Ägyptens Frauen glauben blind an das Militär
"Es sind doch immer die Frauen, die ein Land wieder aufbauen", sagt Rawya Abdel Rakman und lächelt. Rakman, 67, ist eine kleine energische Dame, die jetzt mit fester Stimme spricht. "Wir kämpfen gegen die Besatzer. Wir kämpfen gegen die Lügner da draußen. Wir kämpfen für die Zukunft des ganzen Landes."
Männer mit Kameras und Stativen schieben sich an ihr vorbei, Frauen schleppen Stühle heran, der Lärm in dem holzvertäfelten Saal ist ohrenbetäubend. Rakman, die Frauenaktivistin, fährt sich nervös durchs Haar. Sie habe nun wirklich keine Zeit mehr. Sie müsse jetzt der ganzen Welt ihre Botschaft übermitteln.
Es ist Montagnachmittag, in der Zentrale der ägyptischen Journalisten-Vereinigung in der Kairoer Innenstadt beginnt die Pressekonferenz, zu der Vertreter verschiedener Frauen-Organisationen in- wie ausländische Reporter eingeladen haben. Ägyptens Mütter wollten ihre uneingeschränkte Unterstützung für Armeechef Abdel Fattah al-Sisi bekunden, heißt es in der offiziellen Mitteilung, die sich eher wie eine politische Kampfschrift liest. "Der Kolonialismus der Muslimbrüder muss beendet werden. Wenn deren Diktatur bekämpft ist, wird Ägypten wieder die Großmacht in der Region sein."
Dass es an diesem Tag nicht um Themen wie Frauenrechte oder Bildungsprogramme geht, macht Rawya Abdel Rakman gleich zu Beginn klar, als sie ans Mikrophon tritt: "Wir plädieren für ein weiteres Mandat der Armee. Sie soll alles tun, was in ihrer Macht steht, um uns vom Joch des islamistischen Terrors zu befreien."
Keiner stellt die Ausgangssperre infrage
Seit das Militär Mitte August die beiden Protestcamps der Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi geräumt hat, herrscht in Ägypten eine Kultur ungehemmter Hysterie: Die Anhänger der Islamisten beteuern ihren unbedingten Willen zur Beibehaltung von Protest und Chaos, bis der geschasste Präsident Mursi zurück im Amt ist.
Die Unterstützer der Armee hingegen, wie die hier versammelten Gruppen "Egyptian Women for Change" oder "Coordination of Egyptian Women", rufen zunehmend nach schärferer Vergeltung. Sie wollen sich für die Repressionen rächen, sagen sie, die sie während der Regentschaft der Muslimbrüder haben erleiden müssen. Dafür erteilen sie dem Militär nur zu gern alle Vollmachten. Wieder einmal.
Kurz nach dem Sturz von Expräsident Mohammed Mursi hatte al-Sisi die Bevölkerung aufgerufen, ihm durch Massendemonstrationen das Mandat zu erteilen, die Gewalt zu beenden. Nach der gewaltsamen Räumung der Protestlager vor knapp drei Wochen, in deren Folge hunderte Menschen starben, hatte die Regierung dann einen einmonatigen Ausnahmezustand und eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.
Der Ausnahmezustand verleiht nicht nur den Sicherheitskräften Sonderrechte beim Vorgehen gegen Proteste und Versammlungen. Durch ihn werden auch die Befugnisse der Armee massiv erweitert. Beobachter zeigen sich deshalb alarmiert. Denn auch wenn Verteidigungsminister Al-Sisi mit seiner "Roadmap" die Ausarbeitung einer neuen Verfassung sowie rasche Präsidentschafts- und Parlamentswahlen lanciert: Der autoritäre Stil, mit dem das neue Regime diese Ziele offenbar umsetzen will, sorgt zunehmend für Irritationen.
So greifen Armee und Polizei resolut gegen die Muslimbruderschaft durch. Mittlerweile sitzt nahezu die gesamte Führungsriege hinter Gittern, darunter auch ihr bisheriges Oberhaupt Mohammed Badie. Gerade hat ein Militärgericht 52 Anhänger der Bruderschaft wegen des Vorwurfs der Anstachelung zur Gewalt zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt. Auch soll Mursi zusammen mit 14 weiteren führenden Funktionären der Prozess gemacht werden, weil sie an der Gewalt gegen Demonstranten bei Protesten im Dezember beteiligt gewesen sein sollen.
"Es herrscht eine Meinungsdiktatur"
Die gleichgeschalteten Staatsmedien preisen unterdessen die Heldentaten der Armee. Radiosender spielen Marschmusik, im Fernsehen moderieren Männer in Militäruniform. Sämtliche Fernsehkanäle, über die die Islamisten ihre Sichtweisen verbreiten könnten, sind mittlerweile verboten. "Es herrscht eine Meinungsdiktatur", sagt der Journalist Khaled Dawoud, der nach der Räumung der Pro-Mursi-Lager als Sprecher der liberalen Nationalen Heilsfront (NSF) aus Protest gegen die Militärgewalt zurückgetreten war.
