Rosengrüße aus Shiraz: Hafis' deutsche Schüler

Über Jahrhunderte hat der große persische Klassiker Hafis (Hafez) auch deutsche Dichterinnen und Dichter inspiriert. Es entstanden Übersetzungen, Nachdichtungen und Hommagen, und sie entstehen bis heute. Nasser Kanani hat ein umfangreiches Buch über die deutschen „Hafisianer“ vorgelegt. Von Gerrit Wustmann

Von Gerrit Wustmann

Das Goethe-Hafis-Denkmal in Weimar: Zwei einander gegenüber stehende Stühle aus Granit. Symbol des Dialogs, des Austauschs, der Freundschaft. Zwei Dichter, die ihrer Zeit voraus waren, deren Werke zeitlos sind, Klassiker der Weltliteratur. „Und mag die ganze Welt versinken, Hafis, mit dir, mit dir allein will ich wetteifern!“, schrieb Goethe im West-östlichen Divan.

Dass Hafis‘ Verse auf Deutsch gelesen werden können, verdanken wir Joseph von Hammer-Purgstall und Friedrich Rückert. Ihrer Pionierarbeit folgten viele weitere Übersetzungen bis ins 21. Jahrhundert hinein. Mit unterschiedlichsten Ansätzen näherten sich Dichter*innen und Übersetzer*innen dem Barden aus Shiraz an, und wer des Persischen nicht mächtig ist, kann heute eine ganze Wagenladung an Übertragungen parallel rezipieren und sich einen Eindruck verschaffen – und bald verstehen, warum Hafis‘ Divan heute in keinem iranischen Haushalt fehlt, warum man ihn vor wichtigen Entscheidungen im Leben befragt, seine Verse interpretiert: warum die Faszination, die von seiner Lyrik ausgeht, auch rund 700 Jahre nach seiner Zeit noch immer relevant ist, er uns noch immer etwas zu sagen hat.

Und auch wenn Goethes West-östlicher Divan herausragend ist – er war längst nicht der einzige deutsche Dichter, der sich mit Hafis befasst hat. Mit Hafis kam das Ghazal als neue Gedichtform zu uns und animierte Hunderte Autor*innen, sich in der persischen Dichtkunst zu versuchen. So viele Ghazale wurden seither auf Deutsch verfasst, dass es verwundern muss, dass diese Form heute nicht einen dem Sonett ebenbürtigen Platz im Deutschunterricht hat.

Ein umfangreiches Kompendium

Nasser Kanani, der 2019 mit „Hafis. Der größte Lyriker persischer Zunge“ ein kenntnisreiches Buch über Leben und Arbeit des Dichters vorgelegt hat, widmet sich nun in einem Nachfolgeband der Wirkung Hafis‘ auf die deutsche Dichtung: „Hafis‘ Liebeslyrik im Spiegel der deutschen Dichtung. Hafis und die deutschsprachigen Hafisianer“.

Das Goethe-Hafis-Denkmal in Weimar. (Foto: Imago)
„Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen“. So heißt es in Johann Wolfgang von Goethes berühmter Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“, die im August 1819, vor 200 Jahren, erstmalig erschien. Dieses Zitat findet sich auch auf dem Goethe-Hafis-Denkmal in Weimar.

Wer sind diese Hafisianer? Goethe natürlich, und Rückert, Hammer-Purgstall, auch Vincenz von Rosenzweig-Schwannau, der ebenfalls eine frühe und wichtige Divan-Übersetzung vorgelegt hat. Aber das wäre bloß ein Kratzen an der Oberfläche. Kanani hat sich durch Bücher, Bibliotheken und Archive gewühlt und dabei 126 Dichterinnen und Dichter der letzten dreihundert Jahre gefunden, die Hafis übersetzt und sich von ihm haben inspirieren lassen, ihm Gedichte widmeten, mit seinen Formen und Bildern experimentierten oder ihn zumindest erwähnten. Herausgekommen ist ein umfangreiches und wahrscheinlich nahezu umfassendes Kompendium, das nicht nur diese 126 Köpfe knapp porträtiert (die wichtigen auch ausführlicher), sondern dazu eine Vielzahl an Gedichten mitliefert, ebenso wie Übersetzungen und – ja, auch das gibt es – vermeintliche Übersetzungen, die sich bestenfalls als Nachdichtungen entpuppen.

