Zentrum des deutschen Islamismus?
Stefan Meining hat ein Buch geschrieben, das sich vor allem in den ersten Kapiteln wie ein Spionagethriller liest. Sie sind auch die stärksten des Buches. Meining zeichnet eine Linie von der NS-Zeit über den Kalten Krieg und dem Kampf um Afghanistan bis zu den Attentaten vom 11. September 2001.
Das Buch beruht im Wesentlichen auf den Recherchen zu seinem Dokumentarfilm, den die ARD 2006 ausgestrahlt hat. Darin skizziert er den Aufstieg des politischen Islam im Westen. Während die Islamisten-Szene seit dem 11. September 2001 aufmerksam beobachtet wird, konnte sie sich vorher nicht nur ungehindert ausbreiten, sie wurde sogar gezielt von den Geheimdiensten aufgepäppelt. Für ihre Ziele interessierte sich lange Zeit niemand. Sie sollte benutzt werden für die Zwecke anderer, die sie offensichtlich unterschätzten.
Dabei reichen die Anfänge des politischen Islam in Europa weit zurück und es ist das Verdienst des Autors, diese Wurzeln in aufwändigen Recherchen zu rekonstruieren.
Schon Hitler setzte auf sowjetische Muslime vor allem aus dem Kaukasus, die in den sogenannten Freiwilligenverbänden auf deutscher Seite gegen die Russen kämpften. Ihre Motive waren weniger ideologischer als nationalistischer Natur. Nach dem Motto "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" unterstützen sie den deutschen Krieg gegen ihren Erzfeind Stalin in der Hoffnung auf nationale Unabhängigkeit. Die Nazis verwendeten den Islam als eine heute weitgehend vergessene Propagandawaffe deutscher Kriegsführung vor allem in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs. Nach 1945 wurden diese islamischen Kämpfer entweder in die Sowjetunion repatriert, was ihren sicheren Tod bedeutete. Wer dagegen Glück hatte, durfte sich in Deutschland niederlassen.
Erster deutscher Islamverein mithilfe von Nazis gegründet
Die ersten Muslime in München waren führende Vertreter dieser Freiwilligenbewegung. Nationalsozialisten wie der Turkologe Gerhard von Mende, der im Dritten Reich die muslimischen Freiwilligenverbände koordinierte, spielten auch nach 1945 eine entscheidende Rolle. Sie wollten die muslimischen Exilpolitiker aus der Sowjetunion auch weiterhin für deutsche Interessen einspannen und vor allem verhindern, dass sie für die Amerikaner arbeiteten. Der Islam diente nur als Mittel zu dem Zweck, in der Sowjetunion Unruhe zu verbreiten. Offenbar funktionierten die alten Seilschaften nach 1945 relativ nahtlos weiter.
1953 gründeten ehemalige Freiwillige aus Wehrmacht, SS und der politischen Freiwilligenbewegung mit der "Religiösen Gemeinschaft Islam" in München den ersten deutschen Islam-Verein aus dem später die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland" (IGD) hervorgegangen ist. München wurde zur Frontstadt im Kalten Krieg. Die Fraktion der sowjetischen Flüchtlinge wurde bald von arabischen Studenten um ihren Einfluss gebracht, die sich bei der Führung in der Moscheebaukomission letztlich behaupteten.
Zentrale Figur in dieser Zeit war der aus Ägypten stammende Said Ramadan, Schwiegersohn von Hassan al-Banna, dem Begründer der Muslimbrüder und Vater von Tariq Ramadan. Said Ramadan kam wegen der Verfolgung durch Nasser 1958 ins Exil nach München, eine schillernde und charismatische Führungsfigur der ägyptischen Muslimbrüder. Nassers Folterkeller waren eine bedeutende Kaderschmiede für Islamisten. Mit Said Ramadan geriet die Münchner Moschee unter den Einfluss der Muslimbrüder, ein Einfluss, der wohl bis heute andauert. Dass der weltläufige Said Ramadan mit seinen guten Kontakten nach Saudi-Arabien für den CIA arbeitete, wurde immer wieder gemunkelt, doch auch Stefan Meining kann dafür keinen Nachweis liefern.
Verbindungen zu Al Qaida?
Der Autor beschreibt diese Verwicklungen und seine Recherchen in den Archiven der CIA, Stasi und KGB plausibel und gut lesbar. Dass wirklich alle wesentlichen Fäden des politischen Islam in Deutschland in der Moschee in München-Freimann zusammen laufen sollen, wirkt aber bisweilen konstruiert und nur der Dramaturgie des Autors geschuldet. Denn ausgerechnet der auf dem Klappentext behauptete Zusammenhang mit den Attentätern des 11. September ist eher dünn.
Die USA verdächtigten Ghaleb Himmat, damals Präsident der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland, und seinen Geschäftspartner Youssef Nada, über die Firma Al Taqwa Geld für Al Qaida beschafft zu haben. Das Islamische Zentrum München geriet unter Terrorverdacht. Die Vorwürfe wurden allerdings bis heute von keinem Gericht überprüft. So ausführlich die ersten Kapitel sind, zum 11. September und zur Verbindung von den Muslimbrüdern zu Al Qaida würde man gerne mehr erfahren.
Meining zitiert ausführlich aus der Schriftenreihe Al-Islam der Münchner Moschee, die von dem deutschen Konvertiten Ahmad von Denffer herausgegeben wird. In den Texten von Al-Islam kommt ein gespanntes Verhältnis zur säkularen und demokratischen Gesellschaft zum Ausdruck. Nach dem Fokus auf die schillernde Welt der Geheimdienste wünscht man sich vom Autor hier mehr Einordnung in das breite Spektrum des politischen Islam. Auch Muslimbrüder und Islamisten bilden keine einheitliche Front, wie man an den Debatten in Ägypten gut sehen kann. In seinem Fazit kann man dem Autor aber nur zustimmen: Wer die Zusammenhänge nicht erkennen will, bleibt blind.
Claudia Mende
© Qantara.de 2011
Stefan Meining: Eine Moschee in Deutschland. Nazis, Geheimdienste und der Aufstieg des politischen Islam im Westen, Verlag C.H. Beck.
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de