Kulturkampf um das christliche Fest

Das christliche Fest ist bei Israels Säkularen beliebt. Die "Christmas“-Atmosphäre fördert die Annäherung zwischen Juden und Arabern. Orthodoxe Juden sehen darin aber eine Gefahr, berichtet Joseph Croitoru.

Von Joseph Croitoru

In Israel ist Weihnachten in säkularen Kreisen in den letzten Jahren immer beliebter geworden. Mittlerweile ist es fast schon eine Selbstverständlichkeit, dass Einzelhandelsketten in der Vorweihnachtszeit Abteilungen mit, wie sie im Land heißen, "Christmas“-Artikeln einrichten.



Die hier tonangebende Supermarktkette "Tiv Taam“ (Guter Geschmack) meldet so gut wie jährlich gestiegene Umsätze mit Weihnachtswaren. Besonders begehrt sind Weihnachtsbäume, die in Israel meist als bunt leuchtende Plastikbäumchen angeboten werden.   

Die zunehmende Beliebtheit des christlichen Lichterfestes in Israel ist auch an der wachsenden Zahl der dortigen Weihnachtsmärkte abzulesen. In den arabisch-christlichen Ortschaften vor allem in Galiläa sind mit den Jahren immer mehr solcher Märkte eröffnet worden. Wegen der steigenden Zahl auch von jüdischen Besuchern sind sie inzwischen häufig überlaufen.



Als während der COVID-19-Pandemie die Israelis nicht ins Ausland reisen konnten, sah sich die Stadt Nazareth wegen der großen Besucherzahl sogar veranlasst, die Weihnachtszeit auf fünfzig Tage zu verlängern. 

Musliminnen beim Weihnachtseinkauf auf dem Christkindlmarkt in der Altstadt von Jerusalem am 15.Dezember 2022; Foto: MENAHEM KAHANA/Afp/Getty Images
Wachsende Begeisterung für Weihnachtsmärkte: In den arabisch-christlichen Ortschaften vor allem in Galiläa sind mit den Jahren immer mehr Weihnachtsmärkte eröffnet worden. Wegen der steigenden Zahl auch von jüdischen Besuchern sind sie inzwischen häufig überlaufen. "Die 'Christmas-Atmosphäre' trägt in den arabischen Orten wie auch in den gemischten jüdisch-arabischen Städten zur Völkerverständigung bei“, meint Joseph Croitoru. "Nicht nur in letzteren – in diesem Jahr ist neben Haifa und Jaffa zum ersten Mal auch die einstige Kreuzfahrerstadt Akko mit dabei – ist man mittlerweile bemüht, das jüdische Chanukka- mit dem Weihnachtsfest unter der neuhebräischen Wortkreation 'Chanuchristmas' zu verbinden.“



Die "Christmas-Atmosphäre“ trägt in den arabischen Orten wie auch in den gemischten jüdisch-arabischen Städten zur Völkerverständigung bei. Nicht nur in letzteren – in diesem Jahr ist neben Haifa und Jaffa zum ersten Mal auch die einstige Kreuzfahrerstadt Akko mit dabei – ist man mittlerweile bemüht, das jüdische Chanukka- mit dem Weihnachtsfest unter der neuhebräischen Wortkreation "Chanuchristmas“ zu verbinden.



Weihnachtsmärkte und einschlägige Events finden unter diesem Etikett längst auch in etlichen mehrheitlich jüdischen Städten sowie an Universitäten statt.  

Kritik an "Chanuchristmas"

Auf religiöser Seite wird der neue säkulare "Kult“ um "Chanuchristmas“ allerdings heftig kritisiert, weil er die "jüdische Identität“ verwische. An solche Kritik hat man sich im säkularen Lager zwar schon gewöhnt, doch wird in diesem Jahr die Weihnachtsfreude der liberalen Israelis durch ihre Sorge vor der entstehenden, stark rechtsgerichteten neuen Regierung Netanjahu getrübt. Man sieht bereits die kulturelle Vielfalt im Land durch eine zu befürchtende Kultur- und Identitätspolitik bedroht, die sich allein auf das Jüdische verengt.  

Für Aufsehen hat gerade ein Appell von Anat Kamm, Redakteurin der linksliberalen israelischen Zeitung "Haaretz“, gesorgt. Sie rief die Israelis dazu auf, als Zeichen des Protests und "zivilen Aufstands“ gegen den erneuten politischen Rechtsruck im Land Weihnachten zu feiern und demonstrativ Weihnachtsbäume auf ihren Balkonen und Terrassen aufzustellen.



Allerdings trifft ihr Aufruf selbst in säkularen Kreisen nicht nur auf Zustimmung. Orly Noy, Vorstandsvorsitzende der bekannten israelischen Menschenrechtsorganisation Btselem, hat Anat Kamm vorgeworfen, damit lediglich dem "kommerzialisierten Kitsch“ zu frönen: Sie solle statt einem Weihnachtsbaum lieber eine Palästina-Fahne auf ihrem Balkon anbringen. 

