Hochglanz-Nationalismus für Irans Jugend
Hunderttausende Menschen gingen in Iran im Januar 2020 auf die Straßen, um den Tod Qasem Soleimanis zu betrauern. Die Tötung des Generals der sogenannten Al-Quds-Brigaden durch eine US-Drohne in Bagdad, so der Tonus, habe nicht nur den üblichen systemloyalen Teil der Bevölkerung mobilisiert.
Stattdessen hätten auch viele Iraner ihren Unmut und ihre Trauer bekundet, die sonst keine der offiziellen Protestmärsche besuchten, an denen es im Kalender der Islamischen Republik nicht mangelt. Vielfach wurden die Demonstrationen als Zeichen patriotischen Zusammenhalts inmitten gesellschaftlicher Unruhen gewertet.
Folgt man dem neuen Buch der Anthropologin Narges Bajoghli, so wäre dies nicht zuletzt ein Erfolg für die staatliche Medienelite der Islamischen Republik. Diese habe seit zehn Jahren systematisch daran gearbeitet, neue Medien zu bespielen und ein inklusiveres, nationalistisches Staatsverständnis zu kreieren.
Die internen Debatten hinter diesem Richtungswechsel beschreibt die Forscherin der US-amerikanischen Johns Hopkins University in der lesenswerten Studie „Iran Reframed: Anxieties of Power in the Islamic Republic“. Über einen Zeitraum von insgesamt zehn Jahren erarbeitete sie sich Zugang zu den höchsten Zirkeln der staatlichen Medienelite. Zum Vorteil gereichte der US-Iranerin, deren linke Familie aus politischen Gründen geflohen war, dass sie für ein vorheriges Projekt bereits zahlreiche Kontakte zu den einflussreichen Veteranenorganisationen des Iran-Irak-Kriegs geknüpft hatte.
Ergebnis von zehn Jahren intensiver Feldforschung
Die große Masse an Material flechtet Bajoghli aufschlussreich zusammen. Im Zentrum steht dabei stets die Frage, wie das politische Projekt der Islamischen Republik aus Sicht der systemtreuen Medienschaffenden zeitgemäß vermittelt werden könne. Bajoghlis ethnografischer Ansatz verschafft einen biografischen Zugang. Es solle ein Buch nicht nur über die staatlichen Medien sein, sondern auch über die Männer, die diese Medien produzierten, heißt es einleitend.
Vor allem drei Individuen stehen dabei im Mittelpunkt — aus Sicherheitsgründen nur mit Pseudonymen. Zum einen Reza Hosseini und Mohammad Ahmadi. Sie gehören zur ersten Generation der Medienelite der Islamischen Republik und entstammen Familien der religiösen Mittelschicht und Arbeiterklasse. Wie viele Alterskameraden meldeten sie sich als Jugendliche freiwillig im von 1980 bis 1988 dauernden Krieg gegen den Irak.
Während Reza Hosseinis Heimatstadt Abadan verwüstet wurde, war der Fronteinsatz für den damals 15-Jährigen Mohammad Ahmadi nach wenigen Wochen vorbei: Bei einem Raketeneinschlag verlor er beide Beine. Später nahm er einen Job in der Medienabteilung der Revolutionsgarden an und arbeitete mit Morteza Avini, dem wohl bekanntesten Dokumentarfilmer der Islamischen Republik, zusammen. Dessen mehrteilige Produktion „Geschichten des Siegs“ (revayat-e fath) war stilbildend für das einflussreiche Genre der Kriegsdokumentationen und wichtiger Teil der Propagandamaschinerie.
Avinis Filmen und dem rasant wachsenden Medienapparat kamen in der Konsolidierungsphase der Islamischen Republik eine tragende Rolle zu, wie Bajoghli mit Verweis auf den breiten Forschungsstand zur „Kriegskultur“ anmerkt. Nach Kriegsende 1988 sei die Front in den Kulturbereich verschoben worden — die Fatwa gegen den britisch-indischen Autor Salman Rushdie im Februar 1989 ist ein prominentes Beispiel. Vor allem staatlich produzierte Kriegsfilme seien bis heute das wichtigste Vehikel zur Verbreitung der Werte von Islamischer Revolution und Republik, und würden mit Sujets wie dem Krieg gegen den IS und in Syrien wiedererfunden.
