"Wir sind es leid, zu warten"
Omar sitzt auf einem Teppich im Zelt seines Vaters. Er sei hier geboren, erzählt der 21-jährige - hier im Flüchtlingslager Awserd im algerischen Teil der Sahara. Ringsum nur Wüste, kaum Wasser, Landwirtschaft ist nicht möglich. "Es ist nicht einfach, hier zu leben", sagt Omar. "Hier gibt es keine Zukunft."
Awserd ist eines von fünf Lagern in Algerien, in denen Flüchtlinge aus der Westsahara und ihre Nachkommen leben. Die algerische Provinzhauptstadt Tindouf ist 40 Kilometer entfernt. Auch das Hauptquartier der sahrauischen Befreiungsfront Frente Polisario liegt in der Nähe, die seit Jahrzehnten für die Unabhängigkeit der Westsahara kämpft. 1975 hatte Marokko die ehemalige spanische Kolonie annektiert. Danach lieferten sich beide Seiten einen blutigen Bürgerkrieg. Seit 1991 herrscht Waffenstillstand. Aber gelöst ist der Konflikt noch immer nicht.
In Awserd allein leben 50.000 Menschen in Zelten, Lehmbaraken und Backsteinhäusern. Irgendwo zwischen den Lagerbezirken zwei und drei wohnt Omar mit seinen Eltern und den fünf Geschwistern. Bis er 18 Jahre alt war, ging Omar zur Schule, danach begann er ein Studium an einer algerischen Universität. Doch das hielt er nicht lange durch: "Ich hatte Schwierigkeiten, weil ich der Älteste in der Familie bin, und die Familie brauchte mich, um Geld zu verdienen und vieles mehr. Also musste ich mein Studium abbrechen. Es gibt keine Hoffnung."
Die Menschen in den Lagern versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Sie haben sich selbst in Stadtviertel, Gemeinden und Regionen organisiert. Schulbildung, die Gesundheitsversorgung und die Verteilung der Hilfsgüter müssen organisiert werden. Die Lager stehen schon seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges.
Kein Ende des Tunnels in Sicht
Doch nach mehr als vier Jahrzehnten Konflikt macht sich Hoffnungslosigkeit breit - so berichtet es auch Mariem Salek Hamda, die Gouverneurin des Lagers von Awserd. Die Nahrungsmittelhilfe ist zurückgegangen, die Säuglingssterblichkeit doppelt so hoch wie in Europa, pro Tag haben die Menschen nur 10 Liter Wasser zur Verfügung.
"Die Jugend ist verzweifelt, weil sie in dieser Situation, in der wir seit mehr als 43 Jahren sind, nicht das Ende des Tunnels sieht", erzählt Hamda. Sie verweist auf den Waffenstillstand von 1991. Seitdem bewacht eine UN-Mission die Grenze zu der von Marokko besetzten Zone. Sie soll eigentlich ein Referendum über die Selbstbestimmung der Westsahara ermöglichen.
"Aber seit 1991 sehen die hier geborenen Jugendlichen keine Lösung am Horizont. Zu dieser Standby-Situation seit 27 Jahren, ohne Frieden oder Krieg, mit Verzweiflung und Misstrauen gegenüber den Vereinten Nationen, kommt die Situation in den besetzten Gebieten. Täglich hören sie, wie dort ihre Mütter, Schwestern und Brüder entführt und missbraucht werden. All dies erzeugt eine Unzufriedenheit, die alles Mögliche nach sich ziehen kann", sagt Hamda.
Manche Menschen in den Flüchtlingslagern machen keinen Hehl daraus, wohin diese Unzufriedenheit führen könnte. Zu ihnen gehört Addou al-Hadj, der im nahe gelegenen Lager Smara durch das "Museum des Widerstands" führt: "Wir sind es leid, zu warten", sagt er. "Wir haben den Status Quo satt. Seit 43 Jahren bewegt sich niemand mehr. Seit mehr als 27 Jahren warten wir auf eine Lösung durch die Vereinten Nationen. Wir sind friedliebende Menschen, aber wenn es keine Lösung gibt, sind wir bereit, wieder zu den Waffen zu greifen."
Unabhängigkeit oder Referendum
Viele Menschen in der Westsahara wollen entweder die Unabhängigkeit ihrer Heimat oder zumindest das lange versprochene Referendum. Das weiß auch Mohamed Salem Salek, Außenminister der Exilregierung. Sein Büro liegt in Rabuni, dem Regierungssitz der Demokratischen Arabischen Republik Sahara.
Die Westsahara ist Mitglied der Afrikanischen Union, weltweit erkennen aber nur wenige Staaten ihre Unabhängigkeit an. "Wie kann man die sahrauische Bevölkerung davon überzeugen, sich noch länger zurückzuhalten und zu akzeptieren, dass die Vereinten Nationen auf ein Referendum hinarbeiten, damit sie ihr Recht auf Selbstbestimmung ausüben können?" fragt er im Gespräch. "Die Leute sagen: 'Aber nein, sie führen uns an der Nase herum.'"
In Awserd ist es Nacht geworden. Um 22 Uhr kehrt Omar aus dem kleinen Lebensmittelgeschäft seines Viertels zurück, wo er Wasser, etwas Fleisch und Tee an diejenigen verkauft, die es sich leisten können. Er lässt den Blick schweifen, betrachtet den sternenklaren Himmel, den "schönsten Himmel der Welt", wie er sagt.
Und dennoch träumt er manchmal davon, weit weg zu gehen, nach Europa. Viele Jahre habe er unter schwierigen Umständen gelebt, sagt er. Seine Kinder sollten einmal ein normales Leben führen können.
Hugo Flotat-Talon
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