Streitbare Ikone der arabischen Frauenbewegungen

Ägyptische Frauenrechtlerin Nawal El Saadawi
Ägyptische Frauenrechtlerin Nawal El Saadawi

Nawal El-Saadawi ist im Alter von 89 Jahren in Kairo gestorben. Die prominente Ärztin, Aktivistin und Autorin wurde durch ihren Aufschrei gegen weibliche Genitalverstümmelung und Ehrenmorde international bekannt. In den letzten Jahren hat ihre Verteidigung des Al-Sisi-Regimes aber auch für Kritik gesorgt. Von Karim El-Gawhary

Von Karim El-Gawhary

Sie war die „Umm El-Frauenrechte“, die Mutter der Frauenrechte in Ägypten. Die prominente Frauenaktivistin hat sich über Jahrzehnte im Land am Nil als Verteidigerin der Frauen nicht nur im eigenen Land, sondern auch international einen Namen gemacht. Es war vor allem ihr Engagement gegen weibliche Genitalverstümmelung und Ehrenmorde, die die studierte Ärztin bekannt machte.

In ihrem Buch „The Hidden Face of Eve” (1977) beschrieb die in einem Dorf in der Nähe von Kairo 1931 geborene El-Saadawi, wie ihre Genitalien mit sechs Jahren auf einem Badezimmerboden verstümmelt wurden, während ihre Mutter zusah.

Mit insgesamt 50 Sachbüchern und Romanen über Sexualität und Religion sowie die Ungleichheiten im islamischen Familienrecht sorgte sie immer wieder für Kontroversen in Ägypten. Wegen ihres Buches „Frauen und Sexualität“ verlor sie 1971 ihren Posten als Beamtin im Gesundheitsministerium. Zehn Jahre später ließ sie der damalige Präsident Anwar El-Sadat zusammen mit vielen anderen, vor allem linken Aktivistinnen und Aktivisten, ins Gefängnis sperren. Drei Monate später, nach der Ermordung Sadats im Oktober 1981, kam sie wieder frei. Ihre Erfahrungen im Frauengefängnis von Kairo, die sie teilweise mit einem Kayal-Stift auf Toilettenpapier niedergeschrieben hatte, sind auf Deutsch unter dem Titel: „Ich spucke auf euch. Bericht einer Frau am Punkt Null" (Verlag Kunstmann, 1994) erschienen. 

In den 1990er Jahren ging sie aufgrund massiver Anfeindungen, vor allem aus dem konservativen und islamistischen Lager in Ägypten, für drei Jahre ins US-amerikanische Exil. Sie wurde immer wieder bezichtigt, vom Islam abgefallen zu sein und erhielt des öfteren Morddrohungen. Für ihre streitbaren Werke, in 40 Sprachen übersetzt, wurde sie auch international geehrt. Letztes Jahr hat das US-Magazin TIME sie als eine der weltweit einflussreichsten Persönlichkeiten bezeichnet.

Demonstrierende Frauen in Kairo 2012; Foto: Ahmed Abo Elqasem/DW
Demonstrierende Frauen im Jahr 2012 in Kairo: Nawal El-Saadawi inspirierte Generationen von Frauen, aber in der ägyptischen Frauenbewegung spielte sie seit Mitte der 1990er Jahre nur noch eine marginale Rolle, schreibt Karim al-Gawhary. Kampagnen etwa gegen die im Land grassierende sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit oder für die Reform des Familienrechts wurden da längst von jüngeren Aktivistinnen angeführt. Vor allem als El-Saadawi nach der Machtübernahme des Militärs 2013 begann, das Regime des heutigen Präsidenten Abdel Fattah Al-Sisi und dessen Menschenrechtsverletzungen zu verteidigen, kam es zum Bruch mit vielen ihrer früheren Mitstreiterinnen und Mitstreiter.

Jüngere Aktivistinnen wenden sich ab

In Ägypten selbst war El-Saadawi vor allem eine Inspiration für Generationen von Frauen, wenngleich sie in der ägyptischen Frauenbewegung seit Mitte der 1990er Jahre nur noch eine marginale Rolle spielte. Die Bewegung hatte sich spätestens seit dem Aufstand gegen den damaligen Diktator Hosni Mubarak 2011 diversifiziert.

Kampagnen etwa gegen die im Land grassierende sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit oder für die Reform des Familienrechts wurden da längst von jüngeren Aktivistinnen angeführt. El-Saadawi, die 2011 auch auf dem Tahrir-Platz mitdemonstriert hatte, verlegte sich im Wesentlichen darauf, internationalen Medien Interviews zu geben. Viele Aktivistinnen folgten ihr noch, als sie die 2012 ins Parlament und Präsidentenamt gewählte Muslimbruderschaft bezichtigte, die Revolution für sich vereinnahmt zu haben.

