Knusprige Kammermusik

Rabih Abou-Khalil, der Pionier des Oriental Jazz, veröffentlicht nach sieben Jahren Pause sein neues Album "The Flood and the Fate of the Fish". Stefan Franzen hat mit ihm gesprochen.

Von Stefan Franzen

Es ist mittlerweile fast vier Dekaden her, dass ein junger Oud-Spieler vor dem Bürgerkrieg im Libanon floh und von München aus zu einem der kreativsten und wichtigsten Köpfe des Genres "Oriental Jazz" wurde. Die europäische Jazz-Szene ohne Rabih Abou-Khalil – heute undenkbar. Mit seinen verrückten, vor ungeraden Metren strotzenden Kompositionen, seinen humoresken wie auch melancholischen Seiten hat der Libanese ein weltweites Publikum begeistert. Dabei greift er seit 2003 immer wieder gerne auf die gleichen Musiker zurück, und kann gerade dadurch ein kohärentes, unverkennbares Klangbild schaffen.

In den letzten Jahren hat es der Wahlmünchner etwas ruhiger angehen lassen, ist zum Wahl-Südfranzosen geworden. 2012 erschien sein Werk "Hungry People", seitdem ließ er sich Zeit für ein neues Opus. Nun liegt es vor und nennt sich "The Flood and the Fate of the Fish". Über diesen Titel stolpert man, er sorgt für Stirnrunzeln.

Was passiert bei der Sintflut mit den Fischen?

"Haben Sie sich eigentlich schon mal überlegt, was bei der Sintflut mit den Fischen passiert?" Rabih Abou-Khalil lacht herausfordernd. "Ich habe richtig Ärger gekriegt, als ich die Frage gestellt habe. Für mich ist sie ein Sinnbild dafür, wie wir als Menschen vor offensichtlichen Tatsachen und Problemen die Augen verschließen, wenn wir ein anderes Ziel haben."

Den Elefanten im Raum nicht sehen wollen – das gilt im Privaten genauso wie auf klimapolitischer Ebene, selbst wenn es um unser Überleben geht. Doch Abou-Khalil ist kein strenger Mahner, bei ihm spricht die Musik für sich. Titel für seine Stücke und Alben findet er oft erst im Nachhinein, und die können dann schon mal sarkastisch ausfallen. Das Meeresrauschen der Côte d'Azur als Background für unser Gespräch schmeckt nach Urlaub.

CD-Cover "The Flood and the Fate of the Fish"
"Haben Sie sich eigentlich schon mal überlegt, was bei der Sintflut mit den Fischen passiert?" Rabih Abou-Khalil lacht herausfordernd. "Für mich ist sie ein Sinnbild dafür, wie wir als Menschen vor offensichtlichen Tatsachen und Problemen die Augen verschließen, wenn wir ein anderes Ziel haben."

Hat diese entspannte Atmosphäre seines neuen Wohnsitzes bei Cannes auf seine Musik abgefärbt? "Ich bin ja nicht mit zwanzig hierhin gezogen, wo ein Ortswechsel dich noch verändert", sagt Abou-Khall, der in den Süden ging, weil ihn die Gegend an seine Heimat erinnert. "80 Prozent der Leute, die hier leben, kommen gar nicht von hier. Südfrankreich ist, abgesehen von den großen Städten, ein kulturelles Vakuum, und das gefällt mir, denn ich habe hier völlige Freiheit zu tun, was ich will."

Es ist ein wenig paradox: Mit sieben Musikern sind so viele Künstler an einem Abou-Khalil-Album beteiligt wie schon lange nicht mehr, neben den festen Triomitgliedern Jarrod Cagwin (dr) und Luciano Biondini (acc) sind Saxophonist Gavino Murgia und Ney-Virtuose Kudsi Ergüner dabei, eine zentrale Rolle spielt der portugiesische Fadista Ricardo Ribeiro. Ganz neu in Abou-Khalils Arche ist die Japanerin Eri Takeya, die als klassische Violinistin lange Haltetöne als Textur für die vielen kurztönigen Instrumente lieferte. Trotzdem klingt alles durchlässiger, intimer.

