Auf Schleichwegen zum Wandel

Die Politik der Marktöffnung und Privatisierung bringt in Syrien erhebliche soziale Probleme mit sich – aber auch eine fast unmerkliche Lockerung der politischen Repression.

Von Antje Bauer

Ein lindgrüner heißer Brei wabert in einem Betonbecken. Die rostige Eisenleiter, die zum Becken führt, die Öl- und Sodafässer, der altersschwarze Fußboden – das alles ist glatt und glitschig, denn hier wird Seife hergestellt, die berühmte Olivenseife aus Aleppo. In ein paar Stunden wird man die zähflüssige Seifensuppe in ein Nachbargewölbe umleiten und von Hand in Blöcke schneiden, bevor sie erstarrt.

"Ich stelle seit 70 Jahren Seife her", erklärt Abdul Badih Zanabili, Inhaber der Fabrik. "Es gibt unterschiedliche Sorten, je nachdem, wie viel Lorbeeröl man reintut, aber die Herstellung an sich ist seit Jahrhunderten immer dieselbe."

Das ist genau das Problem. Denn was in Europas Ökoläden für teures Geld als besonders natürliche Seife verkauft wird, gerät in Syrien, dem Herstellungsland, zunehmend zur Ware für Arme. Die grünlich-gelben, immer gleich riechenden, unhandlichen Klötze können mit den bunten, chemisch duftenden Seifen aus China nicht konkurrieren.

Harte Konkurrenz aus Fernost

Die Alepposeife ist damit ein Paradebeispiel für die Entwicklung der syrischen Wirtschaft der letzten Jahre. Modernisierung, Marktöffnung und zunehmende Privatisierung: So lautet seit einiger Zeit das Mantra der syrischen Wirtschaftspolitik.

In den vormals weitgehend abgeschotteten syrischen Markt strömt nun, vor allem aus dem asiatischen Raum, immer mehr Ware ins Land und bringt die kleinen einheimischen Unternehmen in Bedrängnis. Dies gilt auch für die Textilindustrie, nach dem Erdöl der zweitwichtigste Exportsektor des Landes.

Adil Rishi betreibt eine kleine Textilfabrik vor den Toren Aleppos; er verkauft seine Ware in die arabischen Nachbarländer. "Wir leiden unter dem chinesischen Import", räumt er ein. "Qualitativ ist ihre Ware schlechter als unsere, aber sie ist billiger. Da die meisten Syrer wenig verdienen, kaufen sie die chinesischen Produkte."

Ein grober Riss im sozialen Netz

Der Teilrückzug des Staates treibt die Arbeitslosigkeit nach oben. Offiziell bei elf Prozent, wird sie hinter vorgehaltener Hand auf de facto 20-25 Prozent geschätzt. Unverändert niedrigen Löhnen stehen steigende Kosten gegenüber, die immer weniger durch staatliche Subventionen aufgefangen werden. Große Teile der Bevölkerung verarmen daher. Gleichzeitig entsteht eine neue Schicht von Reichen.

"Das Netzwerk der sozialen Solidarität zerreißt, da es völlig auf die Rolle des Staates aufbaute, und dafür gibt es einfach keinen Ersatz", erklärt Samir al-Taqi, Leiter des regierungsnahen Think Tanks "Orient Center for Studies" in Damaskus. "Das ist ein großes Problem, und ich glaube, dass Syrien in diesem Zusammenhang bald vor großen Herausforderungen stehen wird."

In den Stadtzentren von Aleppo und Damaskus ist diese Entwicklung augenfällig. Zwischen grauen, staubbedeckten Gebäuden mit bröckelndem Putz und blinden Fenstern stehen dort, wie hineinretouchiert, bunte, hell erleuchtete Häuser mit den Schildern bekannter Firmen wie Benetton und NafNaf. In Cafés, die "Inhouse-Coffee" heißen, kostet ein Milchkaffee soviel wie in einem traditionellen Restaurant ein volles Mittagessen – den typischen arabischen Mokka gibt es dort gleich gar nicht.

