''Wir gehen nicht zurück in unsere Küchen''
Ende Januar haben meine Familie und ich an einer Demonstration teilgenommen, zu der feministische NGOs und Menschenrechtsorganisationen aufgerufen hatten.
Die Demo war sehr gut organisiert - das Innenministerium war informiert, und darauf bedacht, die Sicherheit aller Teilnehmer zu garantieren. Doch mitten in dem friedlichen Protestmarsch brachen mehrere wütende Gegner in unsere Reihen ein. Sie skandierten respektlose Slogans wie: "Geht zurück in eure Küchen, ihr Huren!"
Sie verglichen uns mit Leila Trabelsi, der Frau des abgesetzten Präsidenten, von dem die meisten Leute sagen, dass er für die Unterdrückung und Ungerechtigkeiten verantwortlich ist, unter denen wir Tunesier 20 Jahre lang zu leiden hatten. "Was wollt ihr noch, ihr Hündinnen? Wollt ihr Männer werden?", riefen sie. Sie haben sogar versucht, einige der Frauen anzugreifen.
Eine Mutter, die mit ihren beiden Töchtern da war, wurde von einem dieser Verrückten bedroht. Er schrie "Ich werde dich ficken, du Hündin, heute Nacht werde ich mir deinen Körper nehmen." Aber dank der Umsicht und Intelligenz einiger Teilnehmerinnen des Protestmarsches gelang es, die Angreifer davon abzuhalten, uns aufzuhalten und weiter zu behindern, sie verließen schließlich die Demo.
Neue Erfahrungen beim Sit-in
Zwischenfälle dieser Art hat es seither noch häufiger gegeben. Jedes Mal wenn eine Nichtregierungsorganisation oder andere Menschen eine Aktion zum Thema Frauenrechte und Gleichberechtigung organisiert, gibt es kleine Gruppen, die Ärger machen und versuchen, Unruhe zu stiften.
Ende Januar haben andere Blogger und ich eine Veranstaltung organisiert - zur Erinnerung an all die Märtyrer, die ihr Leben durch Demonstrationen verloren haben. Wir Blogger haben ein zweistündiges Sit-in gemacht, wir zündeten Kerzen an und hielten Rosen in unseren Händen.
Hunderte von Menschen schlossen sich dem Sit-in an. Es war wirklich großartig zu sehen, wie Tunesier sich zusammenschlossen, trotz aller Unterschiede. Aber wieder haben einige Leute versucht, die Veranstaltung zu stören. Die meisten von ihnen waren betrunken.
Sie haben gebrüllt und gefordert, dass wir die 'Fatiha' lesen, statt Kerzen anzuzünden. Sie sind auch auf die Kerzen getreten, um sie zu zertrampeln. Zum Glück konnten mein Vater und ein Freund von mir, der Rechtsanwalt ist, sie schließlich davon überzeugen, dass sie gehen sollten, bevor sie noch mehr anrichten konnten.
Angriff auf die Freundin
Mitte Februar wurde Hana Trabelsi, eine Bloggerin und enge Freundin von mir, auf der Hauptstraße von Tunis angegriffen. Sie war bei einem Sit-in in der Kasbah, als sie Schüsse von der Avenue Habib Bourguiba hörte. Sie lief hin, um herauszufinden, was dort los war.
Es stellte sich heraus, dass einige Demonstranten in der Kasbah beschlossen hatten, in die Innenstadt weiterzumarschieren. Einige gewalttätige Gruppen haben das zum Anlass genommen, um Gewalt gegen die Demonstranten anzuwenden.
Hana machte ein Foto von Jawaher Channa, einem Studenten, dem gerade ins Bein geschossen worden war, als sie brutal von einem Polizisten angegriffen wurde. Er schrie zu einer Gruppe von Kriminellen, die gerade dabei waren, in ein Juweliergeschäft einzubrechen: "Sie macht Fotos von euch, sie hat Beweise, dass ihr Kriminelle seid. Sie wird sie der Polizei geben und ihr werdet festgenommen." Eine Minute später griffen sie Hana an, und stahlen ihr die Kamera, Tasche, Geld und sogar ihre Schlüssel.
Ich kann nicht sagen, ob dieser Angriff geschah, weil sie eine Frau ist. Aber als ich später ein Video ins Netz stellte, in dem Hana über den Angriff gegen sie berichtet, bekam ich eine Reihe Kommentare mit diskriminierendem und intolerantem Inhalt.
Statt die kriminellen Übergriffe zu kommentieren, bedachten uns einige Kommentatoren mit Schimpfwörtern. Sie meinten, dass Frauen zu Hause bleiben sollten, statt bei Unruhen auf der Straße Fotos zu machen.
Wachsame Frauen
Doch trotz solcher Vorkommnisse sind die Tunesier dabei, ihr Land langsam aber stetig neu aufzubauen. Die Menschen halten den Druck aufrecht und demonstrieren immer wieder, wenn die Übergangsregierung versucht, ihnen unakzeptable Entscheidungen aufzuzwingen.
Die Frauen haben eine wichtige Rolle bei den Demonstrationen während der Umbrüche gespielt, die zu Ben Alis Absetzung geführt haben, und auch weiterhin sind Frauen wesentlich an den Protesten beteiligt, die seit dem 14. Januar stattfinden.
Diese Frauen sind die Mütter, deren Kinder getötet wurden, als die tunesische Polizei das Feuer auf sie eröffnete. Sie sind die Ärztinnen und Krankenschwestern, die denen, die bei den Protesten verletzt wurden, zu Hilfe kamen.
Sie sind die Rechtsanwältinnen, die gegen Ben Ali aufgestanden sind, und auf die man mit Schlagstöcken eingeprügelt hat. Sie sind auch die Bloggerinnen, die Gewalt und Angriffen ausgesetzt waren. Sie sind die Frauen, die während der Umbrüche von Polizisten vergewaltigt wurden, und die dennoch weiter den Kampf für die Freiheit kämpften.
Sie sind Frauen, die auf die Straße gingen, Essen kochten, und es zur Kasbah brachten, um die Menschen zu stärken, die an den Sit-ins teilnahmen, um für einen Regierungswechsel oder die Wahl zu einer verfassungsgebenden Versammlung zu demonstrieren.
Sie sind die Frauen, die erschossen wurden, als die Polizei mit scharfer Munition geschossen hat: Es sind Manel, Narjess und Yakine.
Lina Ben Mhenni
© Deutsche Welle 2011
Lina Ben Mhenni wurde für ihre mutige Berichterstattung während der Jasminrevolution in ihrem Blog "A Tunisian Girl" 2011 mit dem Blog-Award der Deutschen Welle, "The BOBs", ausgezeichnet.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de