Ein Junge mit Krapfen für Chanukka; Foto: UPI Images/imago
Kampf um kulturelle Symbole: "Sufganiot“ heißen die unterschiedlich gefüllten Berliner, die am Chanukkafest verzehrt werden. Vor wenigen Tagen ging ein Aufschrei durch das hebräischsprachige Twitter, als sich eine Angehörige der ultranationalistischen israelischen Organisation "Im Tirzu“ über eine Filiale der Supermarktkette "Tiv Taam“ beklagte, weil der Laden am Eingang eine ganze Batterie von Weihnachtsartikeln präsentierte, aber lediglich einige wenige "Sufganiot“ für das Chanukkafest. "Tiv Taam“ trotzte der Kritik mit einer Anzeigenkampagne, in der sie – wie etwa in "Haaretz“ – mit einer ganzseitigen Anzeige dem Publikum "frohes Chanuchristmas“ wünschte. 



In rechtsgerichteten Medien wird Anat Kamms Appell als Teil einer die eigene jüdische Kultur zersetzenden Entwicklung gesehen. Erst vor wenigen Tagen ging ein Aufschrei durch das hebräischsprachige Twitter, als sich eine Angehörige der ultranationalistischen israelischen Organisation "Im Tirzu“ über eine Filiale der Supermarktkette "Tiv Taam“ beklagte.

Weihnachtsartikel oder Chanukka-Backwerk?

Ihren Zorn hatte erregt, dass der Laden am Eingang eine ganze Batterie von Weihnachtsartikeln präsentierte, während dort nur in einer kleinen Ecke einige wenige "Sufganiot“ (unterschiedlich gefüllte Berliner, die am Chanukkafest verzehrt werden) feilgeboten wurden. "Tiv Taam“ trotzte der Kritik mit einer Anzeigenkampagne, in der sie – wie etwa in "Haaretz“ – mit einer ganzseitigen Annonce dem Publikum "frohes Chanuchristmas“ wünschte. 

Eine andere rechte Aktivistin einer Nichtregierungsorganisation, die gegen "illegale Einwanderung“ agitiert, hat sich darüber echauffiert, dass die Stadtverwaltung von Tel Aviv-Jaffa "Chanuchristmas-Stadtrundgänge“ anbietet. "Ich möchte nur daran erinnern“, ereiferte sie sich auf Twitter, "dass über Generationen Juden verfolgt, misshandelt, ermordet und massakriert wurden im Namen jenes Mannes, dessen Geburt die Stadtväter von Tel Aviv unter dem kriecherischen Label 'Chanuchristmas‘ feiern.“  

גם אין שופר, ואוזן המן ומצות. נורא.

— יריב אופנהיימר (@yarivop) December 15, 2022

 

Doch die Stadt, in deren Zentrum unter diesem Etikett schon seit fünf Jahren ein immer beliebter gewordener Weihnachtsmarkt veranstaltet wird, ließ sich davon nicht beeindrucken. Die heftigen Attacken auf ihrer Facebook-Seite, wo ihr ketzerisches und unpatriotisches Verhalten vorgeworfen wurde, wehrte die Stadtverwaltung mit der Erklärung ab: "Tel Aviv-Jaffa beherbergt Juden und Christen, und wir feiern die Feste der verschiedenen Religionen in der Überzeugung, dass alle ihren Platz haben – so sieht Pluralismus aus“. 

Rechtspopulistische Angstmache wegen eines Tannenbaums

Der Streit um die Weihnachtsbegeisterung der Säkularen hat in diesem Jahr auch schon die Knesset, das israelische Parlament, erreicht. Auslöser war die Kritik des besonders in rechtsgerichteten nationalreligösen Kreisen populären Rundfunkjournalisten Yinon Magal, dass in der juristischen Fakultät der Hebräischen Universität in Jerusalem ein Weihnachtsbaum, aber keine Chanukkia (Chanukka-Leuchter) aufgestellt wurde.  

Der scheidende stellvertretende Außenminister Idan Roll von der liberalen Partei "Es gibt eine Zukunft“ sah sich veranlasst, in seiner Rede im Plenarsaal der Knesset darauf zu reagieren. Der Aufschrei rechtspopulistischer Angstmacher gegen einen Tannenbaum, konterte Roll, sei Ausdruck einer überzogenen Diaspora-Mentalität, die in einem gefestigten jüdisch-demokratischen Staat wie Israel längst fehl am Platz sei. Denen, die sich ihres Glaubens sicher seien, so Roll, könne doch ein Weihnachtsbaum keine Angst machen und in die Defensive treiben.  

"Im Gegenteil“, so appellierte der Vizeminister, "geht und schaut euch das Weihnachtsfest an, es ist schön und bunt. Und es kann nur gut sein, etwas über andere Religionen zu erfahren und sie zu respektieren“. Auf Twitter, wo Roll seine Rede postete, löste sie einen Sturm vor allem gehässiger Kommentare aus. Sie lassen befürchten, dass sich der Streit um Weihnachten unter der kommenden Regierung zu einem regelrechten Kulturkampf auswachsen könnte. 

Joseph Croitoru

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