Zeit des Wandels

Der Wandel von einer staatlich gelenkten, aber unproduktiven Wirtschaft zu einer zumindest teilprivatisierten, die unter Erneuerungsdruck steht, war allerdings unausweichlich und wird in Syrien immerhin so vorsichtig vollzogen, dass die harten sozialen Verwerfungen, die etwa die ehemals sozialistischen Länder des Ostblocks erschüttert haben, zumindest abgefedert werden. Ein positiver Nebeneffekt dieser Transformation besteht darin, dass sich mit der wirtschaftlichen Öffnung auch der Griff des Staates auf die Gesellschaft lockert.

"Wir, die wir hier leben, Zeitungen lesen und Fernsehen gucken, wir können feststellen, dass sich seit einigen Jahren etwas verändert", sagt Ibrahim Hamidi, Syrien-Korrespondent der arabischen Tageszeitung al-Hayat. "Es gibt jetzt private Banken, private Universitäten und Schulen, moderne Cafés. Studenten werden auf Englisch unterrichtet. Es gibt Internetzugang und private Medien."

Zwar bemüht sich das autoritäre Regime, die neuen Medien zu kontrollieren, eine lückenlose Kontrolle gelingt ihm aber nicht. Insbesondere was Wirtschaftsthemen angeht, scheint man toleranter geworden zu sein: So wird etwa in dem englischsprachigen Monatsmagazin Syria Today offen die ökonomische Unbeweglichkeit der Administration kritisiert.

Härte für Demokraten, Milde für Muslimbrüder

Reflexhaft repressiv reagiert das Regime hingegen nach wie vor gegenüber der Opposition. Erst kürzlich wurden zwölf Unterzeichner der "Dasmaskus-Erklärung", die ein Mehrparteiensystem, Demokratie und die Aufhebung der seit 1963 geltenden Notstandsgesetze gefordert hatten, zu je zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt – ein Richterspruch, der in Syrien als "besonders milde" interpretiert wurde.

Nach 45 Jahren Diktatur aus dem Hause Assad sind die Syrer ohnehin zwangsweise entpolitisiert, und insbesondere die linken, säkularen Demokraten finden wenig Rückhalt in der Bevölkerung.

"Nach der Unabhängigkeit hatte Syrien ein sehr aktives politisches Leben. Aber inzwischen ist die Basis für politische Aktivitäten schmaler denn je", erläutert Yassin Haj Saleh, ein Unterzeichner der Damaskus-Erklärung, bedauernd.

Politisch bedrohlicher könnten die Islamisten bzw. die Vertreter eines politischen Islams werden, die von dem konservativen Gesellschaftstrend in Syrien profitieren und die das Regime in Schach zu halten versucht, indem es die Islamisten einerseits gnadenlos verfolgt, andererseits mit der verbotenen Muslimbrüderschaft Verhandlungen zum Zweck der Integration aufgenommen hat.

Insgesamt scheint die syrische Regierung eine wirtschaftliche Öffnung unter Beibehaltung der politischen Kontrolle anzustreben – ein Modell, das auch China verfolgt. Ebenso wie in China entwickelt die Privatisierung jedoch eine Eigendynamik, die in andere gesellschaftliche Bereiche hineinwirkt. Eine Politik der Sanktionen und Drohungen, wie sie vor allem die USA in den letzten Jahren gegenüber Syrien angewandt haben, gefährdet diese Entwicklung.

Deshalb erklärt selbst ein Dissident wie Yassin Haj Saleh: "Es wäre gut, wenn der Westen hier investieren würde, um die Wirtschaft zu stärken. Und wenn die syrisch-europäische Partnerschaft unterschrieben würde. Das wäre ein Engagement mit dem Regime, das dem Westen einen Hebel gäbe, um das Verhalten des Regimes innerhalb Syriens und in der Region zu beeinflussen."

Antje Bauer

© Qantara.de 2008

Antje Bauer, 1954 geboren, studierte Politikwissenschaft, Romanistik und Islamwissenschaften und Arabistik in Gießen, Rom und Berlin. Sie hat als freie Journalistin für diverse Zeitunge gearbeiteit, und war von 1995 bis 1999 Chefredakteurin der deutschen Ausgabe von "Le Monde diplomatique". Seit den 90ern hat die vornehmlich im Radiobereich gearbeitet und über die Türkei, den Nahen Osten, Zentralasien und Afghanistan berichtet.

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