Unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Frau Safai, Sie reisen seit Jahren durch Europa und die Welt, um Fußball- und Volleyballspiele der iranischen Nationalmannschaften zu besuchen. Sie tun das im Namen der Rechte iranischer Frauen. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Darya Safai: Ich protestiere gegen das iranische Stadionverbot für Frauen, das es Iranerinnen untersagt, in ihrer Heimat als Zuschauerinnen an öffentlichen Sportveranstaltungen teilzunehmen. Noch wirksamer als in amerikanischen, französischen oder türkischen Arenen, wäre der Protest natürlich im Iran selbst, aber ich bin 1999 von Teheran nach Brüssel geflohen. Gegen mich war wegen meiner Beteiligung an den damaligen Studentenprotesten ein Haftbefehl erlassen worden. Deswegen mache ich mit meinem Verein "Let Iranian Women Enter Their Stadiums" von außen Druck.
Warum ziehen Sie aus Ihrem Exil gerade gegen das Stadionverbot ins Feld?
Safai: Das hat zwei Gründe: Zum einen bin ich selbst sportbegeistert seit ich 1997 das WM-Qualifikationsspiel der iranischen Fußballnationalmannschaft gegen Australien sah. Als Iran in der 80. Minute das entscheidende Tor schoss, stand ganz Teheran Kopf. Ich feierte mit Hunderten Menschen auf der Straße, lag Nachbarn in den Armen. Da dachte ich: Warum dürfen Frauen diese Ekstase nicht auch im Stadion erleben? Zum anderen begreife ich den Protest gegen das Stadionverbot aber auch als ein Symbol gegen alle Formen der Diskriminierung iranischer Frauen in meiner Heimat.
Inwiefern?
Safai: Sportarenen sind ja im Endeffekt nichts anderes als Miniaturen unserer Gesellschaften. Dort wird zusammen gejubelt und gelitten, dort fühlt man sich zu anderen zugehörig oder eben nicht. Dass Iranerinnen aus diesem öffentlichen Raum und von diesen Erfahrungen ausgeschlossen werden, steht sinnbildlich für ihre Marginalisierung, die sich natürlich auch in anderen Bereichen diagnostizieren lässt. Vor einigen Jahren waren etwa 67 Prozent der Studierenden in Iran Frauen, Tendenz steigend. Dann führte das Regime eine Quote ein, die den Wert wieder auf unter 50 Prozent drückte. Frauenforschungs- und Gender-Studies-Kurse wurden vielerorts komplett gestrichen.
Ihren Protest trugen Sie zuletzt bis zu den Olympischen Spielen. Auf der Tribüne des Maracanãzinho-Stadions in Rio de Janeiro hielten Sie ein Plakat Ihrer Organisation hoch. Das stieß nicht ausschließlich auf Gegenliebe …
Safai: Ich war innerhalb von ein paar Minuten von Sicherheitskräften umzingelt, dann kamen noch brasilianische Soldaten dazu und von hinten schrie ein iranischer Volleyballfan, ich solle meinem Land keine Schande machen. Man versuchte, mir das Plakat abzunehmen und mich aus dem Stadion zu werfen.
Am Ende blieben Sie Dank des vehementen Protests anderer Fans und anwesender Journalisten auf Ihrem Platz. Die Bilder Ihres Protests gingen durch internationale Medien. War die Aktion am Ende also ein voller Erfolg?
Safai: Rückblickend kann man das sagen. Ich war sogar noch bei den letzten drei Spielen der iranischen Volleyball-Nationalmannschaft und habe mein Plakat hochgehalten. Aber man sieht mich auf den Fotos nicht umsonst weinen. Der Moment selbst war tragisch für mich, weil er symbolisch steht für die Untätigkeit der großen Sportverbände in Sachen Diskriminierung. Das Olympische Komitee, die FIFA, der internationale Volleyballverband FIVB – alle schreiben sich Anti-Diskriminierung und Geschlechtergleichstellung auf die Fahnen, verhindern im Grunde aber jede Auseinandersetzung mit diesen Themen.
Vermeiden die Verbände auch eine konkrete Debatte über die Situation in Iran?
