Das Eigene und das Fremde besser verstehen
Interreligiöse Dialogrunden gibt es viele, aber oft bleibt nach dem gemeinsamen Gespräch das schale Gefühl, aneinander vorbeizureden. Es werden die gleichen Begriffe verwendet, aber die Beteiligten verbinden andere Inhalte mit ihnen. Oder es gibt unterschiedliche Wörter für gleiche Inhalte. Die Verständigung ist schwierig, gepflastert von Missverständnissen, die immer wieder aufs Neue aufbrechen.
Das gilt übrigens nicht nur für die religiöse, sondern auch für die politische und soziale Terminologie. Zum Beispiel verbinden viele Muslime mit dem Wort Integration eher die Anpassung oder Assimilation und lehnen ihn daher ab. Das soll jetzt anders werden. Mit einem Grundlagenwerk, das sich über die wichtigsten Begriffe in Christentum und Islam verständigt, soll eine tragfähige Basis für den weiteren Dialog der beiden monotheistischen Religionen entstehen.
Aufwändiges Projektvorhaben
Diese Verständigung hat Zeit gebraucht. Sieben Jahre lang haben rund 100 christliche und muslimische Wissenschaftler an dem Projekt gearbeitet. Mit Fördergeldern aus dem Europäischen Integrationsfonds konnte die aufwändige Kooperation finanziert werden, es gab allein 40 Redaktionskonferenzen, um über die 330 Artikel des Lexikons zu diskutieren. Manche Artikel wurden wieder und wieder überarbeitet, bis ein Konsens gefunden war.
Am Ende haben alle Wissenschaftler zugestimmt. Besonders umstritten war zum Beispiel der Beitrag über Islamophobie aus christlicher Sicht: Er brauchte 20 Redaktionsrunden, bis man sich auf eine Version einigen konnte.
Zentrale Begriffe aus beiden Religionen werden behandelt, von Abendmahl bis Zwölferschiiten, von Antisemitismus bis Zwangsheirat. Begriffe wie Apostasie, Gottesbeweis, Heiliger Geist, Gleichheit von Mann und Frau, Menschenrechte, Religionsfreiheit, Scharia und Dschihad, werden in der Regel aus christlicher und muslimischer Sicht dargestellt. Dabei überwiegt auf islamischer Seite die sunnitische Perspektive, schiitische Blickweisen kommen zwar vor, aber eher untergeordnet.
Die muslimischen Artikel stammen überwiegend von den sunnitischen Professoren der Islamisch-Theologischen Fakultät der Universität Ankara. Das hat dem Lexikon die Kritik eingebracht, es stelle die moderne Lesart der sogenannten "Ankara-Schule" dar, habe aber mit der Realität in großen Teilen der islamischen Kernländer nichts zu tun.
Eine Kritik, die Herausgeber Richard Heinzmann nicht akzeptiert. Natürlich habe man die Religionsvertreter so ausgewählt, dass sie für eine Öffnung ihres Bekenntnisses für die Zukunft stehen. Alles andere mache für ihn keinen Sinn. Die Auswahl der Autoren sei "mit Offenheit für die Zukunft und mit der nötigen Traditionskritik" erfolgt, betont Richard Heinzmann, emeritierter Professor für Christliche Philosophie an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, der die wissenschaftliche Gesamtleitung des Projekts hatte.
Eine Einflussnahme von außen
Ohne die Bereitschaft auf beiden Seiten, über etliche Schatten zu springen, wäre das Projekt kaum gelungen. Und ohne die nötige Distanz zu Politik und Hierarchien auch nicht. Es gab keine Einmischung von außen, weder vom türkischen Religionsministerium noch von den christlichen Kirchen.
Nur so konnte es zu einem ernsthaften Ringen um besonders umstrittene Themen kommen, bei dem jede Seite Zugeständnisse machte. Das sieht man zum Beispiel am Eintrag zum Thema "Religionsfreiheit".
