Musik als Ort der Hoffnung

Die Syrerin und Wahlbritin Maya Youssef verarbeitet auf ihrem zweiten Album "Finding Home“ Gefühle von Verlust und Zerstörung und gelangt musikalisch an einen Ort jenseits von Krieg und Gewalt. Von Stefan Franzen  

Von Stefan Franzen

Wie kein anderes Instrument verkörpert die Kanun die filigrane Seite der orientalischen Musik. Korrekt klassifiziert wird sie als Kastenzither, doch schließt man die Augen und horcht man ihrem Klang, muss man sich zwangsläufig fragen: "Klingt so eine Zither?" In der Tat fühlt man sich eher an die perlenden Läufe einer Harfe erinnert, bei der Fülle von 78 Saiten, die teils in Neunteltönen gestimmt sind. 

Im Gegensatz zur Harfe in der europäischen Klassik ist allerdings das Spielen der Kanun sehr lange eine Männerdomäne geblieben, für Mädchen galt es als nicht schicklich, sich dem Instrument zu widmen. Erst jetzt beginnt eine Öffnung des Instruments für die Spielperspektive von Frauen, und die in England lebende Syrerin Maya Youssef hat wesentlichen Anteil daran, dass die Sphäre der Kanun nun auch eine weibliche wird.  

 

Vor vier Jahren erregte Maya Youssef zum ersten Mal Aufmerksamkeit mit ihrem Debütalbum "Syrian Dreams“: Auf dem Erstlingswerk präsentierte sie die Kanun in einem kammermusikalischen Kontext mit Cello und Perkussion. Es ist ein zugleich virtuoses wie wehmütiges Album, das auch der musikalischen Bewältigung des Krieges in Syrien diente. Maya Youssef ist überzeugt, dass Musik Wunden heilen, Traumata lösen kann. Seit dem Beginn des Krieges in Syrien ist Maya Youssef nicht nur Interpretin, sondern auch Komponistin, Wut und Verzweiflung brachten sie dazu, selbst schöpferisch zu werden. "Musik ist in Kriegszeiten ein wesentliches Mittel, um mit den Gefühlen von Verlust und Trauer, dem Leid und der Zerstörung eines Landes umzugehen.“ Diese Überzeugung äußert sie nicht nur mündlich oder auf dem Papier: Dafür bürgen ihre Konzerte und ihre Theaterarbeit mit geflüchteten syrischen Kindern.

 

 

 

Musik als Ort von Frieden und Sanftheit

Mit "Finding Home“ setzt Maya Youssef ihre Arbeit für den Frieden in Töne um: "Die Musik bewegt sich auf diesem Album durch Verlust und Verwandlung hindurch, erreicht schließlich einen Ort der Hoffnung“, schreibt sie im Beiheft. Heimat bedeutet für sie – in Zeiten weltweiter Fluchtbewegungen und Kriegshandlungen – nicht unbedingt ein geographisches, vielmehr ein spirituelles wie emotionales Zuhause, ein – auch imaginärer - Ort des Friedens, der Sanftheit. Menschen können ein Zuhause vermitteln genau wie die Natur. Dies immer eingedenk dessen, dass ein syrisches Zuhause, wie es Millionen von Menschen kannten, nicht mehr wiederkehrt. Sie haben eine Heimat verloren, von der sie sich nicht einmal verabschieden konnten. Und das Gleiche lässt sich nun auch von Millionen Ukrainern und Ukrainerinnen sagen, weshalb "Finding Home“ eine doppelt schmerzliche Aktualität besitzt. 

 

Eine erweiterte Kammerbesetzung dient Maya Youssef dazu, diese Thematik musikalisch aufzufangen. Mit dabei sind der italienische Jazzbassist Mikele Montolli, der von Weltmusik bis Avantgarde in vielen Formationen erprobt ist. Das Terrain des britischen Pianisten Al MacSween fächert sich vom Latin-Genre bis nach Indien auf. Ähnlich vielfältig von Klassik über Jazz bis World ist die Cellistin Shirley Smart unterwegs, Perkussionistin Elizabeth Nott hat ihr Spektrum bis hinein in den Film und die Theaterarbeit geweitet. 

