Weit entfernt von Utopia
Vor genau fünfhundert Jahren veröffentlichte der englische Staatsmann und Sozialphilosoph Thomas Morus sein Werk "Utopia". Darin schildert er eine ideale Gesellschaft, die von einer gerechten Regierung auf einer imaginären Insel geschaffen wurde. Thomas Morus war sich wohl bewusst, dass solche paradiesischen Zustände in der realen Welt keinen Platz haben. Darauf verweist das von ihm geschaffene Kunstwort "Utopia": Es setzt sich aus den beiden Wörtern "Outopia" und "Eutopia" zusammen – griechisch für "Nichtort" und "glücklicher Ort".
In der realen Welt mit ihren vielen Fehlern und Schwächen ist jeder selbst aufgefordert, gegen Ungerechtigkeit und für ein besseres Leben einzutreten. Daher sollten wir wissen, wer unsere Freunde sind – mögen diese auch alles andere als perfekt sein. Und wir sollten die finsteren Kräfte mit ihrem Streben nach weltweiter Vorherrschaft im Blick behalten.
Der Golf-Kooperationsrat – traditioneller Bündnispartner des Westens
Am 6. Dezember 2016 reiste die britische Premierministerin Theresa May nach Bahrain. In der Hauptstadt Manama führte sie auf dem 37. Gipfeltreffen Gespräche mit Mitgliedern des Golf-Kooperationsrats (GCC). Der Golf-Kooperationsrat wurde 1981 gegründet und setzt sich aus Bahrain, Kuwait, Oman, Qatar, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten zusammen. Gemeinsam vertreten diese Länder rund 15 Prozent der arabischen Welt.
Für sich betrachtet ist jeder einzelne Mitgliedstaat des Rats weit entfernt von Utopia – die einen mehr, die anderen weniger. Doch gemeinsam sind sie – wenn auch mit gewissen Vorbehalten – Freunde des Westens. Niemand von ihnen strebt nach regionaler Hegemonie oder Weltherrschaft. Dennoch löste der Besuch von Theresa May einen Sturm der Entrüstung im Vereinigten Königreich und darüber hinaus aus.
Press TV, Irans englischsprachiger Non-Stopp-Auslandsfernsehsender und Propagandamedium, verbreitete daraufhin unverzüglich die Einwände der "Islamic Human Rights Commission" (IHRC), einer in London ansässigen, streng khomeinistischen Nichtregierungsorganisation. Anfang 2016 verlieh diese Organisation ihren Preis "Islamophobe of the Year" an die ermordeten Mitarbeiter von Charlie Hebdo. Auf der Verleihungsfeier witzelten die Juroren der IHRC, es sei schade, dass keiner der Preisträger von Charlie Hebdo den Preis entgegennehmen könne.
Es ist daher wohl kaum anzunehmen, dass Frau May dem Appell besondere Aufmerksamkeit schenkte, der ihr dringend nahelegte, ihr vereinbares Treffen mit den Vertretern des Golfrats abzusagen, da "dies eine offene Missachtung der Menschenrechte darstellt und die anhaltenden Menschenrechtsverstöße gegen die eigene Bevölkerung und ausländische Bürger durch die GCC-Regime gutheißt".
Die IHRC im Fahrwasser Teherans
Auch überrascht es nicht, dass die IHRC sich gegen Saudi-Arabien als Anführer einer militärischen Koalition im Jemen wendet, die die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen bekämpft. Sowohl die USA als auch das Vereinigte Königreich geben den Saudis dabei Rückendeckung. Auch die anhaltende Unterstützung Saudi-Arabiens und Bahrains mit britischen Waffen und Informationen verurteilte die IHRC aufs Schärfste.
Die IHRC spielt das bewährte Spiel mit den Werkzeugen der Demokratie zur Destabilisierung derselben. "Amnesty International" wurde als Nichtregierungsorganisation 1961 in London gegründet. Per definitionem will sie Menschenrechtsverletzungen aufdecken und durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit Druck auf Regierungen ausüben.
Es ist daher selbstverständlich, dass Amnesty die Wirksamkeit und Unabhängigkeit von zwei Menschenrechtsorganisationen in Bahrain genauer unter die Lupe nimmt, die von der britischen Regierung unterstützt werden. Es handelt sich um den Ombudsmann des Innenministeriums und um die Sonderuntersuchungsabteilung der Staatsanwaltschaft. Sie wurden 2012 gegründet, nachdem die Regierung von Bahrain zuvor Proteste gewaltsam unterdrückt hatte.
