Setzt endlich die Sanktionen um!
Als die Arabische Liga am 7. Mai ankündigte, Damaskus wieder in ihre Reihen aufzunehmen und damit die fast 12-jährige Isolation des Landes zu beenden, hinterließ dies ein Gefühl des Verrats und tiefer Erschütterung bei Syrerinnen und Syrern auf der ganzen Welt. Auch beschädigte diese Entscheidung das Vertrauen in die Fähigkeit der internationalen Gemeinschaft, sicherzustellen, dass das Assad-Regime für seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft gezogen wird oder zu einer politischen Lösung des Syrienkonflikts beizutragen auf enorme Weise.
Dennoch ist diese Normalisierung des Assad-Regimes kaum überraschend, bahnte sie sich doch schon seit geraumer Zeit an. In den letzten Jahren haben die Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga immer wieder ausgelotet, wie weit sie bei der Wiederanbahnung von Beziehungen zu Syrien gehen können, und stießen dabei auf wenig bis gar keinen Widerstand seitens der USA.
Jordanien etwa gehört zusammen mit Ägypten zu den treibenden Kräften hinter den Bemühungen um Normalisierung. So begann Jordanien unmittelbar nach einem Besuch von König Abdullah II in den USA im Juli 2021 langsam mit der Wiederannäherung an das Assad-Regime – wohl kaum ein Zufall.
Als kurz darauf eine trilaterale Vereinbarung über den Bau einer Pipeline durch Syrien getroffen wurde, um die Energieprobleme des Libanon durch Lieferungen von ägyptischem Gas zu lindern, machte die Biden-Administration die beteiligten Parteien sogar auf ein Schlupfloch in ihrem eigenen Sanktionsregime gegen Syrien aufmerksam.
Der lange Schatten US-amerikanischer Zurückhaltung
Ein solches Verhalten steht im Einklang mit der allgemein schwachen Durchsetzung der Sanktionen durch die US-Regierung. Zwar handelt es sich auf dem Papier sicherlich um mit die schärfsten Sanktionen, die jemals gegen ein Regime erlassen wurden, befeuert insbesondere durch den im Juni 2020 erlassenen Caesar Act. Dieser Erlass sieht neben den direkten Sanktionen gegen Mitglieder des syrischen Regimes auch sog. sekundäre Sanktionen gegen Dritte vor, die mit dem Regime zusammenarbeiten. Die Umsetzung des Caesar Act ist jedoch äußerst mangelhaft und untergräbt damit erheblich seine Wirksamkeit.
Die Regierung Biden bekennt sich zwar offiziell zu diesem Gesetz, scheint aber wenig entschlossen zu sein, kontinuierliche Aktualisierungen und Anpassungen der Sanktionslisten vorzunehmen. Das wäre angesichts der Taktik des Assad-Regimes zur Umgehung der Sanktionen enorm wichtig. Die bestehenden Listen sind zudem fehlerhaft und mangelhaft mit anderen sanktionierenden Parteien, wie der EU, koordiniert, was ihre Wirksamkeit weiter verringert.
Die amerikanische Passivität gegenüber Syrien lässt sich bis zu den Anfängen des Volksaufstandes 2011 zur Zeit der Obama-Regierung zurückverfolgen. Während Washington kurz nach Beginn der brutalen Repression gegen Demonstranten zu den ersten Ländern gehörte, die bereits bestehende Sanktionen verschärften, verfolgte es nach Assads Einsatz von Chemiewaffen diese Strategie nicht weiter.
Geprägt vom Trauma des Irak-Kriegs und der gescheiterten Intervention in Libyen sowie unter dem innenpolitischen Druck einer starken "America first“-Stimmung, welche sich bereits vor der Trump-Ära abzuzeichnen begann, entschieden sich die USA stattdessen, in der Chemiewaffenfrage mit Assad unter Vermittlung seiner Schutzmacht Russland zu verhandeln.
Hat Washington Putin ermutigt?
Dies geschah sogar nach Überschreiten der von Obama ausgerufenen "roten Linie", was letztendlich nicht nur den Weg für den Aufstieg des sog. Islamischen Staats, sondern auch für Moskaus militärische Intervention ebnete. Diese half Assad, seine militärische Niederlage abzuwenden.
Washingtons zunehmend passive Haltung hat über die Jahre, nicht nur in Syrien, sondern der gesamten Region, nicht nur Russlands Engagement (militärisch und wirtschaftlich, z. B. durch seine Investitionen in Syriens Phosphatindustrie) befördert, sondern bestärkte auch China in seiner Kooperation mit Damaskus.
Diese mündete erst vor kurzem im Beitritt Syriens zu Chinas Initiative einer Neuen Seidenstraße und erreichte damit ihren vorläufigen Höhepunkt. Einige Beobachter machen die USA sogar indirekt dafür verantwortlich, Putins imperialistische Politik ermöglicht, ihn “ermutigt” und letztlich den Weg für die bisher direkteste Konfrontation, den Krieg in der Ukraine, geebnet zu haben.
Die jüngste Unterzeichnung des von China vermittelten Abkommens zwischen Iran und Saudi-Arabien kann ebenfalls als Ergebnis dieser US-Politik betrachtet werden. Zusammen mit Riads eigenen Bestrebungen diente es als Wegbereiter des Normalisierungsprozesses, der in Syriens Rückkehr in die Arabische Liga gipfelte.
