Romanzen zwischen Muslimen und Christen 

In ihrem Programm "Romances“, zu hören in der Kölner Philharmonie am 19. August, feiert die Accademia del Piacere aus Sevilla die Verbindung von muslimischer und christlicher Musikkultur im 15. und 16. Jahrhundert. Dafür haben die Musiker die tunesische Sängerin Ghalia Benali als Gaststimme eingeladen. Von Stefan Franzen

Von Stefan Franzen

1492 ist für die meisten von uns das Jahr, in dem Kolumbus Amerika "entdeckte“. Doch im Süden Spaniens hatte das Jahr mit einer ganz anderen Zeitenwende begonnen: Am 2. Januar übergab der letzte maurische König Boabdil die Schlüssel zur Stadt Granada seinem christlichen Nachfolger König Ferdinand V..



Das Ende der jahrhundertelangen arabischen Herrschaft in Andalusien war damit besiegelt. Genau von diesem Umbruch erzählen die "Romances“, in Musik gesetzte Geschichten. 

"In unserer Vorstellung haben Christen und Mauren immer gegeneinander gekämpft, um Territorien oder aus religiösen Gründen. Aber in den 'Romances' bekommt man ein Gefühl dafür, dass das nicht die ganze Zeit so war, vielmehr entstand ein interessanter Mix der Kulturen“, erläutert Fahmi Alqhai, Gambist und Ensemblegründer der Accademia del Piacere.



"Die 'Romances', die ja von christlicher Seite geschrieben wurden, sind oft traurig. Da wird beim Fall von Granada die Frage gestellt: Warum muss der maurische König das Land verlassen? Wir werden in Zukunft diese Begegnung der Kulturen nicht mehr haben. 'Romance‘ heißt also Geschichte, aber es hat auch die Bedeutung von 'Verständnis‘ und von 'Liebe‘“. 

Wie in Syrien vor 2011

Der Gambist Fahme Alqhai; Foto: Accademia del Piacere
Musikalischer Austausch in Andalusien: "In unserer Vorstellung haben Christen und Mauren immer gegeneinander gekämpft, um Territorium oder aus religiösen Gründen. Aber in den 'Romances' bekommt man ein Gefühl dafür, dass das nicht die ganze Zeit so war, vielmehr entstand ein interessanter Mix der Kulturen“, erläutert Fahmi Alqhai, Gambist und Ensemblegründer der Accademia del Piacere.

Fahmi Alqhai verweist auf Parallelen zu seiner eigenen Biografie.



Als Sohn eines syrischen Vaters und einer palästinensischen Mutter wuchs er die ersten elf Jahre seines Lebens in Syrien auf und erlebte in seiner Straße ein Miteinander von Katholiken, Orthodoxen und Muslimen.



Man begegnete sich auf der Straße, kaufte beim andersgläubigen Nachbarn ein.

"Krieg entsteht immer, wenn die Herrschenden fordern, dass man von A nach B zieht, oder dass ein bestimmter Glaube angenommen werden soll. Wir müssen immer daran denken, dass die Differenzen zwischen den Religionen nie ein Problem der einfachen Leute waren“, so seine Überzeugung.  

 

Über dieses außermusikalische Anliegen hinaus zeigt das Programm "Romances“ auch spannende Querverbindungen in den Klängen.

Diese entstanden ganz natürlich, da in den Ensembles der Königshöfe sowohl maurische als auch christliche Musiker spielten und sich Spielpraktiken voneinander abschauten.



Das ist bereits durch Illustrationen im berühmten Buch der "Cantigas" von König Alfons X. aus dem 13. Jahrhundert belegt.



Dieser maurische Einfluss in Südspanien sorgte auch noch nach dem Fall von Granada dafür, dass die Kompositionen der Hochrenaissance sich merklich von der Musik Nordspaniens und erst recht von der Musik nördlich der Pyrenäen zu jener Zeit unterschieden.

"Viele Stücke aus dieser Zeit haben einen Fünfer-Rhythmus, der von den arabo-andalusischen Zehner-Rhythmen abgeleitet ist, wohingegen man im Norden eher in Vierern und Dreiern schrieb. 'Lamma Bada‘, eines der bekanntesten andalusischen Stücke steht im Zehner, und die bekannte Komposition 'Di, perra mora‘ von Pedro Guerrero aus dem 16. Jahrhundert beispielsweise nimmt diesen Rhythmus auf“, erklärt Alqhai.



Eine weitere Besonderheit ist die Verwendung des phrygischen Modus (eine Art Tonleiter neben Dur und Moll, Anm. der Red.), der in Frankreich und England eher selten ist, und es ist zu vermuten, dass auch das auf den Einfluss der Araber zurückgeht. 

Flamenco: "Schönste Begegnung von christlicher und arabischer Kultur"

Nach dem Fall von Granada schloss sich die Ära der Entdeckungen an, die den Mix in der spanischen Kultur weiter befeuerte – mit Einflüssen aus Afrika südlich der Sahara und indigenen Einflüssen aus dem für Europa neuen amerikanischen Erdteil.



Und natürlich dem Flamenco, den die Accademia del Piacere in ihrem Programm prominent mit dem Gitarristen Dani de Morón integriert, als "schönste Blume der Begegnung von christlicher und arabischer Kultur“, wie ihn Alqhai bezeichnet.

 

 

Im Flamenco zeige sich bis heute die Verbindung Andalusiens zu dieser reichen Vergangenheit, denn er ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich die schon vor Ort existierende Folklore mit der Musik der nach Südspanien einwandernden Gitanos zu einer einzigartigen Klangsprache vermischte. 

 

Doch welche Stimmen sind in der Lage, all diese verschiedenen Facetten schlüssig zu bündeln? Hier kommt die in Belgien lebende Tunesierin Ghalia Benali ins Spiel, die Fahmi Alqhai bereits seit fünfzehn Jahren kennt.



"Ghalia ist nicht nur ein warmherziger und offener Mensch, sie hat auch als Künstlerin ein riesiges Potenzial“, so Alqhai. "Sie hat ein tiefes Wissen über diese Brücken zwischen den Kulturen und brachte auch eigene Ideen ein, etwa die zeitgenössische Lyrik eines palästinensischen Dichters, der nach Brüssel geflohen ist. So haben wir also verschiedene Fluchtbewegungen im Programm: die aktuellen Fluchtbewegungen neben der Flucht der Mauren, die damals Spanien verlassen mussten.“



Mit der Sopranistin der Accademia del Piacere, Quiteria Muñoz, bildet Benali eine doppelte Vokalspitze, die sich gegenseitig in Klangfarbe und Ausdruck ergänzt.

"60 Prozent dieses Programms sind nicht schriftlich fixiert. So können wir uns der Musizierpraxis von damals angleichen. Der entscheidende Punkt für mich war, mit Musikerinnen und Musikern zu arbeiten, die improvisieren können. Ghalia und Quiteria sind dafür die Idealbesetzung.“ 

Stefan Franzen

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Accademia del Piacere & Ghalia Benali: "Romances“ , Kölner Philharmonie, Festival FEL!X, Samstag, 19. August, 20 Uhr