Schummeln mit System
"Hiermit erkläre ich meine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen, ich beanspruche mein Recht, vom Wehrdienst freigestellt zu werden und bin alternativ – wenn notwendig – bereit, einen Zivildienst abzuleisten, solange dieser nicht von einer militärischen Organisation verwaltet wird."
Mit dieser Stellungnahme trat der 25jährige Amir Eid Mitte Oktober an die Öffentlichkeit. Bis heute widersetzt er sich seiner Einberufung in den Militärdienst in der ägyptischen Armee. Eid hofft auf eine rasche Beilegung des Konfliktes, denn eine Verweigerung aus Gewissensgründen ist nach ägyptischem Recht nicht vorgesehen.
Eid hatte sich nach Abschluss eines Ingenieursstudiums in Kairo bei der Armee gemeldet und damit den Rekrutierungsprozess wie vorgesehen in Gang gesetzt. Doch dieser wurde im Mai 2015 von den Militärbehörden auf Eis gelegt – für ganze 17 Monate. "Ich wollte eine ideologische Diskussion mit der Armee eigentlich vermeiden", so Eid. Schließlich habe der darauf spekuliert, früher oder später aus gesundheitlichen Gründen freigestellt zu werden, erzählt er. Doch das Militär teilte ihm Anfang Oktober mit, dass er sich zwei Wochen später in einer Kairoer Kaserne zu melden habe, um seinen Wehrdienst anzutreten.
Dieser komme für ihn jedoch unter keinen Umständen in Frage, betont er. Den Dienst an der Waffe lehne er grundsätzlich ab. Doch auch die Beschaffenheit des Wehrdienstes in Ägypten, bei dem Wehrdienstleistende oft in von der Armee kontrollierten Unternehmen zivilen Arbeiten nachgehen müssen, missbilligt Eid ausdrücklich. Es sei Zwangsarbeit. Der Wehrdienst diene in diesen Fällen nicht dem Land, sondern der Militärökonomie und deren Vertretern.
Soziale Segregation in der Armee?
Eid ist dieses Jahr bereits der dritte Zwangsdienstverweigerer und seit 2010 der erst neunte Fall, erzählt Samir Al-Sharbaty von der NGO "No To Compulsory Military Service Movement", einer Aktivistengruppe, die sich für Kriegsdienstverweigerer stark macht. In Ägypten ist die Verweigerung aus Gewissensgründen also alles andere als ein Massenphänomen. Bisher. Denn der Unmut über den Zwangsdienst ist in allen gesellschaftlichen Schichten spürbar.
Auch Al-Sharbaty verweigerte den Dienst an der Waffe und erklärte, er lehne es ab, Konflikte mit Gewalt zu lösen und als Wehrdienstleistender kommerzielle Arbeiten zu übernehmen. "Ich wiedersetze mich der Einberufung, weil ich es ablehne, die Schuhe der Führer zu polieren", sagt er weiter und spielt darauf an, dass höherrangige Offiziere die Hierarchien im Militärapparat für sich zu nutzen wissen. Auch die Korruption in der Armee kritisiert er. Denn wer die richtigen Kontakte habe, könne sich vom Wehrdienst freikaufen.
In der Tat spielen persönliche oder familiäre Beziehungen eine Rolle dabei, welche Arbeiten jemandem zugewiesen werden und vor allem, wo man seinen Wehrdienst abzuleisten hat. Wem keinerlei Bevorteilung zuteil wird, dem droht ein Wehrdienst in Regionen, die weniger ungefährlich sind als Kairo oder das Nildelta. Wehrdienstleistende werden auch nach Al-Arish beordert, der Hauptstadt der Unruheprovinz Nordsinai, in der die Armee seit 2013 einen blutigen Krieg gegen radikale Islamisten führt. Berichte über getötete Zivilisten, aber auch Wehrdienstleistende finden sich mittlerweile fast wöchentlich in den ägyptischen Medien.
Kreative Wege zur Ausmusterung
Kein Wunder also, dass der Wehrdienst unbeliebt ist. Dennoch ist er für Männer verpflichtend. Wer einen Hochschulabschluss vorweisen kann, wird für 13 Monate eingezogen. Menschen mit niedrigerem Bildungsstand können bis zu drei Jahre verpflichtet werden. Hat eine Familie nur einen Sohn, ist eine Ausmusterung üblich. Doch auf wen das nicht zutrifft und wer dem Dienst an der Waffe dennoch entgehen will, der muss schummeln.
Gängigstes Vorgehen ist es, Gesundheitsprobleme vorzutäuschen, um aus medizinischen Gründen ausgemustert zu werden. Andere verlassen noch vor Beginn des Rekrutierungsprozesses das Land und kehren erst nach ihrem 30. Geburtstag nach Ägypten zurück, da ab dieser Altersschwelle die Einberufung nicht mehr erfolgt.
Doch beim Vermeiden des verhassten Zwangsdienstes sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Mahmoud, der seinen richtigen Namen nicht nennen will, wählte einen unkonventionellen Weg, um den Fängen der Militärs zu entgehen: Lange vor der Einberufung futterte er sich mehrere Zentner Gewicht an, bis er bei über 100 Kilogramm Körpergewicht sicher sein konnte, bei der Musterung durchzufallen. Mit Erfolg.
Verweigerung als letzer Ausweg
Die Verweigerung bleibt für einige dennoch die letzte Option. Bisher kamen Menschen wie Eid mit dem blauen Auge davon. Nur im Falle Maikel Nabil Sanads, dem ersten öffentlich bekannten Kriegdienstverweigerer im Land, setzte die Armee auf Beugehaft, entließ ihn jedoch schon nach wenigen Tagen und stellte ihn aus gesundheitlichen Gründen frei.
Eid hingegen darf das Land nicht verlassen. Denn wer seinen Kriegsdienst nicht absolviert, seine Ausbildung aber bereits abgeschlossen hat, benötigt bei Reisen ins Ausland die Genehmigung der Armee. Sein Master-Studium in Italien konnte Eid daher nicht antreten und ist zum Abwarten verdammt. Doch auch das Arbeiten wird erschwert, denn wer bis zur finalen Entscheidung der Armee Geld verdienen will, muss sich alle 14 Tage eine Arbeitserlaubnis des Militärs beschaffen.
Ein Zivil- oder Ersatzdienst existiert in Ägypten derweil nur auf dem Papier. Denn dieser sei nicht verpflichtend, erklärt Al-Sharbaty. Die Organisation "No To Compulsory Military Service Movement" fordert unterdessen, die Wehrdienstpflicht abzuschaffen und Menschen, die diesen dennoch ableisten wollen, adäquat zu entlohnen.
Auch kritisiert die Gruppe demütigende und beleidigende Praktiken in der Armee und fordert gesetzliche Maßnahmen, die Übergriffe gegen Rekruten hart bestrafen. Realistisch sind derlei Forderungen derzeit jedoch keinesfalls. Das Land braucht zunächst eine öffentliche Debatte über den Wehrdienst. Diese jedoch findet bisher nur im Privaten statt.
Sofian Philip Naceur
© Qantara.de 2016