Keine Einwanderungspolitik ohne sinnvolle Entwicklungspolitik
Europas Einwanderungspolitik wird in vielen afrikanischen Staaten als einseitig und selektiv wahrgenommen. Abdou Salam Fall, Soziologe am senegalesischen "Institut Fondamental d'Afrique Noire" (IFAN), spricht sich daher für eine Politik der nachhaltigen Entwicklungspolitik aus.
Herr Fall, Sie sind Soziologe am IFAN und Experte für Migration. Irreguläre Einwanderung betrifft heute die meisten Länder Westafrikas, vor allem Senegal. Warum?
Abdou Salam Fall: Wir können nicht behaupten, dass diese Migration weiter zunimmt. Die stärkste Welle haben wir jedenfalls schon hinter uns. Das war in der Periode von 2005/2006. Seit 2007 beobachten wir, dass sich diese Migrationsströme verlangsamen. Die Gründe dafür sind die eintretende Sättigung sowie das hohe Risiko, das die Menschen bei einer irregulären Einwanderung tragen. Und wir dürfen in diesem Zusammenhang auch nicht die zunehmende Desillusion und Enttäuschung vieler dieser Migranten vergessen.
Der europäische Kontinent hat eine lange Einwanderungstradition. Wie stehen Sie zu der gegenwärtigen Migrationspolitik der Europäischen Union vor dem Hintergrund der Abwehr der Flüchtlingsströme aus Afrika?
Fall: Die Europäische Migrationspolitik befindet sich noch in einem unfertigen Zustand und ist zudem als extrem restriktiv, ja drakonisch zu bezeichnen. Doch was sich auch immer über die EU-Migrationspolitik sagen lässt, so müssen die Unterschiede von einem europäischen Land zum anderen sicherlich berücksichtigt werden.
Sie halten also nichts von einer EU-weiten Kooperation und Prävention in der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik?
Fall: Nein, die EU-Migrationspolitik basiert auf Kontrollmechanismen. Es gibt zwar die eine oder andere Öffnung, was die Nachfrage nach bestimmten Arbeitskräften angeht, wie zum Beispiel in Rahmen von Kooperationsabkommen zwischen Spanien und Senegal. Doch gemäß dieser Vereinbarungen organisieren spanische Unternehmen lediglich eine saisonale Migration gemäß festgelegter, präziser Vorgaben.
Fördert eine selektive Elitenmigration der EU, wie etwa die von Frankreichs Präsidenten Sarkozy favorisierte "migration choisie", die "Brain-Drain"-Effekte in afrikanischen Ländern wie den Senegal?
Fall: Eine solche Politik bietet sich nie als Mittel zur Problemlösung an. Jungen Immigranten sollte generell eine freie Wahl in ihrem Handeln gewährt werden. Bei Migrationsansätzen wie der "migration choisie" wollen europäische Politiker junge, qualifizierte Menschen aus Afrika abwerben, ohne vorher in deren Ausbildung investiert zu haben – frei nach dem Motto: "Ich nehme mir das, was ich will." Uns ist nicht daran gelegen, dass diese wichtigen Potenziale aus Afrika abgeschöpft werden.
Andererseits wird den Regierungen Afrikas vorgeworfen, die Situation mitverschuldet zu haben, da sie sich nicht an die Prinzipien des "good Governance" halten und auch keine ökonomischen Anreize für ausreisewillige Eliten schaffen, um sie im Land zu halten.
Fall: Das Problem besteht darin, dass die Entwicklungsländer in eine Falle der Abhängigkeiten geraten sind – darin eingeschlossen sind Formen der Entwicklungshilfe, die Mechanismen der internationalen Beziehungen, die finanziellen Verpflichtungen im Rahmen von WTO, IWF und Weltbank. Die momentan angewandten Regulierungen kommen der Entwicklung dieser Länder nicht zugute. Die definierten Regelungen und Abkommen, die ihnen auferlegt werden, sie sind nicht adäquat.
Migrationspolitik sollte in erster Linie auf eine Entwicklungspolitik zur Bekämpfung der Armut abzielen, mit dem Streben, die Prinzipien der Humanität weiterzuentwickeln. Die Regulierung im internationalen Maßstab sollte zunächst einmal all diese Faktoren berücksichtigen. Wie können strukturelle Ungleichheiten beseitigt, Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Ländern ausgeglichen und Bedingungen für Produktivität und Wohlstand in den Herkunftsländern geschaffen werden, die von Beginn an von Abwanderung bedroht sind? Es gibt keine Einwanderungspolitik ohne sinnvolle Entwicklungspolitik.
Tragen die afrikanischen Länder nicht zumindest eine Teilverantwortung für die Situation des Kontinents?
Fall: In der Tat ist das der Fall, weil die Art der Staatsführung das Leben in unseren Ländern nicht gerade erleichtert. Betrachten wir die Ungleichheiten, die Machtkonzentration, die alltägliche Korruption, die Schwächen der Sozialpolitik, die generelle Verschlechterung der Lebensbedingungen, die mangelnde Kreativität bei der Förderung von Arbeitsplätzen für Jugendliche – all dies trägt dazu bei, dass junge Menschen an der Möglichkeit zweifeln, sich eine Zukunft in ihrem Herkunftsland aufzubauen und dort zurecht zu kommen.
Interview: Naima El Moussaoui
© Qantara.de 2009
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