Syriens Wiederaufnahme in die Arabische Liga wurde von Washington zwar kritisiert, doch die Regierung Biden scheint sich nicht in der Lage zu sehen, ihre regionalen Partner von diesem Schritt abzuhalten. So hat sie zumindest gelbes, wenn nicht gar grünes Licht für diesen Prozess gegeben.
Leitende Vertreter des State Department haben die Arabischen Staaten sogar zu einer "Quidproquo"-Strategie ermutigt nach dem Motto, sie nehmen wieder Beziehungen zum Assad-Regime auf, wenn es gleichzeitig Bewegung in der Frage einer sicheren Rückkehr der Geflüchteten gibt, bei der Präsenz iranischer Streitkräfte im Land oder bei Schritten in Richtung einer politischen Lösung.
Zwar betonen auch Mitglieder der Arabischen Liga diese Bedingungen für eine vollständige Wiedereingliederung Assads, doch könnte es sich als nur eine Frage der Zeit erweisen, bis innenpolitische (z. B. die Frage der syrischen Flüchtlinge) und wirtschaftliche Interessen die arabischen Länder dazu bringen, ihre vermeintliche Stabilität über alles zu stellen und eben diese Bedingungen beiseitezuschieben.
Das syrische Regime kann nur Repression
Eine solche Entwicklung ist in der Tat wahrscheinlich, da das Assad-Regime weiterhin keinerlei Interesse an einem ernsthaften Prozess der Versöhnung mit der Opposition zeigt. In seiner Rede während des Gipfeltreffens benutzte Assad zwar panarabische und antiimperialistische (zumindest in Bezug auf den Westen) Narrative. Gleichzeitig betonte er aber auch, dass die arabischen Staaten ihre internen Angelegenheiten selbst regeln sollten.
Sein Außenminister Faisal Mekdad ruderte kurz nach einem Treffen mit anderen arabischen Außenministern in Amman zurück, als es um eine gemeinsame Erklärung zur Lösung des Syrienkonflikts ging und behauptete, es gebe keine konkreten Pläne in dieser Richtung.
Mekdad schloss auch ausdrücklich Zugeständnisse, wie sie Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats von 2015 fordert, aus. Dazu gehört zum Beispiel die Forderung nach einer Übergangsregierung und einer neuen Verfassung für Syrien, während Mekdad nach einem Ende der westlichen Sanktionen rief.
Dies verdeutlicht, wie vergeblich Washingtons Hoffen auf Veränderungen in der Haltung des Assad-Regimes als Gegenleistung für eine Normalisierung ist. Es zeigt auch, warum der derzeitige Ansatz einer stillschweigenden Zustimmung zum Scheitern verurteilt ist - falls den USA wirklich an einer nachhaltigen politischen Lösung und nicht nur an einer oberflächlichen Befriedung des Syrien-Konflikts gelegen ist.
Der Westen braucht eine klare Strategie
Anstatt den Autoritarismus weiter zu stärken und das Ansehen der USA und des Westens möglicherweise irreparabel zu beschädigen, indem man tatenlos zusieht, wie mehr als eine halbe Million Tote, über 13 Millionen Vertriebene und unzählige Folteropfer "unter den Teppich" gekehrt werden, der für Assad "ausgerollt" wird, ist eine ganzheitliche transatlantische Strategie erforderlich.
Diese Strategie sollte die regionale Dynamik berücksichtigen und Anreize für regionale Verbündete mit starkem Druck auf das Assad-Regime kombinieren.
Erstens sollte die Durchsetzung bestehender Sanktionen Priorität haben. Die Verabschiedung des ”Assad Regime Anti-Normalization Act of 2023 Bill H.R. 3202”, der die Biden-Administration nicht nur dazu verpflichten würde, den Caesar-Act umzusetzen, sondern auch eine umfassende Strategie gegen die Normalisierungsbestrebungen anderer Staaten vorzulegen, wäre ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung.
Zweitens sind eine stärkere transatlantische Abstimmung bei der Aufstellung der Sanktionslisten und ihrer Durchsetzung sowie ein koordiniertes Vorgehen bei der Schaffung besserer Kontrollmechanismen nötig sowie eine gemeinsame Strategie gegen die Normalisierung des Assad-Regimes.
Drittens müssen die syrische Flüchtlinge aufnehmenden Nachbarländer stärker unterstützt werden. Es ist außerdem eine Zusammenarbeit mit regionalen Akteuren erforderlich, um den Captagon-Handel unter Kontrolle zu bringen. So könnte man zwei Hauptprobleme angehen, die wichtige Verbündete in der Region beunruhigen.
Viertens könnte eine härtere Gangart gegenüber dem Iran, die darauf abzielt, dessen Einfluss zu schwächen, die regionalen Spannungen möglicherweise verringern.
Es ist höchste Zeit, dass die Regierung Biden und ihre transatlantischen Verbündeten zu einer aktiveren Rolle zurückkehren und die von ihnen so eifrig verkündete menschenrechtsorientierte Außenpolitik umsetzen, anstatt tatenlos zuzusehen, wie vor ihren Augen im Nahen Osten eine neue Blütezeit des Autoritarismus anbricht.
Rebekka Rexhausen
© Global Policy Journal 2023
Rebekka Rexhausen ist Assistant Director und Fellow am Center for Middle East and Global Order (CMEG). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Syrien, der Nahe Osten, die Außenpolitik gegenüber der Region und Sanktionen.