Die Unerschrockene
Wie keine andere Schriftstellerin vor ihr rechnete Latifa al-Zayyat in "El Bab El Maftuh" mit der in der ägyptischen Gesellschaft weit verbreiteten Frauenfeindlichkeit ab. In ihrem Roman kritisierte sie die Art und Weise wie Frauen sich zu benehmen und anzuziehen hätten, ohne die geringste Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu dürfen, den Selbsthass, mit dem die Roman-Protagonistin Laila erzogen wurde, weil sie ein Mädchen ist, die sozialen Schranken, die jungen Frauen unter dem Deckmantel von Tradition und Moral aufgebürdet werden.
Auf Lailas Frage, warum sie den autokratischen Professor Ramzi heiraten soll, antwortet dieser schlicht: Weil du gehorchst! Doch Laila gelingt es am Ende doch noch, sich vom Joch ihres tyrannischen Vaters und der Gesellschaft insgesamt zu befreien, indem sie zu den Waffen greift und in Port Said Seite an Seite mit den ägyptischen Rebellen gegen die Briten kämpft.
Ein Leben für das panarabische Ideal
Das emanzipatorische Frauenbild, das Al-Zayyat damals entwarf, korrespondierte zweifelsohne mit dem damaligen laizistischen und autokratischen Politikverständnis Gamal Abdel Nassers. Ganz nach dem Vorbild sozialistischer und kommunistischer Staaten verkörperte Nasser ein modernes und säkulares Ägypten, das er dennoch mit eiserner Hand regierte. Und somit deckt sich der romantische und nationalistische Unterton in Al-Zayyats avantgardistischen Roman mit dem damals herrschenden panarabischen Ideal. Lailas Traum geht schließlich erst in Erfüllung, nachdem sie ihre Individualität zugunsten einer kollektiven Identität aufgibt.
Bereits 1949 wurde Al-Zayyat mit ihrem ersten Ehemann verhaftet. In ihrer 1992 auf Arabisch erschienenen Autobiografie "Durchsuchungen" erinnert sich Al-Zayyat an jene finstere Zeit zurück – an die sechs Monate, die sie in Einzelhaft verbrachte, an die desillusionierte junge Frau, die sie einst war, an ihre Gefängnisaufseherin und ihre ständige Flucht vor der Polizei. Selbstkritisch lässt sie in ihrer Autobiografie ihre verschiedenen Lebensphasen Revue passieren, beschreibt ihre Studentenjahre als politische Aktivistin und berichtet über Nassers Tod, dessen Repressionen in ihrem Buch jedoch kaum thematisiert werden.
Wie so viele ägyptische Schriftseller der Nasser Ära, die ihre Gedanken nicht frei artikulieren konnten, verfängt sich Al-Zayyats Prosa in einer repetitiven, blumigen und bisweilen konfusen Sprache, die nicht ausgereift erscheint und die damaligen gesellschaftlichen Zusammenhänge nicht überzeugend reflektieren vermögen. Erst in ihrer späten Schaffensphase, so schreibt sie, habe sie endlich begriffen, dass der freie Wille ständig erneuert werden müsse.
Das Trauma der Haft
In der Ära Sadat, der kurz vor seinem Tod im Jahr 1981 mehr als 1.500 Intellektuelle und Oppositionelle wegsperren ließ, da sie sich gegen seine liberale Wirtschafts- und Friedenspolitik mit Israel richteten, wurde Al-Zayyat abermals inhaftiert. In dieser Phase ihres literarischen Schaffens verbindet Al-Zayyat kollektives Bewusstsein mit subjektiver Wahrnehmung, untersucht die Schnittstellen eines engagierten und emanzipierten Daseins und schildert in ihren Schriften ausführlich ihre Erfahrungen während ihres zweiten Gefängnisaufenthalts. Sie berichtet vom Aufstand der inhaftierten Frauen gegen die Drangsalierungen der Gefängnisaufseher und die ständigen Demütigungen der Insassen.
Es sind traumatische Erinnerungen, die Al-Zayyat mit ihrer Haft verbindet und die nicht ohne Folgen bleiben. Denn bis zu ihrem Tod prangerte die couragierte Feministin konsequent den Polizei- und Überwachungsstaat in ihrer Heimat an, so zum Beispiel in ihrem 1991 erschienen Roman "Der Mann, der sein Verbrechen erfuhr". Die Unterdrückung durch die politischen Machthaber unterscheide sich im Grunde nicht wesentlich von den Methoden einer Mörderbande, resümierte sie darin nicht ohne Bitterkeit.
Vor dem Hintergrund der gewaltigen politischen Umbrüche zu jener Zeit zahlte Al-Zayyat aufgrund ihres unermüdlichen politischen Engagements und ihrer schonungslosen Gesellschaftskritik einen hohen Preis, verbüßte Freiheitstrafen und rüttelte immer wieder an Tabus. Gerade deswegen bleibt ihr literarisches Erbe so ungemein wichtig.
Sherif Abdel Samad
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