Der Krieg als „Meisternarrativ“
Die beiden Veteranen Reza Hosseini und Mohammad Ahmadi aus „Iran Reframed“ sind lebende Vertreter dieser Geschichte. Ihnen gelang der soziale Aufstieg durch die neugegründeten politischen und wohlfahrtsstaatlichen Institutionen. Narges Bajoghli verweist hiermit zurecht auf die immense Bedeutung des längsten konventionellen Kriegs des 20. Jahrhunderts. Der Krieg, nicht die Revolution, liefere das „Meisternarrativ“ der Islamischen Republik.
Der dritte Protagonist in Bajoghlis Studie ist der junge Mostafa, Mitglied einer Universitätsgruppe der Basij und aufstrebender Medienschaffender. Als Repräsentant der Nachkriegsgeneration dient er als Kontrastpunkt zu den beiden Veteranen Hosseini und Ahmadi. Obwohl Letzterer vielmals offen Kritik übt und im Jahr 2009 die „Grüne Bewegung“ unterstützte – wobei er bei den Protesten sogar von Schlägertrupps attackiert wurde – eint die drei Männer die Treue zum System der Islamischen Republik. Doch in der Frage, wie dieses System in die Zukunft gerettet werden kann, gehen die Meinungen stark auseinander.
„Wir haben die Jugend unseres Landes verloren“
Bei einer internen Diskussion im Jahr 2012 etwa stellt Reza Hosseini unverblümt fest: „Diese jungen Leute interessieren sich nicht für die Revolutionsgeschichten, die wir ihnen die letzten dreißig Jahre über erzählt haben – und das ist unsere eigene Schuld. […] Wir sind diejenigen, die sich den veränderten Realitäten in diesem Land stellen müssen.“ Sein Kollege Mohammad Ahmadi stimmt ihm zu: „Wir haben die Jugend unseres Landes verloren.“ Dabei schildert Bajoghli ihre teilnehmenden Beobachtungen stets so lebhaft, dass es auf den Leser wirkt, als würde er mit am Tisch sitzen.
Zur Lösung dieses Problems schlagen die Männer vor, „bessere Geschichten“ zu erzählen, auf die Jugend und ihre Bedürfnisse zuzugehen. Das Ergebnis sind unter anderem im Marvel-Stil produzierte Videos wie das 2016 veröffentlichte „Wir stehen bis zum letzten Tropfen Blut“, in dem eine Gruppe multiethnischer Iraner mit der Flagge in der Hand einen Angriff des US-Militärs auf das Land abwehrt.
Arrivierte gegen junge Aufsteiger
Letztlich sieht Narges Bajoghli die Auseinandersetzung um die richtige „Geschichte“ als Mischung von Generationen- und Klassenkonflikten. Die Kriegsveteranen an den Hebeln der Macht — Basij und Revolutionsgarden der ersten Stunde — predigen Flexibilität und wollen der iranischen Jugend stärker entgegenkommen. Den Grund hierfür sieht die Autorin in dem sozialen Aufstieg der Männer und ihrer Familien. Keiner von ihnen schicke die eigenen Kinder ebenfalls zu den Basij. Der populistische Hochglanz-Nationalismus solle somit nicht zuletzt Verteilungskonflikte übertünchen.
Für die jungen Eiferer wie Mostafa, der als erstes Mitglied seiner Familie der Organisation beitrat, ist sozialer Aufstieg jedoch eine Hoffnung, nicht Geschichte. Folglich verfolgt er eine harte Linie und sieht die älteren Männer als zu kompromissbereit.
Ihrem Anspruch, starre Schubladen aufzulösen und zu zeigen, wie fluide die Kategorie „pro-Regime“ ist, wird die Autorin damit gerecht. Kritiker werden einwenden, dass derlei Feinheiten für iranische Oppositionelle keinen großen Unterschied machen. Wer jedoch die gesamtgesellschaftlichen Dynamiken im Iran besser verstehen möchte, dem ist die Lektüre dieses Buches zu empfehlen.
Daniel Walter
© Qantara.de 2020
Der Autor ist Doktorand am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und forscht zu den deutsch-iranischen Beziehungen des 20. Jahrhunderts mit einem Schwerpunkt auf die 1980er Jahre.