Vom Hardliner zum Friedensstifter
An einem Tag im Jahr 1938 wurde Hassan Sidiqui Dajani in Jerusalem kaltblütig ermordet. Der Anwalt und Vorsitzende einer Partei hatte sich schon immer für das Zusammenleben von Juden und Arabern eingesetzt und zog damit vermutlich den Zorn des Großmuftis der Stadt, Hadsch Amin El-Husseini, auf sich. Der Bewunderer Adolf Hitlers trat bedingungslos für die arabische Autonomie ein und war ein radikaler Judenhasser.
Geschichte wiederholt sich. In diesem Fall innerhalb derselben Familie: Im April dieses Jahres wurde Hassans Nachkomme, der palästinensische Professor Mohammed Dajan-Daoudi, bedroht und im Internet gemobbt. Sein Büro wurde zerstört, es gab zahlreiche Proteste gegen ihn. Er wurde als "Kollaborateur der Juden" und "König der Normalisierung" diffamiert.
Nachdem sein Arbeitgeber, die Universitätsleitung der Al-Quds Universität in Ostjerusalem, sowie ein Großteil seiner Kollegen sich öffentlich von ihm distanzierten, gab der 68-Jährige dem Druck nach und quittierte im vergangenen Juni seine bis dahin allgemein hoch geschätzte Professur für Amerikanistik.
Auslöser der Kampagne gegen Dajani war eine Reise nach Krakau und Auschwitz im vergangenen März, die er zusammen mit 27 jungen Palästinensern angetreten hatte.
"Herz aus Fleisch, nicht aus Stein"
Der Besuch war Teil eines trilateralen, wissenschaftlichen Projekts der Friedrich Schiller-Universität in Jena in Zusammenarbeit mit den beiden israelischen Universitäten in Tel Aviv und Beer Sheva sowie mit Mohammed Dajani, das vor rund einem Jahr begann.
Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, welche Auswirkungen auf die Bereitschaft zur Versöhnung die Leiden und Traumata der Anderen haben. Das Projekt "Herz aus Fleisch, nicht aus Stein" wie es in Anlehnung an einen Psalm aus der Bibel heißt, wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert.
"Der erste Schritt war zunächst ein Perspektivenwechsel", erklärt Dajani. Während die Palästinenser nach Auschwitz fuhren, besuchten junge Israelis das Flüchtlingslager Dheisheh bei Bethlehem im Westjordanland. Künftig – so ist es geplant – sollen gemischte Gruppen die Orte erneut aufsuchen und sich über ihre Erfahrungen austauschen.
Woanders würde ein Besuch in einer Holocaust-Gedenkstätte wohl kaum noch Erwähnung finden. In der arabischen, respektive der palästinensischen Gesellschaft ist das jedoch anders: Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust ist noch immer ein heikles Thema.
Wissenslücken und eigene Traumata
Dies hängt einerseits mit den bestehenden Wissenslücken und Fehlinformationen zusammen, erklärt Dajani: "In der Schule lernen wir nichts darüber." Andererseits ist es auf die eigenen Leiden der Palästinenser zurückzuführen – "Nakba", Flucht und Vertreibung – als unmittelbare Folge des Holocaust. Trotzdem habe er mit so einer harschen Reaktion nicht gerechnet, räumt Dajani ein, lässt sich dadurch aber nicht beirren: "Man sieht, wie wichtig es ist, solche Projekte zu fördern."
Genau das tut der 68-Jährige mit seiner 2007 gegründeten "Wasatia"-Forums (arabisch: Zentrum, Toleranz, Mäßigung), für die er auch am dem trilateralen Forschungsprojekt teilnimmt. Die Ziele: eine liberale Auslegung des Korans, eine Zwei-Staaten-Lösung, die Anerkennung des Staates Israel, Dialog und das Wissen um die Geschichte der Anderen. Die Mitglieder organisieren Workshops, in denen für Toleranz und Dialog geworben wird. Und jährlich findet eine Konferenz statt, zu der Vertreter beider Völker, Religionen und sowie Politiker eingeladen werden.
In Zeiten, in denen die Radikalen in der Region auf beiden Seiten wieder die Überhand gewinnen, sind solche Standpunkte nicht gerade populär. Das weiß auch Dajani. "Aber solche Leute bleiben der Gegenwart verpflichtet. Ich investiere daher in die Zukunft."
Dabei war der ruhige Mann selbst einmal ein radikaler Denker. Als Student in Beirut war Dajani aktives Mitglied der Fatah und zuständig für die Propaganda. "Damals existierte allein die Idee eines geeinten, säkularen Palästinenserstaates. Wir waren kompromisslos und feierten uns selbst", sagt er.
Abkehr von der Fatah
Aufgrund seiner politischen Aktivitäten wies ihn die libanesische Regierung 1975 nach Syrien aus. Der anschließende Versuch, mit einem gefälschten Pass zurückzukehren, missglückte. Acht Jahre lang habe er der Fatah bedingungslos die Treue geschworen, sagt er: "Bis zu dem Tag, an dem ich erkannte, wie korrupt die Partei ist und wie viel Vetternwirtschaft es dort gibt." Dann trat er aus der Fatah aus und verfolgte in Amerika seine akademische Karriere. Erst 1993 konnte der 68-Jährige mit Hilfe eines Visums für Familienzusammenführung nach Jerusalem zurückkehren.
Es waren vor allem persönliche Erfahrungen, die den einstigen Hardliner zu einem überzeugten Friedensstifter werden ließen. "Immer wieder habe ich erlebt, wie im Alltag schwierige Probleme mit den Israelis mit Hilfe eines Dialogs gelöst wurden", fasst er es zusammen. Und es ist das Wissen um die Vergangenheit, die zum Verständnis führt. Der Professor schlägt den Bogen zwischen dem Besuch in Auschwitz und dem jüngsten Krieg, der erneut Hass erzeugt hat und von Politikern befeuert wird: "Eine der wichtigsten Lektionen für die Studenten in Auschwitz war, dass es zum Holocaust nicht über Nacht kam, sondern ein Prozess der anti-semitischen Hetze voraus ging." Diese habe den Boden für die Vernichtung eines Volkes bereitet.
Deshalb sei es so wichtig, moderate Kräfte zu stärken. Man müsse den Teil der Palästinenser ansprechen, der "sich im Stillen über das Leiden der Landsleute in Gaza aufgrund der Politik der Hamas empört". Und diejenigen in Israel, die Verständnis für die Wünsche der Palästinenser hegen.
Obwohl sich Dajani selbst als unverbesserlichen Optimisten bezeichnet, will er trotzdem nicht eine eigene Partei der "Mäßigung" als Alternative gründen. Die Palästinenser seien noch nicht reif dafür: "Ich werde das auch nicht mehr erleben", meint er. Anlass zur Hoffnung, dass eine neue Generation mit offenerem Blick heranwächst, ist die Studentin Zeina Barkat. Nach ihrem Besuch in Auschwitz schrieb sie: "Die Mauer der Ignoranz hat einen Riss bekommen". Vielleicht werde sie eines Tages ganz zusammenbrechen.
Ulrike Schleicher
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