In der Mitte der Gesellschaft
Wie können wir unsere Feste feiern? Wie können wir richtig essen? Und wie wollen wir sterben? Das sind wichtige Fragen für Muslime, die in Deutschland zunehmend in der Mitte der Gesellschaft ankommen, aber dennoch ihre jeweilige Variante des Islam praktizieren wollen. Damit sich muslimische Gemeinden stärker auf kommunaler Ebene einbringen, hat das Goethe-Institut zusammen mit der Robert-Bosch-Stiftung ein dreijähriges Projekt aufgelegt.
Rund hundert Akteure aus den Städten Essen, Hamburg, Hamm, Ingolstadt und Mannheim sind daran beteiligt. Jeder Moscheeverein entsendet zwei bis drei Vertreter. Die muslimischen Vertreter entscheiden dann selber, welche Anliegen ihnen am wichtigsten erscheinen und handeln diese Fragen mit der jeweiligen Stadtverwaltung aus. Das deutsche Kulturinstitut sieht sich als Moderator und Koordinator, will sich aber nicht inhaltlich einmischen.
Ingolstadt ist eine bayerische Kommune mit etwa 130.000 Einwohnern, von denen fast 40 Prozent einen Migrationshintergrund haben, wenn man eingebürgerte Deutsche, Aussiedler und in Deutschland Geborene mit ausländischen Eltern einrechnet. Die größte Gruppe von ihnen hat einen türkischen Hintergrund. Etwa sieben Prozent der Einwohner sind Muslime.
In der CSU-regierten Stadt startete das Goethe-Projekt im Herbst 2013 mit Vertretern von sieben verschiedenen Moscheevereinen, darunter die türkische DITIB, arabische Gemeinden, Aleviten und Bosniaken. Eine Milli Görüs-Moscheegemeinde wurde ebenfalls eingeladen, schickt aber bisher keine Vertreter zu den Veranstaltungen und Workshops. Warum nicht bleibt unklar. In Hamm und Mannheim dagegen haben auch Moscheegemeinden, die zu Milli Görüs gehören, Interesse signalisiert.
Potential für Kontroversen
Reuf Avdic vertritt in Ingolstadt die zahlenmäßig kleine Gemeinschaft der muslimischen Bosniaken mit rund 200 Mitgliedern. Für Avdic gibt es eine ganze Reihe von Fragen, die für bekennende Muslime noch nicht befriedigend gelöst sind. Manche von ihnen haben dabei durchaus ein Potential für Kontroversen mit der "Mehrheitsgesellschaft".
Muslime wollen ihren Glauben hier in Deutschland leben, aber es ist für sie nicht immer klar erkennbar, was mit der gängigen Rechtspraxis vereinbar ist. Manche Regelungen sind kompliziert. Zum Beispiel wenn Muslime vor dem Opferfest ihre Lämmer halal, also nach islamischen Vorschriften, schlachten wollen. Es ist ihnen wichtig, bei der Schlachtung dabei zu sein und das vorgesehene Gebet zu sprechen. Die Fleischstücke werden dann im Familien- und Freundeskreis verteilt.
Das Schächten von Tieren ist aber in Deutschland ein ausgesprochen heikles Thema. Dabei wird das Tier durch einen Schnitt durch die Kehle getötet und blutet aus. Ob eine vorherige Betäubung religiös erlaubt ist oder nicht, ist unter Muslimen umstritten. Das Tierschutzgesetz (Paragraph 4a) verbietet die Praxis des Schächtens, aber Ausnahmen sind zulässig, wenn ein religiöser Glaube – wie im Judentum oder Islam –sie zwingend vorschreibt. Dann kann bei der zuständigen Behörde eine Sondergenehmigung beantragt werden. Hier prallen verschiedene Wertvorstellungen aufeinander. Tierschützer lehnen das Schächten als Tierquälerei ab. Muslime wollen dagegen Rechtssicherheit.
Streitpunkt muslimische Bestattungen
Auf kommunaler Ebene lässt sich dieser Konflikt sicher nicht lösen. Welchen Sinn macht es dann, ihn in den Kommunen zu besprechen? Projektleiter Sebastian Johna vom Goethe-Institut betont, die einzelnen Themen würden von den Projektteilnehmern selbst gesetzt. "Weder unterstütze ich ein spezielles Anliegen noch möchte ich es blockieren. Ich sehe meine Rolle darin, einen Rahmen zu schaffen, um drängende Themen zu besprechen", sagt er. Dazu stellt Johna die nötigen Kontakte zu Experten und den Stadtverwaltungen in den fünf Projekt-Kommunen her. Er räumt aber auch ein, dass nicht alle Anliegen auf der kommunalen Ebene umsetzbar seien.
Ein anderes, weniger aufgeladenes Thema, sind islamische Bestattungen. Für Muslime ist es wichtig, dass die Toten so bald wie möglich unter die Erde kommen. Aber was tun, wenn an einem Sonntag die Friedhöfe geschlossen sind? Derzeit werden die Toten noch überwiegend von Bestattern in ihre Heimatländer überführt. Aber die Zahl muslimischer Migranten, die ihr Leben in Deutschland verbracht haben und auch hier beerdigt werden wollen, nimmt zu. Sie wollen wissen, inwieweit sie nach islamischen Vorschriften ihre letzte Ruhe finden können.
Die Frage der Speisevorschriften im Alltag beschäftigt ebenfalls viele Muslime. "Für uns ist es manchmal umständlich, in öffentlichen Kantinen ständig nachfragen zu müssen, ob die angebotenen Gerichte tatsächlich weder Schweinefleisch noch Alkohol enthalten", sagt Reuf Avdic. Oft bieten die Kantinen zwar Pute statt Schwein an, übersehen dann aber den Speck in der Soße. Für Avdic wäre eine Kennzeichnung sinnvoll, zum Beispiel in der Form eines Aufklebers, der garantiert, dass kein Schweinefleisch enthalten ist.
Gemeinsamkeiten und Differenzen kennenlernen
Das wäre doch auch für Nichtmuslime hilfreich, meint er. Darüber wollen die Ingolstädter Muslime mit der städtischen Verwaltung sprechen. "Wir pflegen den offenen Dialog mit den Muslimen", sagt Ingrid Gumplinger, Mitarbeiterin des Ingolstädter Integrationsbeauftragten. "Wir werden prüfen, inwieweit wir ihnen entgegenkommen können."
Für Avdic ist die Kooperation mit dem Goethe-Institut hilfreich, damit die Anliegen der Muslime mehr Gehör bei den Stadtverwaltungen finden. "Als einzelner Verband hätten wir kaum Chancen, ernst genommen zu werden“, meint er. Durch die Vermittlung des deutschen Kulturinstituts "bekommen unsere Anliegen ein ganz anderes Gewicht."
Aber es geht in dem Projekt nicht nur um bessere Kontakte der Muslime zu den kommunalen Behörden. Die muslimischen Gemeinschaften lernen ihre Gemeinsamkeiten und Differenzen untereinander besser kennen und im Idealfall auch aushalten.
So stimmen zum Beispiel die Aleviten mit vielen religiösen Überzeugungen sunnitischer Muslime nicht überein. Für Ingrid Gumplinger von der Stadt Ingolstadt sind durchaus Vorbehalte der Muslime untereinander spürbar, "aber die Themen betreffen alle Glaubensrichtungen. Wichtig ist doch, dass man sich gemeinsam an einen Tisch setzt".
Claudia Mende
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de