Zum Beispiel die von Georg Friedrich Daumer, der noch gelegentlich als Hafis-Übersetzer genannt wird, obwohl er des Persischen nicht mächtig war: Seine ‚Übersetzungen‘ sind Rückert-Nachdichtungen und, das sollte erwähnt werden, keine guten. Zumindest dann nicht, wenn man sich von ihnen Einblicke in die Lyrik Hafis‘ erwartet. Mit seiner „freien Übertragung“ habe Daumer manches Ghazal „bis zur Unkenntlichkeit entstellt“, urteilt Kanani und zitiert auch Friedrich Rosen, der das ähnlich sah: „Es hat nicht an Versuchen gefehlt, ihn [Hafis] dem deutschen Geschmack zugänglich zu machen. Leider müssen einige dieser deutschen ‚Nachdichtungen‘ als dreiste Fälschungen bezeichnet werden. Sie stammen von Leuten, welche nicht eine Zeile Persisch lesen, geschweige denn Hafis verstehen können.“

Das erinnert an den noch recht jungen Fall des US-Lyrikers Daniel Ladinsky, der eigene Gedichte als Hafis-Übersetzungen ausgab, die dann, wiederum aus dem Englischen übersetzt, auch in Deutschland als Hafis-Übersetzungen verkauft wurden (aktuelle Ausgaben tragen, immerhin, den Hinweis „von Hafis inspirierte Gedichte“). Allerdings wird niemand, der sich auch nur fünf Minuten lang mit Hafis befasst hat, Ladinskys arg simple Verse ernsthaft für Verse von Hafis halten. Bei Daumer sah das anders aus.

Die Gründe für Hafis‘ Beliebtheit

Dass Hafis vor allem im 19. Jahrhundert so stark herumgereicht wurde, hatte zwei maßgebliche Gründe: Zum einen war er für das deutsche Publikum neu, gerade erst konnte es ihn entdecken, zuvor war er nur auf Persisch zugänglich gewesen. Und: Es war eine Zeit einer heillosen Orient-Romantisierung. Der „Orient“, über den man relativ wenig wusste und von dem man sich anhand weniger Reisereportagen und Berichte ein oft reichlich schiefes Bild gestaltete, wurde zu einem Sehnsuchtsort.

Professor Dr.-Ing. habil. Nasser Kanani; Foto: Iranjournal
Der international renommierte Wissenschaftler Professor Dr.-Ing. habil. Nasser Kanani beschäftigt sich neben Festkörperphysik und Elektrochemie mit traditioneller persischer Musik und Literatur.

Eine wirklich intensive Auseinandersetzung mit den Ländern, Sprachen oder auch der Religion wagten allerdings nur wenige Intellektuelle wie eben Goethe, Rückert und einige weitere. Andere schrieben bisweilen holprige Ghazale, weil es schick war. Der Schriftsteller Karl Immermann kritisierte das 1829 scharf: Er sprach von „productiver Aneignung des vom Morgenlande zu uns herübergeführten Materials. (…) Vieles stellte sich dagegen nur als poetische Nomenclatur dar. (…) Der triviale Gedanke, die abgenutzte Anschauung versteckten sich hinter dem fremd und neu klingenden Worte, oder hinter einer exotischen Behandlung.“ Diese bissige, wohl aber treffende Kritik verpackte Immermann dann zusätzlich in ein Gedicht. Und man darf ruhig anmerken: Diese Kritik hat bis heute eine gewisse Gültigkeit.

Zeitweise entstand gar ein erbittert und zänkisch geführter Dichterstreit um die Frage, wessen Ghazale etwas taugen und wessen nicht, und man hätte dem ganz gut den Wind aus den Segeln nehmen können, hätte jemand gesagt: Freunde, ihr schreibt wundervolle Lyrik, aber im Vergleich mit Hafis könnt ihr nur verlieren! Wobei schon durchscheint, dass die allermeisten sich dessen bewusst waren.

Fast ein Leben lang an seinen Übersetzungen und Nachdichtungen gearbeitet hat Friedrich Bodenstedt, dessen Hafis-Übertragungen entsprechend lesenswert sind, zumal er oft versucht hat, sowohl eine kunstvolle deutsche Fassung als auch eine möglichst wortgetreue Übersetzung zu vereinen.

Es ist eine schier unglaubliche Quellenarbeit, die Kanani hier zusammengetragen hat und die obendrein noch Querverweise auf Hafis-Vertonungen durch deutsche Komponisten ebenso berücksichtigt wie kurze Abrisse persischer Sagen, die dabei helfen, bestimmte Themen und Bilder, die immer wieder auftauchen, besser einordnen zu können. Die Hafisianer sind ein bislang viel zu wenig beachteter Aspekt deutscher Literaturgeschichte und des deutsch-persischen Dialogs, weshalb das Buch durchaus auch lyrikinteressierten Laien empfohlen sei. Wer sich der Germanistik und/oder der Iranistik verschrieben hat, wird um dieses Buch künftig nicht herumkommen. Es schließt eine gewaltige Lücke.

© Iran Journal

Gerrit Wustmann

Nasser Kanani: „Hafis‘ Liebeslyrik im Spiegel der deutschen Dichtung. Hafis und die deutschsprachigen Hafisianer“, Königshausen & Neumann, 633 Seiten, ISBN: 978-3-8260-7280-2.

 

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