sanaa gibt es lange nicht mehr."
Kein gesetzlicher Schutz
Asma A. und auch Mohammed A. beklagen beide, dass es keine Gesetze zum Schutz von Journalisten gibt. Sie und ihre Kollegen seien schlichtweg Willkür ausgesetzt.
Dazu kommt: Anfang Oktober 2021 hat der UN-Menschenrechtsrat gegen die Verlängerung des Mandats der Gruppe hochrangiger Experten für den Jemen (Group of Eminent Experts on Yemen, GEE ) gestimmt, die bis dahin Angriffe und Übergriffe im Jemen überwacht hatten. Die Entscheidung löste bei vielen Experten Empörung aus. Denn sie haben diese Gruppe als ein entscheidendes Instrument gesehen, um jemenitische Parteien zur Rechenschaft ziehen zu können - auch für potenzielle Kriegsverbrechen.
"Ich weiß nicht, wie man Journalisten im Jemen noch helfen soll", sagt Asma A. "Ich weiß nur, dass alle politischen Parteien in meinen Augen Kriminelle sind. Sie alle tragen Waffen, sie alle bedrohen Journalisten und schränken unsere Arbeit und die Pressefreiheit ein."
Sie wünscht sich, dass jemenitische Journalisten mehr psychologische Unterstützung erhalten. Und Christopher Resch von Reporter ohne Grenzen sagt: "Es muss für jemenitische Journalisten und Journalistinnen die Möglichkeit geben, dass sie im akuten Bedrohungsfall auf sicherem Wege das Land verlassen und in einem anderen Land, etwa in Deutschland, Zuflucht finden können."
Asma A. weiß nicht, ob und wann sie wieder in den Jemen zurückkehren wird. Der Mord an ihrer Freundin Rascha hat eine mögliche Rückreise vorerst in weite Ferne rücken lassen.
© Deutsche Welle 2021
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