Der Autor, Richard Heinzmann, schreibt in seinem Beitrag, dass Religionen einem historischen Prozess unterworfen seien. Das Christentum habe jahrhundertelang bis zum 2. Vatikanischen Konzil die Religionsfreiheit mit Füßen getreten. Dieses Zugeständnis, so Heinzmann, "hat Eindruck gemacht" bei den muslimischen Theologen. Es sei danach für die türkischen Wissenschaftler leichter gewesen, zu akzeptieren, dass in ihrem, dem islamischen Artikel zu Religionsfreiheit, steht: "Religionen die keine Religionsfreiheit anerkennen, haben in einer Demokratie nichts zu suchen".
Ismail Hakki Ünal, Professor für islamisches Recht an der Islamisch-Theologischen Fakultät der Universität Ankara, hat die islamische Perspektive auf "Religionsfreiheit" eingebracht und räumt Defizite in der islamischen Welt bei diesem Grundrecht ein. Um sie zu überwinden, müsse der Staat mit den Religionen "respektvoll umgehen und sich in religiösen Fragen neutral verhalten", schreibt er.
So gelingt es an einigen Stellen, Streitpunkte auszuräumen, Kontroversen zu entschärfen und in der Verständigung einen Schritt weiter zu kommen. Das gilt auch für dogmatische Fragen mit einer langen Tradition der Polemik zwischen beiden Religionen, wie dem christlichen Verständnis von Trinität. Gott, Sohn und Heiliger Geist – diese christliche Dreieinigkeit hat im Laufe der Geschichte häufig zu harten christlich-islamischen Auseinandersetzungen geführt, weil der islamische Schwerpunkt auf der Einheit Gottes liegt.
Der Eintrag zu Trinität aus islamischer Sicht, geschrieben von dem Religionshistoriker Mehmet Katar, erwähnt zwar die Kritik des Koran an der christlichen Vorstellung, macht aber deutlich, dass der Polytheismus-Vorwurf an der Sache vorbeigeht. "Um auszudrücken, dass diese drei Personen der eine Gott sind, prägte man die Formulierung des einen, in drei Personen existierenden Gottes", schreibt Katar. Solche gegenseitigen Aha-Effekte ließen sich noch fortsetzen.
Dabei wurden keine noch so heiklen Fragen ausgeklammert, aber manchmal muss man ein wenig suchen. Unter dem Stichwort "Apostasie" findet man nur die christliche Perspektive, wie der Islam die Frage des Bekenntniswechsels beurteilt, steht unter "Konversion". Beide Einträge heben hervor, dass keine Religion in weiten Teilen ihrer Geschichte den Wechsel ihrer Gläubigen zu einer anderen Religion positiv bewertet hat.
Kein Zwang im Glauben
Bibel und Koran gehen von der grundsätzlichen Freiheit des Menschen aus, nicht nur die Religionszugehörigkeit zu wechseln, sondern sich auch gegen jede Form von Glauben an eine Religion zu entscheiden. Die Umsetzung scheitert häufig am fehlenden politischen Willen.
"Wir haben viel voneinander gelernt", resümiert Ayse Basol vom Institut für Kultur und Religion des Islam an der Frankfurter Goethe-Universität, die die Übersetzungen koordiniert hat. Selbst in säkularen Gesellschaften kommt man nicht drum herum, religiöse Prägungen ernst zu nehmen. Denn viele Irritationen im Zusammenleben entstehen erst dann, wenn Menschen ihre Traditionen nicht mehr kennen oder nie wirklich mit ihnen vertraut waren.
Wer sich die Zeit nimmt und sich der Mühe unterzieht, einen echten Dialog auf Augenhöhe zu führen, kann sich aber durchaus verständigen. Eine Klärung selbst kontroverser Fragen ist offenbar möglich, solange sich die Politik raushält.
Den größten Prüfstein hat das Projekt aber noch vor sich. Denn es will den gleichen Katalog an Grundbegriffen auch mit islamischen Theologen aus der arabischen Welt erarbeiten und sucht bereits nach geeigneten Kooperationspartnern. Auf die Fortsetzung darf man gespannt sein.
Claudia Mende
© Qantara.de 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
"Lexikon des Dialogs. Grundbegriffe aus Christentum und Islam", im Auftrag der Eugen-Biser-Stiftung, herausgegeben von Richard Heinzmann in Zusammenarbeit mit Peter Antes, Martin Thurner, Mualla Selçuk und Halis Albayrak. 2 Bände, Verlag Herder, ISBN 978-3-451-30684-6