Kritiker des Sicherheitsapparates würden mundtot gemacht. "Ägypten befindet sich im Kampf gegen den Terrorismus. Freund oder Feind: Diese Frage entscheidet über Leben oder Tod." Und doch: Die wenigsten Ägypter finden diese Entwicklung besorgniserregend. Laut einer Umfrage des "Egyptian Center for Public Opinion Research" (Baseera) unterstützt die Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen des Militärs: Fast 70 Prozent hält die Art und Weise, wie die Armee die Protestcamps auflöste, für richtig.
"Die Muslimbrüder haben auf hilflose Zivilisten geschossen", sagt Rania Ismail, eine Frau um die 30, während der Pause. Hinter ihr wirft ein Projektor Videobilder an die Wand. Sie zeigen in endloser Wiederholung Gruppen von bärtigen Männern, die sich Schusswechsel mit der Polizei liefern.
Ismail schiebt ein paar blond gefärbte Strähnen unter das weiße Kopftuch, ihr steigt das Blut ins Gesicht. "Der Westen hilft diesen Mördern noch", ruft sie. Die ausländischen Medien, sagt sie, wollten ihr Land vernichten. "Wir werden abgeschlachtet, unsere Kirchen abgebrannt, unsere Kinder drangsaliert. Und der Westen verteidigt die Muslimbrüder." Sie schreit jetzt fast. "Steckt eure Nasen nicht unsere Angelegenheiten."
So zeigt auch dieser Nachmittag: In Ägypten wächst der unverhohlene Hass gegen Ausländer, insbesondere westliche Journalisten. Immer wieder werden Reporter in diesen Tagen von Sicherheitskräften verprügelt und drangsaliert, etliche wurden bereits stundenlang ohne jede Begründung festgehalten.
Wer zu kritisch berichtet, so lautet die Botschaft, wird bestraft. Angeheizt wird diese Feindseligkeit durch offizielle Stellungnahmen der Interimsregierung. Jüngst erließ das Informationsministerium eine dreiseitige Erklärung für die Auslandskorrespondenten, die erklärt, wie sich Ägypten eine "unverzerrte" Berichterstattung künftig vorstellt. Die Umwälzung im Land sei allein ein "Ausdruck des Volkswillen" und der Einsatz von staatlicher Gewalt ein "legitimer Kampf gegen den Terrorismus".
Der Westen unterstütze die Islamisten
Die überheizte Dringlichkeit, mit der die nationale Bedrohung adressiert wird, verfehlt ihre Wirkung in der Bevölkerung nicht. Der Hass der Öffentlichkeit auf die Bruderschaft sei so enorm, sagt ein bekannter Aktivist, der seinen Namen nicht öffentlich lesen möchte, dass sich selbst hartgesottene Revolutionäre scheuten, den Status Quo von Armee und Übergangsregierung zu kritisieren.
Grund sind auch die vielen Verschwörungstheorien, die bereits vorhandene Ressentiments anheizen: Die Journalisten seien bezahlte Spione ausländischer Regierungen, verbreiten die einen. Sie würden an der Wiedererstarkung der Muslimbruderschaft arbeiten, munkeln die anderen.
Die Staatschefs von Deutschland, Israel und Amerika schmiedeten einen Komplott gegen die Ägypter, raunt am Rande der Pressekonferenz in der Kairoer Innenstadt eine ältere Dame im Hosenanzug. Diese Regierungen hätten schon lange die Islamisten unterstützt. Eine andere weiß zu berichten, dass die Muslimbrüder im Ausland Werbefirmen bezahlten, die gezielte Falschmeldungen über das Militär an lokale Medienhäuser weiterleiteten. Nur deshalb, sagt die Mittvierzigerin, habe das Ausland soviel Mitleid mit den Muslimbrüdern. Gibt es dafür Beweise? Sie schnauft. "Geht es hier wirklich nur um Beweise?"
In der Lobby steht Mervat Tallawy und bereitet sich auf ihre Rede vor. Tallawy, violetter Anzug, roter Lippenstift, ist die Vorsitzende des Nationalen Frauenrats. Unter den Islamisten seien die Frauen massiv unterdrückt worden, sagt sie. "Sie wurden unter Druck gesetzt und aus allen öffentlichen Ämtern verjagt."
Das werde sich jetzt sicher ändern, sagt sie und sie klingt überzeugt. "Die Armee hilft den Frauen, sich wieder sicher in ihrem eigenen Land zu fühlen." Ob die Frauen dann im nächsten Parlament wieder stärker vertreten sein werden? Tallawy zuckt die Achseln. "Das ist doch jetzt nicht wichtig", zischt sie und marschiert an das Pult.
Andrea Backhaus
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de