Safai: Sie weichen schlichtweg aus. Im Falle des Stadionverbots für Iranerinnen reden die Verbände auf Nachfrage immer von "kulturellen Paradigmen", an denen man nicht rütteln wolle. Dabei ist das eine ganz schwache Ausrede. Das Stadionverbot hat nämlich keine kulturhistorische Dimension. Es gab Zeiten, da waren ein Drittel der Volleyballfans in Teherans Azadi-Stadion, was nebenbei übersetzt "Stadion der Freiheit" bedeutet, Frauen. Es gibt im Iran nicht einmal ein Gesetz, das es Frauen explizit verbietet, öffentliche Sportveranstaltungen zu besuchen. Das Verbot existiert also nur aus einem Grund – und der ist weder kulturell, noch historisch. Er ist politisch. Ali Khamenei und die Führungsriege des iranischen Regimes wollen Frauenrechte im Sinne ihrer religiösen Überzeugungen noch weiter einschränken. Das gilt es zu verhindern.
Sind Sie vor diesem Hintergrund auch gerade von Präsident Hassan Rohani enttäuscht, der nach seiner Wahl vor drei Jahren für viele Menschen im In- und Ausland für politische Reformen und eine gesellschaftliche Öffnung stand?
Safai: In Hinblick auf die Rechte von Frauen war Rohanis Amtszeit bisher skandalös – und das, obwohl er 2013 viele Versprechen, auch bezüglich einer Lockerung des Stadionverbots, gemacht hatte. Erst im vergangenen Mai wurde ein 15-jähriges Mädchen verhaftet, das sich als Junge ausgab, um das letzte Spiel der iranischen Fußballsaison live mitzuerleben. Im Juli wurde angekündigt, dass die Spiele der iranischen Volleyball-Nationalmannschaft wieder für Frauen zugänglich gemacht werden sollten. Als dann ein paar Tage später der Online-Verkauf der Tickets begann, waren sie sofort mit dem Hinweis „ausverkauft“ versehen. Die Probleme bleiben also dieselben. Rohanis negative Bilanz hat mich allerdings nicht überrascht.
Warum?
Safai: Erstens war Rohani derjenige, der 1999 als Berater des "Nationalen Sicherheitsrates" dazu aufrief, die Studentenproteste niederzuschlagen – so viel zu seinem Reformwillen. Zweitens sind die Hoffnungen, die Menschen in einen iranischen Präsidentschaftswechsel setzen, vollkommen realitätsfern. So wie alle Präsidenten vor ihm ist auch Rohani nur eine Marionette Khameneis.
Haben Sie vor diesem Hintergrund noch Hoffnung, dass sich die Frauenrechtslage im Iran in Zukunft verbessern wird und Sie Ihr Ziel, die Aufhebung des Stadionverbots, erreichen können?
Safai: Ich hatte in meiner Jugendzeit in Teheran einmal einen Schultag erlebt, da wurde ich in das Büro des Schulleiters bestellt, weil ich zu laut über den Witz einer Freundin gelacht hatte. "Gute Mädchen lachen leise", sagte er. Das war wie ein Trauma für mich. Auf Fotos von damals sieht man mich nie lächeln. Doch schauen Sie mich heute an. Ich kann wieder lachen. Was ich sagen will: Manchmal brauchen Veränderungen mehr Zeit als uns lieb ist, aber irgendwann passieren sie.
Was müsste getan werden, um diese Veränderungen schneller zu erwirken?
Safai: Es bräuchte ein breiteres politisches und gesellschaftliches Engagement für die Frauenrechte in Iran. Bei dem Thema der nuklearen Aufrüstung haben internationale Akteure an einem Strang gezogen, um Khameneis Regime mittels Verhandlungen und harten Sanktionen zum Umdenken zu bewegen. Am Ende war das ein Erfolg. Solch einen Einsatz und so eine Hingabe würde ich mir auch beim Thema Frauenrechte wünschen. Dann sehen Sie Frauen wie mich auch bald wieder auf den Stadiontribünen Teherans.
Das Interview führte Kai Schnier.
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