Witze, Gezeter und Störmanöver
Die Wahl Hamid Chabats, der im vergangenen September zum Generalsekretär der Istiqlal wurde, der ältesten Partei Marokkos, lenkte das Augenmerk der Öffentlichkeit auf einen immer deutlicheren Trend in der Politik des Landes: den Aufstieg des Populismus.
Der Populismus beherrscht inzwischen die politische Rhetorik, wobei einige Politiker besonders ins Rampenlicht treten konnten, vor allem Abdelilah Benkirane, Premierminister und Vorsitzender der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, der seinen Erfolg wohl nicht zuletzt seinem populistischen Auftreten verdankt.
Zu den Köpfen, die neben ihm die politische Arena dominieren, gehören unter anderen Mohammed El Ouafa von der Istiqlal-Partei, Iliyas El Omari und Abdellatif Wahbi von der Authentizitäts- und Modernitätspartei (PAM), sowie Idris Lashkar und Abdelhadi Khairat von der Sozialistischen Union der Volkskräfte (USFP).
Das Comeback der Populisten wäre jedoch wohl kaum möglich gewesen ohne den vorherigen Niedergang der Technokraten, die sich den Forderungen nach radikalen Reformen beugen mussten, die von der oppositionellen Bewegung des 20. Februar ausgingen.
Letztere wiederum waren es, die schließlich die im Juli 2011 zur Abstimmung gestellten Verfassungszusätze erreichten. Die neue Verfassung entmachtete die Technokraten und stellte den Einfluss der Parteien wieder her. Mit dem Niedergang der etablierten Politiker sind die Populisten immer mehr ins Blickfeld gekommen und präsentieren sich zunehmend als Alternative zu ihren traditionellen Rivalen.
"Die soziale Basis einer Partei verbreitern"
Auch wenn es schwierig ist, den Begriff Populismus genau zu definieren, so kann zumindest für den marokkanischen Kontext festgestellt werden, dass es lange Zeit vor allem als Schmähwort benutzt wurde oder als Kennzeichnung eines Politikstils, der sich dem "Durchschnittsbürger" andient.
In den 1960er und 1970er Jahren erlebte Marokko die erste Welle populistischer Politiker, als Figuren die politische Bühne betraten wie der oft nur als Hofnarr bezeichnete Mohammed Al-Alawi, Arsalan Al-Jadidi oder auch der berühmte Said Al-Joumani. Wie es der politische Denker Mohammed Sabila ausdrückt, erlaubt es der Populismus, "die soziale Basis einer Partei zu verbreitern", womit sichergestellt wird, dass politisches Engagement nicht mehr auf die traditionellen Eliten beschränkt bleibt, sondern neue gesellschaftliche Schichten miteinbezogen werden – viele davon auch ländlicher Herkunft.
Dass die politischen Parteien damit begannen, ihre gesellschaftliche Basis zu erweitern, hat seinen Grund sicherlich zunächst darin, dass Marokko bereits seit 60 Jahren einen Prozess erlebt, bei dem die ländlich geprägte Gesellschaft langsam von einer eher städtischen abgelöst wird. Dadurch erklärt sich auch, dass die vormals rein ländlichen Schichten, die früher von der politischen Meinungsbildung nahezu ausgeschlossen waren, mehr Berücksichtigung von der Politik und den Parteien fanden.
Die Stimmen der Unzufriedenen kanalisieren
Die wirtschaftlichen und politischen Veränderungen, die das Land in den vergangenen Jahren erlebte, machen es insbesondere erforderlich, dass die noch herrschende Elite ersetzt wird durch eine neue Elite, die sich erst noch formieren muss. Die Bewegung des 20. Februar und deren Forderungen nach einem Wandel machten die Notwendigkeit einer neuen politischen Klasse deutlich, die es vermag, die Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten politisch zu instrumentalisieren und für sich zu beanspruchen, "näher am Volk" zu sein.
Diesem Trend scheinen die etablierten politischen Parteien nun zu folgen – und das gilt selbst für die Istiqlal-Partei, die schon immer von der traditionellen Elite beherrscht wurde. In ähnlicher Weise rüstet sich die USFP für die Wahl ihres neuen Generalsekretärs, wobei mit Idris Lashkar schon ein Kandidat für den in den kommenden Wochen durchzuführenden Wahlgang aufgestellt wurde.
Da Marokkos Premierminister Benkirane mit seinem Ansatz – einer Mischung aus schlichter Ansprache, Humor und beißender Kritik – Erfolg hat, ist davon auszugehen, dass auch andere Politiker seinem Beispiel folgen werden: zum Beispiel die Vertreter der Opposition, die versuchen werden, Kandidaten zu finden, die in der Lage sind, Benkirane mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Dies ließe sich auch als Signal verstehen, dass die politischen Parteien generell dahin tendieren, populistische Führer aufzustellen.
Blinder Enthusiasmus und Gehorsam
Einige Beobachter glauben, dass das Auftreten populistischer Politiker zumindest aus der Sicht des Staates den positiven Effekt einer größeren politischen Partizipation haben kann. Dafür spräche die nicht unerheblich gestiegene Wahlbeteiligung im Vergleich der Wahlen von 2007 (37 Prozent) und 2011 (45 Prozent), wie es das Innenministerium verlauten lässt.
Der Staat allerdings setzt schließlich auf eine möglichst hohe Beteiligung an den Wahlen und ist deshalb bemüht, sie vor Kritik in Schutz zu nehmen. Andere wiederum denken, dass die dem Populismus eigene Oberflächlichkeit nicht nur das Wesen des politischen Diskurses verändert, sondern auch dafür sorgt, dass die Öffentlichkeit gar nicht mehr richtig verstehen kann, worum es bei komplexeren Fragen tatsächlich geht.
Der politische Philosoph Mohammed Boujanal etwa sieht die Oberflächlichkeit des Populismus repräsentiert durch "Benkiranes Witze, El-Omaris Gezeter und Chabats Störmanöver".
Bei all dem gibt es durchaus eine Ebene, auf der die Unterschiede zwischen diesen Politikern verschwinden und sich deutliche Berührungspunkte zeigen. Deshalb betont Boujanal: "Der Populismus sorgt dafür, dass die marokkanische Bevölkerung sich möglichst wenig aktiv politisch engagiert und sich eher durch blinden Enthusiasmus und Gehorsam auszeichnet, ohne dabei je zu einem tieferen Verständnis der politischen Situation gelangen zu können."
Benkirane, El-Omari, Chabat und andere setzen diesen passiven Populismus gezielt ein, um breite politische Zustimmung zu erhalten. Wenn sich auch die Form des Populismus in ihren jeweiligen Nuancen unterscheiden mag, so bleibt dem Populismus doch eines gemein: das Primat der reinen Zweckmäßigkeit.
Mohammed Jalid
© Sada – Carnegie Endowment for International Peace 2012
Mohammed Jalid ist marokkanischer Autor, Übersetzer und Journalist.
Aus dem Englischen von Daniel Kiecol
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de