Muslimisch, talentiert und sozial engagiert?
Bisher kannte Deutschland nur besondere Förderwerke für Christen und Juden. Eine muslimische Begabtenförderung zu gründen, war die bahnbrechende Idee von Beschir Hussain und Matthias Meyer. Gemeinsam mit Professor Bülent Uçar, Direktor des Instituts für Islamische Theologie in Osnabrück, und einigen ehrenamtlichen Helfern stellten sie im vergangenen Sommer das Begabtenförderungsprogramm des "Avicenna-Studienwerks" vor, benannt nach dem berühmten persischen Gelehrten des 11. Jahrhunderts. Im kommenden Wintersemester 2014/15 werden die ersten 50 Stipendien vergeben.
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Herr Meyer, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Förderwerk speziell für muslimische Studenten zu gründen?
Matthias Meyer: Ein wichtiger Impuls für die Gründung des muslimischen Begabtenförderungswerkes war die Diskussion um die Zugehörigkeit der Muslime, die in der Sarrazin-Debatte ihren traurigen Höhepunkt erreicht hatte. Die vor allem in Talk-Shows ausgetragenen Diskussionen haben mich in unserem Vorhaben bestätigt, Strukturen zu schaffen, die auf die langfristige Förderung und vor allem Anerkennung muslimischer Menschen in Deutschlands zielen. Mich hat die Debatte auch persönlich verletzt, weil damit meine muslimischen Freunde und Millionen Menschen, die dieses Land jeden Tag ökonomisch, kulturell und menschlich bereichern, angegriffen wurden.
Die Gründung des muslimischen Begabtenförderungswerkes ist für mich vor allem ein wichtiges Zeichen der Anerkennung. Es bedeutet, dass Muslime nicht nur Teil dieser Gesellschaft sind, sondern dass auch ihre Leistungen, ihr gesellschaftliches Engagement es verdienen ausgezeichnet und gefördert zu werden! Es ist daher ein Ausrufezeichen für kulturelle und religiöse Vielfalt in Deutschland.
Glauben Sie nicht, dass eine staatliche Förderung, die sich nur an eine bestimmte Religionsgruppe richtet, eher spaltet als integriert?
Meyer: Vielfalt und Dialog sind für uns wichtige Leitbegriffe, die gegen eine Separation sprechen. Schon ein kurzer Blick in die Gremien des Vereins zeigt, dass sich Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft für ein gemeinsames Projekt engagieren. Das Besondere am "Avicenna-Studienwerk" ist, dass es die Vielfalt des Islams in Deutschland repräsentiert und im Dialog zwischen Sunniten, Schiiten, Verbänden und Einzelpersönlichkeiten, arabischen, europäischen und türkischen Muslimen entstanden ist. Die Vielfalt der Glaubenszugänge und der gemeinsame Dialog sollen sich auch in der Förderung der Stipendiaten widerspiegeln.
Besonders wichtig ist uns das gesellschaftliche Engagement der Stipendiaten. Das ist für uns ein zentrales Auswahlkriterium und wird im Rahmen der ideellen Förderung gezielt unterstützt. Anstatt sich voneinander abzugrenzen, setzen sich die Stipendiaten im besonderen Maße für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ein, sie sind Teil der Gesamtgesellschaft und bereichern diese mit ihren Initiativen und ihrem Engagement. Da schließt sich auch der Kreis zu unserem Namensgeber. Ibn Sina (dessen latinisierter Name Avicenna ist; Anmerk. der Redaktion) steht für die Fähigkeit Brücken zu bauen, zu übersetzen, Wissen zusammenzuführen, sich für andere einzusetzen.
Kooperieren Sie auch mit anderen Stiftungen?
Meyer: Von Anfang an wurden wir durch das evangelische, das katholische und das jüdische Begabtenförderungswerk großzügig unterstützt. Der Dialog zu den anderen Förderwerken ist uns ein wichtiges Anliegen. So sind zum Beispiel im Rahmen des ideellen Programms für die Stipendiaten gemeinsame interreligiöse Veranstaltungen geplant.
Herr Hussain, wie wichtig ist eine muslimische Begabtenförderung, vor allem im Hinblick auf die Gleichbehandlung unterschiedlicher Religionen?
Beschir Hussain: Die Gründung war aus unserer Sicht wichtig und konsequent. Wichtig, da muslimische Studierende und Promovierende an deutschen Hochschulen deutlich unterrepräsentiert sind. Konsequent, weil die pluralistische Begabtenförderung der Bundesregierung den Anspruch vertritt, dass alle gesellschaftlich relevanten Gruppen institutionell repräsentiert werden. So wie es Begabtenförderungswerke gibt, die den demokratischen Parteien nahe stehen, so existieren auch Studienförderwerke, die speziell katholische, evangelische und jüdische Studierende und Promovierende fördern. Ein muslimisches Begabtenförderwerk, das die bis zu 4,3 Millionen in Deutschland lebenden Muslime institutionell vertritt, gab es bisher nicht. Durch die Gründung und Etablierung des "Avicenna-Studienwerks" konnte diese Lücke geschlossen werden.
Die Bewerbungsphase für Stipendien zum Wintersemester 2014/15 hat bereits vor einigen Tagen begonnen. Wie geht man bei der Auswahl von Kandidaten vor? Kann man davon ausgehen, dass es sehr viele qualifizierte Bewerbungen von Kandidaten gibt, die sowohl gesellschaftlich aktiv sind, als auch sehr gute universitäre Leistungen erzielen? Und spielt die Religiosität eine besondere Rolle?
Hussain: Eine solche Bewerbung hat verschiedene Facetten, die sich nicht ausschließlich auf die aktuellen Leistungen und das gesellschaftliche Engagement beschränken lassen. Wir versuchen vor allem zu verstehen, unter welchen Bedingungen die Leistungen der einzelnen Studenten möglich waren, um zukünftige Entwicklungspotentiale besser einschätzen zu können. Viele junge Menschen unserer Zielgruppe kommen aus nicht-akademischen Haushalten und leisten trotzdem Großartiges für unsere Gesellschaft.
Der individuelle Werdegang jedes einzelnen Bewerbers steht deswegen im Mittelpunkt und der ist in der Regel einzigartig. Gesinnungsprüfungen wird es keine geben, folglich auch keine "Gesinnungsevaluierungen". Sollte es allerdings tatsächlich "zu viele“ qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber geben, entscheidet das Auswahlkomitee über die höher qualifizierten Kandidaten. Bewerberinnen und Bewerber, die im ersten Jahr nicht aufgenommen werden konnten, grundsätzlich aber ein interessantes Profil aufweisen, ermutigen wir, sich zu einem späteren Zeitpunkt nochmals zu bewerben.
Interview: Shohreh Karimian
© Qantara.de 2014
Beschir Hussain und Matthias Meyer sind die Initiatoren des Avicenna-Studienwerks und entwickelten gemeinsam mit Prof. Bülent Uçar die Grundlagen für die muslimische Begabtenförderung.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de