Hass im Paradies
Am 13. September 2013 wurde ein Säureanschlag auf einen katholischen Priester verübt, knapp einen Monat nachdem eine Säureattacke auf zwei britische Volontärinnen weltweit für Schlagzeilen gesorgt hatte.
Im November 2012 war der liberale Sheikh Fadhil Soraga, Sekretär des Muftis von Sansibar, zum Opfer dieser heimtückischen Serie von Anschlägen geworden. Im Zusammenhang mit Spekulationen über die Hintergründe fällt immer wieder der Name "Uamsho" (Swahili für "Erwachen"). Er steht für eine radikal-islamische Bewegung, die seit etwa zwei Jahren für eine politische Loslösung der teilautonomen Insel kämpft.
Innerhalb des gleichen Zeitverlaufs hat die tansanische Regierung in weiten Bevölkerungsteilen erheblich an Zuspruch verloren, was im Blick auf die 2015 bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen bei der politischen Elite für Irritation sorgt. In den vergangenen zwei Jahren hat sich zudem der laufende Verfassungsreformprozess in Tansania entfaltet.
Politische Union als unantastbares Tabu
Gleich zum Auftakt des Reformvorhabens, das im April 2014 mit einer neuen Verfassung abgeschlossen sein soll, wurde die Frage nach der politischen Union Sansibars mit Tansania von der Regierung zum unantastbaren Tabu erklärt.
Doch nicht nur Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich dem offiziellen Bann entzogen, auch "Uamsho" scheint aus der Situation politischen Profit zu ziehen und hat sich das Motiv der Gründung eines eigenen Staates Sansibar auf die Fahnen geschrieben. Die politische Arena ist stark von Machtkämpfen und Verlustängsten gekennzeichnet – ein Kontext in dem Religion leicht Gefahr läuft, als Projektionsfläche und Austragungsort instrumentalisiert zu werden.
Etwa 95 bis 98 Prozent der 1,3 Millionen Bewohner von Sansibar sind Muslime. Die Mehrheit bekennt sich zu einer moderaten Glaubensform des Islam. Viele Zeichen auf Sansibar zeugen jedoch von einer schleichenden gesellschaftlichen Veränderung in Richtung religiöser Radikalisierung. Die Anzahl der Frauen, die den Schleier tragen, zum Teil auch ihr Gesicht verhüllen, nimmt zu.
Während Studenten aus Sansibar vor einigen Jahren ihre Auslandsstudien vor allem in Europa, Kanada oder den Vereinigten Staaten absolvierten, führen Stipendien vor allem von islamischen Stiftungen heutzutage nach Saudi-Arabien oder in den Iran.
Klima der Gewalt
Betreffen diese Beobachtungen noch rein äußerliche gesellschaftliche Veränderung, so stehen Berichte von Besuchern über verbale Anfeindungen im Blick auf als "zu westlich" empfundene Kleidung in einem anderen Kontext. Im Januar 2012 brachte ein Parlamentsmitglied des "Zanzibar House of Representatives", den Vorschlag ein, Frauen, die sich während des Monats Ramadan mit Minirock kleideten, durch Prügelstrafe zu züchtigen.
Eine noch deutlichere Sprache sprechen die Flugblätter mit religiösen Hassparolen und Aufrufen zur Gewalt gegen Christen, die im vergangenen Jahr vielerorts kursierten. Als klares Warnsignal schließlich müssen die zahlreichen Brandanschläge, durch die im vergangenen Jahr mehrere Kirchen entweder zerstört oder stark beschädigt wurden, gesehen werden. Auch lokale Bars, mehrere Hotels und Geschäfte, die Alkohol verkauften, wurden zum Ziel von Anschlägen oder Gewaltandrohungen.
Politisch in Erscheinung getreten ist "Uamsho" erst vor zwei Jahren. Seit 2001 als Nichtregierungsorganisation registriert war "Uamsho" öffentlich zunächst nicht aktiv. Erst der Schulterschluss der Oppositionspartei "Civic United Front" (CUF) mit der tansanischen Regierungspartei "Chama Cha Mapinduzi" (CCM) zur Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit im Oktober 2010 markierte einen Wendepunkt.
Daraufhin stiegen die Sympathien für "Uamsho" in der Bevölkerung stark an und die Organisation trat mit der Forderung nach Autonomie Sansibars an die Öffentlichkeit. Diese hatte zuvor im Zentrum der politischen Agenda der CUF gestanden. Doch die Kursabweichung der CUF, die zuvor lange Zeit in Grabenkämpfe um unfaire, gewaltsame und gefälschte Wahlen mit der CCM verstrickt gewesen war, empfanden viele Sansibaris als Untreue.
Verschärfend kam der in den letzten Monaten auf Hochtouren laufende Verfassungsreformprozess hinzu, der sich im Kern um die Bewahrung der nationalen Einheit dreht. Der im November 2011 zugrunde gelegte "Constitutional Review Act" erklärt die Einheitsfrage im Rahmen des Verfassungsprozesses zum unantastbaren Tabu und droht mit drakonischen Strafen.
Öl ins Feuer
Diese Vehemenz hat neues Öl in das auf Sansibar seit längerer Zeit schon schwelende Feuer gegossen. Vor allem ab Ende 2011 bekamen öffentliche Kundgebungen von "Uamsho" vermehrt Zulauf, mehrere tausend Menschen versammelten sich bei religiösen Open Air Versammlungen, um den Koranrezitationen und Predigten der religiösen Führer zu folgen.
Der Anführer Sheikh Farid Hadi Ahmed begann Forderungen nach einem Dresscode für Ausländer, nach Restriktionen für den Konsum von Alkohol sowie die Etablierung eines autonomen Staates Sansibar zu propagieren.
Gezielte Propaganda wurde auch mit Flugblättern und starker Präsenz in den social media betrieben. Zu ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen „Uamsho“ Anhängern und der Polizei kam es im Sommer 2012. Auslöser war die Inhaftierung eines radikalen Predigers, nachdem eine Demonstration gegen den Verfassungsreformprozess das offiziell bewilligte Territorium überschritten hatte.
Während der Unruhen wurden drei Kirchen in Brand gesetzt und mehr als dreißig Protestteilnehmer inhaftiert. Im mehrheitlich muslimischen Sansibar stammen die meisten Christen ursprünglich vom Festland, weshalb Kirchen als negatives Symbol für einen unerwünschten Einfluss von außen gesehen werden können. Erneut und weitaus heftiger flammten die Auseinandersetzungen Mitte Oktober auf, nachdem Sheikh Farid Hadi Ahmed unter bislang ungeklärten Umständen für drei Tage verschwunden war.
Triebfeder der Gewalt
Wenngleich er und neun weitere Führungspersonen von "Uamsho" in dem Zeitraum von Oktober 2012 bis Januar 2013 zu Haftstrafen verurteilt wurden und es seither keine öffentlichen Unruhen mehr gab, kann von Entwarnung keine Rede sein. Dafür spricht vor allem, dass die gesellschaftlichen Missstände unverändert sind.
Sansibar steht vielen lokalspezifischen Problemen gegenüber, die sich von denen des Festlands stark unterscheiden, wie etwa die Drogenproblematik, Menschenhandel, Warenschmuggel. Die ungezügelte Korruption hingegen, hohe Arbeitslosigkeit, extreme Einkommensgefälle sowie die bedrückende Armut sind Probleme, die seit Jahrzehnten im ganzen Land Bestand haben.
Die einzige bemerkenswerte Änderung betrifft den außerordentlichen Wirtschaftsboom Tansanias mit steigenden Wachstumsraten von mehr als fünf Prozent, von denen doch nur die Elite zu profitieren scheint. Diese Verhältnisse bieten einen optimalen Nährboden für die Herausbildung einer neuen Generation von religionsideologischen Wortführern und radikalen Anhängern.
Die politischen Weichen in Tansania müssen neu gestellt werden und der interreligiöse Dialog ist notwendiger als jemals zuvor. Es müssen politische Konzepte entwickelt werden, um die Angehörigen der beiden großen Religionen über mangelndes Wissen, Missverständnisse und Vorteile hinweg ins Gespräch zu bringen. Und vor allem gilt es, moderate islamische Kräfte und Ansprechpartner ausfindig zu machen und zu unterstützen.
Bedenklich ist nur, dass die Grenzen zwischen gut und böse, die Profile von Tätern und Opfern und die Verstrickung von politisch Verantwortlichen, Drahtziehern und Provokateuren in dem schwelenden Konflikt auf Sansibar immer undeutlicher werden.
Danja Bergmann
© Qantara.de 2013
Frau Bergmann ist Koordinatorin für Migration und Integration bei der Konrad Adenauer Stiftung (in Elternzeit) und betreut für die KAS zurzeit von Tansania aus ein Projekt zum Islam in Afrika.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de