Zickzack-metriges "Crisp Crumb Coating"

Das liegt daran, dass von Stück zu Stück die Konstellationen wechseln, nie alle gleichzeitig spielen. "Ich habe viele Stücke mit verschiedenen Besetzungen versammelt, an denen ich parallel gearbeitet habe. Aber ich wollte keine drei CDs rausbringen, und so entstand die Idee mit den kammermusikalischen Gruppen. Und wichtig war mir, dass das nicht an zwei oder drei Tagen gemacht wird, sondern dass wir uns Zeit nehmen, und zwar bei mir zuhause, wo wir zusammen essen, leben und aufnehmen. Ich denke, das hört man auch."

"Kammermusikalisch" heißt allerdings nicht, dass das Werk einen besonders intimen Sound hätte, im Gegenteil. Günther Kasper, der die Aufnahmen nach dem Tod des langjährigen Pultmannes Walter Quintus beendete, hat einen präsenten, rockigeren Sound rausgekitzelt. "Knuspriger!", sagt Rabih Abou-Khalil, und spielt damit auf ein grandioses, zickzack-metriges Stück namens "Crisp Crumb Coating" an – den Titel hat er einem Commercial von Orson Welles für Fischstäbchen entlehnt. Da sind sie schon wieder, die Fische.

Ganz wesentlich prägt den Sound auch eine instrumentatorische Neuerung: "Seit vielen Jahren habe ich eine Bass-Oud, die eine Oktave tiefer gestimmt ist", verrät Abou-Khalil. "So ein Instrument wurde schon vom arabisch-persischen Philosophen und Wissenschaftler Abū Nasr Muhammad al-Fārābī im Mittelalter beschrieben. Ich habe mir das damals von meinem Instrumentenbauer in München fertigen lassen, aber es war so groß, dass ich nicht darauf spielen konnte. Jetzt habe ich mich konsequent dahintergeklemmt, und siehe da: Der Körper passt sich an alles an! Jetzt geht es ohne Probleme."

Da der Franzose Michel Godard mit seinem Fuhrpark an Bassinstrumenten, seiner Tuba und seinem Serpent dieses Mal nicht dabei ist, haben viele der Ensemblemusiker, Abou-Khalil selbst, Akkordeonist Biondini und auch Schlagzeuger Jarrod Cagwin, Bass-Funktionen übernommen.

Zentral aber sind die Gesangsstücke: Abou-Khalils long time companion Ricardo Ribeiro glänzt in einer Vertonung des bekannten, religionskritischen "Kyrie" vom Poeten Ary Dos Santos. In "Falso Amor" führt er die Hörer zurück in die Zeit, als Portugal arabisch war. Der Text stammt von Al-Kumait al-Garbi, einem Lyriker, der um 1100 herum im heute portugiesischen Badajoz dichtete, das damals zum Einflussbereich von Al-Andalus auf der iberischen Halbinsel gehörte. Und bei "Grãos De Area" aus der Feder von António Rocha stellen sich Ribeiro und Kudsi Ergüner auf einen Dialog zwischen Stimme und Flöte ein – für beide eine chromatische Herausforderung. Ribeiro, so Rabih Abou-Khalil, habe es auch dieses Mal wieder geschafft, den Fado zu transzendieren.

"Diese Fähigkeit, über das hinaus zu gehen, was das Ureigene ist, aber gleichzeitig nie das zu verlieren, was einen auszeichnet: Das suche und schätze ich bei vielen Musikern, mit denen ich arbeite. Ich glaube, ich habe ein besonderes Talent das zu erkennen." Im März 2020 wird Rabih Abou-Khalil in Triobesetzung in Deutschland auf Tour gehen – und uns vom Schicksal der Fische bei der Sintflut erzählen.

Stefan Franzen

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