Als El-Saadawi dann aber begann, nach der Machtübernahme des Militärs 2013 das Regime des heutigen Präsidenten Abdel Fattah Al-Sisi und dessen Menschenrechtsverletzungen zu verteidigen, kam es zum Bruch mit vielen ihrer früheren Mitstreiterinnen und Mitstreiter. El-Saadawi warf westlichen Medien, die kritisch über das Militärregime berichteten, vor, eine Schmierkampagne gegen Al-Sisi zu fahren.

Einer der Tahrir-Aktivisten von damals, der Autor Shady Lewis Botros, hat auf seiner Facebook-Seite einen Nachruf auf El-Saadawi geschrieben, in dem er Kritik und Lob in Ägypten gegenüber Al-Saadawi zusammenfasst. Es gäbe viele Gründe, ihr gegenüber kritisch zu sein, schreibt Botros, vor allem wegen ihrer beschämenden Position in den letzten Jahren und ihrer Verteidigung des Al-Sisi-Regimes.

Andererseits müsste der Einfluss ihrer Schriften und ihres Namens gewürdigt werden, die vielen Frauen, nicht nur in Ägypten, sondern in der arabischen Welt ein neues Selbstwertgefühl gegeben und so manche ihrer Lebensentscheidungen geprägt hätten. “Für Generationen von Frauen war El-Saadawi das personifizierte Bild von Feminismus, Frauenrechten und der Idee der Rebellion gegen die Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft”.

Shady Lewis Botros, Publizist und Psychologe, lebt in London und beschäftigt sich mit der Analyse der psychologischen Dimensionen politischer Diskurse in der arabischen Welt; Foto: Shady Lewis Botros
Viel Lob, aber auch Kritik für Nawal El-Saadawi: Der frühere Tahrir-Aktivist und heute in London lebende Autor Shady Lewis Botros schreibt, es gäbe viele Gründe, gegenüber El-Saadawi kritisch zu sein, vor allem wegen ihrer Verteidigung des Al-Sisi-Regimes. Aber ihre Schriften hätten vielen Frauen in der arabischen Welt ein neues Selbstwertgefühl gegeben und so manche ihrer Lebensentscheidungen geprägt. “Für Generationen von Frauen war El-Saadawi das personifizierte Bild von Feminismus, Frauenrechten und der Idee der Rebellion gegen die Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft”.

Selbst am Tag ihres Todes am Sonntag (21.3.2021) wurde deutlich, wie viel Arbeit vor ihren Nachfolgerinnen liegt. Zwar wurde am gleichen Tag ein Gesetz erlassen, das die Strafen für weibliche Genitalverstümmelung verschärft. Die Genitalverstümmelung ist in Ägypten seit 2008 offiziell verboten, bleibt aber dennoch weitverbreitete Praxis.



Umstrittenes neues Familienrecht geplant

Gleichzeitig ist in Ägypten ein reformiertes Familienrecht in Planung, dessen in der Öffentlichkeit kursierende Entwürfe unter Frauenrechtlerinnen zu einem Aufschrei geführt haben.

Nach dem neuen Familienrecht soll ein Ehevertrag nicht von der Frau selbst, sondern für sie stellvertretend von einem männlichen Verwandten unterzeichnet werden, der auch das Recht hat, die Ehe wieder aufzulösen. Männliche Verwandte können der Frau verbieten zu verreisen. Eine Mutter kann weder die Geburt ihres Kindes registrieren noch einen Personalausweis oder einen Pass für ihr Kind beantragen oder die Art seiner Schulbildung bestimmen.

Frauenverbände wie das “Egyptian Centre for Women’s Rights” (ECWR) mobilisieren gegen diesen Entwurf. „Wir haben in Ägypten Ministerinnen, die dann nicht das Recht hätten, ihren eigenen Ehevertrag zu unterzeichnen. Außerdem könnte ihnen ein Mann verbieten, selbst auf eine Geschäftsreise zu gehen“, kommentiert ECWR-Leiterin Nehad Aboul Komsan den Gesetzentwurf. In einer Zeit, in der alleinstehende Frauen über 18 Prozent der Haushalte Ägyptens vorstehen, sei das vollkommen unzeitgemäß, sagt sie. Präsident Al-Sisi bezeichnete das modifizierte Familienrecht als „ausgewogen“ und im „Dienste der Öffentlichkeit“, räumte aber ein, dass vor dessen Veröffentlichung noch eine gesellschaftliche Debatte stattfinden müsse.

In einem Interview mit Qantara.de hatte El-Saadawi einmal darauf verwiesen, dass es im Alten Ägypten Göttinnen gab: „Isis war die Göttin der Weisheit und nicht der Reproduktion! Und es gab Maat, die Göttin der Gerechtigkeit. Was dann historisch passierte war, dass die Frauen ihrer bisherigen Stellung beraubt wurden“, erklärte sie. Nawal El-Saadawi ist tot, ihr Kampf um Frauenrechte in Ägypten, der geht weiter – 7000 Jahre nach der ersten ägyptischen Göttin.  

Karim El-Gawhary

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