 

Erfahrungen von Schmerz gestaltet Youssef auf ganz verschiedene Art aus: Das Foto einer Mutter, die ihr Kind durch den Bombenhagel trägt, transformiert sie in eine würdevolle, gesangliche und wiegende Improvisation, die fast wispernde Geigen begleiten. Es ist berührend, wie sie die Abwesenheit der eigenen Mutter dann mit "In My Mother’s Sweet Embrace“ auffängt, wo eine ruhig schreitende Melodie von einem Bogen aus melancholischem, melismatischem Gesang umspannt wird. In "Jasmine Bayati“ drückt sie ihre Sehnsucht nach der Heimatstadt Damaskus, deren Symbol der Jasmin ist, in tänzerischer Ausgelassenheit aus.

Maya Youssef an der Kanun; Foto: Sarah Ginn
Maya Youssef an der Kanun, der orientalischen Zither: "Klingt so eine Zither?" fragt Rezensent Stefan Franzen. "In der Tat fühlt man sich eher an die perlenden Läufe einer Harfe erinnert, bei der Fülle von 78 Saiten, die teils in Neunteltönen gestimmt sind. Im Gegensatz zur Harfe in der europäischen Klassik ist allerdings das Spielen der Kanun sehr lange eine Männerdomäne geblieben, für Mädchen galt es als nicht schicklich, sich dem Instrument zu widmen. Erst jetzt beginnt eine Öffnung des Instruments für die Spielperspektive von Frauen, und die in England lebende Syrerin Maya Youssef hat wesentlichen Anteil daran, dass die Sphäre der Kanun nun auch eine weibliche wird.“  



Der Groove wird hier auch durch eine soulig pumpende Orgel vorangetrieben. In die ruhige Melodie von "Silver Lining“ hat sie die dunkle Zeit des Lockdown gegossen: Die kurzen, "tropfenden“ Motive fließen schließlich in eine Improvisationsstrecke, bei der die wirbelnde Rasanz am Ende für ein Aufbäumen neuen Lebenswillens steht.

Arabische Quellen treffen auf eine westliche Jazzsphäre

Rasch fällt auf, dass Maya Youssef sich von einer Tonsprache gelöst hat, die nur "orientalisch“ zu verorten wäre. Die neun Kompositionen schweben in freier Imagination, die sich aus arabischen Quellen genauso speisen wie aus einer westlichen Jazzsphäre. Letztere hat auch einen Hang zum Populären. Und so gerät - an wenigen Stellen - diese Sprache auch einmal in repetitive, gefällige Muster, wie etwa "An Invitation To Daydream“, das durch die feingliedrigen, flächigen Gemälde der Libanesin Malerin Huguette Caland inspiriert wurde.

Liedhaft und kreisend spielt Youssef in "Walk With Me“ mit dem Dialog zwischen Kanun und Streichquartett. Und "My Homeland“, ein Loblied auf Syrien, das zugleich eine Klage ist, hat mit seiner einprägsamen Lamento-Basslinie im Piano fast das Potenzial zu einer Popballade.

Mitunter am überzeugendsten sind die Passagen, in denen sich Maya Youssef tatsächlich auf traditionelle arabische Formen beruft, diese aber neu auskleidet: "Samai Of Trees“ etwa hat sie im strengen Zehnachtel-Takt geschrieben. Mit Cello, Bass und Rahmentrommel tanzt die Kanun fast schwerelos und lichtvoll in überschwänglicher melodischer Virtuosität.

Der größte Wurf gelingt Maya Youssef und ihrem Ensemble schließlich in "Soul Fever“, wiederum angeregt durch ein Kunstwerk: Samira Abbasys "Unravelling“, eine Kohlezeichnung, die eine königliche, auf die ägyptische Diva Oum Kulthoum verweisende Frauenfigur porträtiert, liefert ihr den Stoff für das dramatisch sich steigernde, von feurig- erotischer Spannung getragene "Soul Fever“.

Von Krieg und Entwurzelung zu einem anderen Heimatgefühl, von Pandemie und Lockdown zu neuer Lebenskraft: "Finding Home“ ist eine streckenweise kathartische Reise in ein unsicheres Morgen voller Herausforderungen. Aufrüttelnd und erschütternd, aber auch besänftigend und Trost spendend.  

Stefan Franzen

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