Das britische Außenministerium sieht in beiden Institutionen einen Beleg dafür, dass die Regierung in Manama bereit ist, auf westlichen Druck zu reagieren. Außenminister Philip Hammond erklärte im Januar 2015 im Unterhaus, Bahrain sei "ein Land, das sich in die richtige Richtung bewegt."
Allan Hogarth, Leiter der Abteilung für Politik und Regierungsangelegenheiten bei "Amnesty International", hingegen erklärte: "Die Gründung der beiden Institutionen im Jahr 2012 war ein Schritt in die richtige Richtung. Aber es ist ganz und gar unaufrichtig von der britischen Regierung, so zu tun, als trieben beide Institutionen wesentliche Menschenrechtsreformen in Bahrain voran. Anstatt als Claqueure für die unzureichenden Reformen Bahrains aufzutreten, sollten die britischen Minister lieber die bittere Wirklichkeit erkennen, dass die von der britischen Regierung gestützten Institutionen weitgehend untauglich sind und im Allgemeinen als PR-Instrument der Regierung Bahrains gelten."
"Amnesty International" erfüllt damit seinen selbst auferlegten Auftrag, die Regierung Bahrains zur Verbesserung der Menschenrechtslage unter Druck zu setzen. Die Menschenrechtsorganisation muss allerdings hilflos zusehen, wie die IHRC mit ihren starken Verbindungen zum Iran auf diesen Wagen aufspringt und dabei von eigenen, weniger noblen Gründen geleitet wird.
Das desaströse Erbe der Obama-Administration
Ein wichtiger Aspekt des Besuchs von Theresa May am Golf ist die Erneuerung der Beziehungen zum Nahen Osten nach den desaströsen Folgen der US-Politik unter Präsident Obama in dieser Region. Obama wollte zu Beginn seiner Amtszeit die muslimische Welt davon überzeugen, dass die USA dem Islam respektvoll gegenüberstehen. "Kolonialistische" Einmischungen sollten der Vergangenheit angehören.
Seine Amtszeit endet damit, dass der Iran als größter Rivale der arabischen Welt durch ein Abkommen gestärkt wird, das den Iran innerhalb der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre zur Atommacht aufsteigen lässt. Er unterstützte die Muslimbruderschaft, die von Ägypten, Saudi-Arabien und anderen arabischen Staaten als terroristische Vereinigung eingestuft wird.
Seine Weigerung, sich energisch gegen die Feinde der Stabilität im Nahen Osten einzusetzen, beispielsweise gegen den syrischen Präsidenten Assad und den "Islamischen Staat" (IS) in Syrien und im Irak, hinterließ ein Machtvakuum, das der russische Präsident Putin geschickt ausfüllte. Das Vertrauen der arabischen Welt in die USA und die Achtung vor den USA wurden zutiefst erschüttert.
Die Sympathien der seit jeher anglophilen Golfstaaten für das Vereinigte Königreich wurden durch die britische Unterstützung des Atomabkommens mit dem Iran auf eine schwere Probe gestellt. Schlüge Theresa May in Zukunft eine härtere Gangart gegenüber dem Iran ein, würde sie zum Abbau dieser Spannungen beitragen. Aktuell sieht es ganz danach aus. Auch wenn es nur dem Zweck dient, die britische Außenpolitik mit derjenigen des designierten US-Präsidenten Trump in Einklang zu bringen.
Je mehr außenpolitische Falken, wie der designierte Nationale Sicherheitsberater von Donald Trump, General Michael T. Flynn, wichtige Posten in der neuen Regierung bekleiden, umso unwahrscheinlicher dürfte es sein, dass das Atomabkommen mit dem Iran Bestand hat – zumindest nicht in der derzeitigen Form. Die Modifikation des Atomabkommens oder zumindest die strenge Überwachung von dessen Einhaltung würde Washington helfen, die Beziehungen zu den traditionellen Verbündeten wie Ägypten und Saudi-Arabien zu reparieren, die sich aufgrund der proiranischen Politik von den USA abgewandt haben.
Alles spricht dafür, dass es zu einer Neuordnung der Beziehungen zwischen dem Westen und der arabischen Welt kommt. Utopia wird daraus zwar nicht hervorgehen, aber eine harmonischere und ausgewogenere Lage. Eine Lage, in der Freunde unterstützt und Feinde bekämpft, anstatt beschwichtigt werden.
Neville Teller
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers