Licht ins Dunkel

Nach mehr als 35 Jahren Abstinenz sollen die Menschen nun wieder öffentlich Filme schauen dürfen. Mit einer echten Liberalisierung der Gesellschaft hat das wenig zu tun, dafür viel mit Wirtschaft. Von Dunja Ramadan

Von Dunja Ramadan

Ein junger Mann verliebt sich in ein Instagram-Model, doch die Klassenunterschiede sind zu groß, ihre Familie weist den Bräutigam ab, die Liebenden treffen sich heimlich: So klingt nicht unbedingt ein Überraschungsplot auf Oscar-Kurs.

Aber was, wenn der Film in der saudischen Hafenstadt Dschidda gedreht wurde? "Barakah meets Barakah" ist eine romantische Komödie aus Saudi-Arabien, jawohl, Saudi-Arabien. Und damit sehr wohl oscar-fähig.

Ein saudisches Komitee schickte den Film des Regisseurs Mahmoud Sabbagh in diesem Jahr als nationalen Beitrag ins Rennen um den Filmpreis. Zwar gewann ausgerechnet "The Salesman" - der Kandidat des ewigen saudischen Rivalen Iran - in der Kategorie für den besten fremdsprachigen Film, aber Sabbaghs Werk wurde international bekannt und ist seit Oktober auf Netflix zu sehen.

Saudi-Arabien war ein Land, in dem Filme gedreht, aber nicht gezeigt werden dürfen, was an sich schon Komödienstoff ist. Seit über 35 Jahren gibt es in Saudi-Arabien keine Kinos mehr, seit die ultrakonservativen Kleriker der Gesellschaft ihre kulturfeindliche Ideologie aufzwingen konnten, weil die saudische Monarchie schockiert und geschwächt war.

Musik, Kino und Theater als Teufelszeug

Im Iran hatte 1979 die Islamische Revolution triumphiert, in Mekka hatten islamistische Extremisten die Große Moschee besetzt. Musik, Kino, Theater - alles westlich, unislamisch, eine Ablenkung von der Religion, kurz: Teufelszeug. Noch im Januar hatte der Großmufti vor dem verderblichen Effekt von Kinos gewarnt.

Plakat Liebeskomödie "Barakh meets Barakah"
Sehr wohl oscar-fähig: Schauspieler wie Hisham Fakih hoffen, dass auch ihre Branche in Saudi-Arabien einen Boom erlebt. Bislang hatte die saudische Filmproduktion mit geradezu grotesken Problemen zu kämpfen. Fakih trat in der Liebeskomödie "Barakh meets Barakah" auf, die auch in deutschen Kinos lief.

Zwar errichteten reiche Familien kinoähnliche Räume im Hinterhof, viele Saudis fahren übers Wochenende nach Bahrain oder in die Vereinigten Arabischen Emirate, wo es Kinos gibt. Aber das alles ist nun nicht mehr nötig.

Im Internet kursieren künftige Filmtitel: "Ich weiß, was du letzten Ramadan gegessen hast". Am Montag, dem 11.12.2017, teilte das Kultur- und Informationsministerium mit, dass kommerzielle Kinos ab Anfang nächsten Jahres öffnen dürfen. Ab März sollen die ersten Kinos öffnen, bis 2030 sollen 300 in Betrieb sein. Lizenzen für Kinos werden ab sofort ausgestellt.

Die Regisseurin Haifaa al-Mansour, die mit dem ersten saudischen Kinofilm "Das Mädchen Wadjda" international gefeiert wurde, ist überwältigt: "Ich könnte vor Freude weinen", sagt sie am Telefon: "Viele Saudis lieben das Leben, aber bislang hinter verschlossenen Türen. Ich hoffe, dass sie jetzt glücklicher - und nicht so radikal werden."

Sie fühle sich an den Beginn der ägyptischen Filmindustrie in den dreißiger und vierziger Jahren erinnert. Bis heute gilt Ägypten als arabisches Hollywood für die ganze Region. Nun könne eine saudische Film- und Kunstszene entstehen, hofft Al-Mansour.

Saudi-Arabiens neuer autoritärer Visionär

In den vergangenen Monaten hat sich Einiges getan im erzkonservativen Königreich. Im September wurde das Fahrverbot für Frauen aufgehoben, nun fiel der Kinobann.

Beides gehört zur "Vision 2030" des mächtigen 32-jährigen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Er will den Golfstaat auf eine Zeit nach dem Öl vorbereiten, neue Wirtschaftszweige erschließen, wie Tourismus oder eben Unterhaltung. Die Kinobranche soll zum Wirtschaftswachstum beitragen.

Bis zum Jahr 2030 will das Kultur- und Informationsministerium 30.000 feste Arbeitsplätze und 130.000 befristete Jobs schaffen.

Salman tritt außenpolitisch so aggressiv auf, dass es die Region in Angst und Schrecken versetzt, er entledigt sich seiner Rivalen und Kritiker eher noch schneller und härter als frühere Machthaber.

Dennoch versprach er den Saudis mehr persönliche Freiheiten. Ende Oktober verkündete er eine weitere Liberalisierung der Gesellschaft - im saudischen Rahmen: "Wir gehen zu dem zurück, wie wir waren: dem moderaten Islam, der offen gegenüber der Welt und allen Religionen ist."

Schauspielerin Waad Mohammed aus "Das Mädchen Wadjda" und Regisseurin Haifaa al-Mansour (r.); Foto: Reuters
Schauspielerin Waad Mohammed aus "Das Mädchen Wadjda" und die Regisseurin Haifaa al-Mansour: Sie schrieb nach der Aufhebung des Kinoverbots: "Es ist ein wunderschöner Tag in Saudi-Arabien". Mansours Film "Das Mädchen Wadjda" hatte international zahlreiche Preise gewonnen.

Gerade gab es in Riad ein Popkonzert, das erste in der Geschichte des Landes: Die libanesische Sängerin Hiba Tawaji trat vor einem ausschließlich weiblichen Publikum auf. "70 Prozent der Saudis sind jünger als 30 Jahre. Ganz ehrlich, wir werden keine 30 Jahre unseres Lebens verschwenden, um uns mit extremistischen Ideen zu beschäftigen. Wir werden sie heute und sofort zerstören", sagte Salman in Riad.

"Endlich eine Alternative zum Restaurantbesuch"

Die Entscheidung der saudischen Regierung dürfte den konservativen Klerus erzürnen. Die Filmemacherin Haifaa al-Mansour sieht dem Protest der Geistlichen gelassen entgegen: "Die Gesellschaft kann nur wachsen, wenn gestritten und diskutiert wird. Das ist nur gesund." Sehr oft wenden sich junge Saudis an sie, die in den USA oder in Großbritannien Film studieren und deren Traum es ist, in diesem Bereich zu arbeiten.

Doch viele von ihnen fürchten, dass ihre Projekte in ihrer Heimat keine Chance haben. "Nun können sie ihr künstlerisches Talent auch im eigenen Land entfalten, das ist wunderbar", sagt al-Mansour. Für sie ist der Traum bereits in Erfüllung gegangen. Vergangene Woche gewann sie in Dubai den IWC Filmmaker Award für ihren neuen Film "Miss Camel".

Unter dem arabischen Hashtag "Kino in Saudi-Arabien" feiern junge Saudis die Neuigkeit. Ein Mann schreibt: "Endlich eine Alternative zum Restaurantbesuch." Andere schlugen Titel für künftige Produktionen vor, etwa "Ich weiß was du letzten Ramadan gegessen hast" oder "Fifty days of pray".

Dunja Ramadan

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