Die Profiteure des Terrors
Im Jahr 2011 fegte eine Welle von Protesten die Diktatoren in Tunesien und Ägypten aus ihren Ämtern. In den Hauptstädten des Westens gab es einen kurzen Moment des Erschreckens darüber, wie fragil die für stabil gehaltenen Regime waren. Sollte man in Zukunft wohl besser die Kräfte aus der Zivilgesellschaft stärken statt der Autokraten, die für Friedhofsruhe sorgen? Sechs Jahre ist das jetzt her, die Demokratiebewegung ist fast überall gescheitert. Alte und neue Diktatoren verkaufen sich wieder als Garanten für Stabilität und werden von Europa hofiert, als hätte es nie etwas anderes gegeben.
Die Autokraten brauchen Waffen und sie bekommen diese zunehmend auch aus Deutschland. Nur Russland und die USA verkaufen mehr Rüstungsgüter. Insgesamt wurden 2016 deutsche Rüstungsexporte in Höhe von 13 Milliarden Euro genehmigt, davon ging die Hälfte in sogenannte Drittstaaten außerhalb von Nato und Europäischer Union. Mit Saudi-Arabien, Algerien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten standen vier arabische Diktaturen unter den Top Ten der Empfänger deutscher Wehrtechnik.
Dabei sehen die politischen Grundsätze für den Export von Waffen in Drittstaaten ausdrücklich vor, dass die "Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern nicht genehmigt wird in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind" oder wo eine solche Auseinandersetzung droht.
Laxer Umgang mit Leitlinien
Auch in Gegenden, in denen "bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden" soll Deutschland nach seinen eigenen Richtlinien keine Waffen liefern. Danach dürfte es keine Waffenlieferungen für Saudi-Arabien, Qatar, Ägypten oder die kurdischen Peshmergas im Irak geben. Aber in Zeiten des Kampfes gegen den Terror schaut niemand so genau auf Leitlinien. Begründen muss die Bundesregierung ihre Entscheidungen nicht.
Markus Bickel, ehemaliger FAZ-Redakteur in Kairo und heute Chefredakteur des Amnesty Journals, gibt in seinem Buch einen detaillierten Überblick über deutsche Waffenexporte in die Region und ihre fatale Rolle bei der Eskalation von Konflikten.
Denn die Lehren aus der Arabellion waren schnell vergessen. Heute heißt wieder die Devise, man müsse um einer vermeintlichen Stabilität jene Diktatoren unterstützen, die mit ihrer keineswegs neuen Mischung aus Repression und Unfähigkeit erst die Ursache für Spannungen und Konflikte schaffen.
Kungelei mit der Junta
Eines der eindrücklichsten Beispiele, wie Deutschland die Autokraten unterstützt, bringt Bickel aus Ägypten. Als im Oktober 2011 Hunderte vor dem Gelände des staatlichen Rundfunks im Kairoer Bezirk Maspero demonstrierten, raste ein Armeefahrzeug in die Menge, es kamen zwölf Menschen ums Leben, das "Maspero-Massaker" war ein Wendepunkt für die ägyptische Opposition und ein Vorbote für die Rückkehr des Militärs auf die politische Bühne. Das verwendete Fahrzeug war ein Fahd-Radpanzer, Modell TH390, hergestellt vom deutschen Rüstungskonzern Thyssen. Deutschland hat den Sicherheitsapparat schon unter Mubarak aufgerüstet. Unter Abdel Fattah al-Sisi, dessen Unterdrückungssystem Mubarak noch in den Schatten stellt, haben die Rüstungsverkäufe noch zugelegt.
Mit solchen gut recherchierten Details verdeutlicht Bickel anschaulich, was die nackten Zahlen konkret für die jeweiligen Länder bedeuten. Er schildert die Hintergründe der wichtigsten derzeitigen Konfliktherde von Syrien bis Libyen und Jemen bis Irak.
Der Autor verdeutlicht gut lesbar, wie man sich selbst in die Tasche lügt, dass die verkauften Waffen nicht in die Hände Dritter gelangen könnten. So etwas wie die sogenannten Endverbleibserklärungen können sich wohl nur deutsche Beamte ausdenken. Darin müssen sich die Empfänger von Gewehren, Ausrüstung oder Munition verpflichten, die Ware nicht an Dritte weiterzuverkaufen. In gescheiterten Staaten wie Irak, Syrien oder Libyen sind solche Erklärungen sinnlos. Bald nach der Lieferung von G36-Gewehren an die kurdischen Peshmerga tauchten diese dann auch schon auf den Schwarzmärkten in Sulaimaniyya und Erbil auf.
Teufelskreis der Militarisierung
Die Militarisierung der deutschen Außenpolitik hat für Bickel vor allem wirtschaftliche Gründe: Zu groß ist die Angst gegenüber anderen Nationen ins Hintertreffen zu geraten, wenn es um Riesenprojekte am Golf oder in Ägypten geht. Und so werden weiter Projekte angebahnt.
Allein Siemens hat in 2015 einen Kaufvertrag über Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerke für Ägypten über rund acht Milliarden Euro abgeschlossen, es soll der größte Einzelauftrag aller Zeiten sein. Gegen Gasturbinen ist zwar prinzipiell nichts einzuwenden, doch jeder weiß, dass der völlig verschuldete ägyptische Staat diese Rechnung nie bezahlen wird. Über kurz oder lang wird hier wohl der deutsche Steuerzahler einspringen müssen.
Ägypten sei einfach "too big to fail", meint Bickel, und wirft der deutschen Ägyptenpolitik seit dem Sturz von Mubarak "Prinzipienlosigkeit" vor, eine "augenzwinkernde Kumpanei" mit Al-Sisi, der inzwischen jede Form von Opposition unterdrückt. Übrigens hat das deutsche Innenministerium im Juli 2016 auch seine Kooperation mit dem ägyptischen Sicherheitsapparat verstärkt.
Das Schweigen der deutschen Politik
Doch nicht nur gegenüber Al-Sisi schweigt die deutsche Politik. Ein weiteres unglückliches Kapitel deutscher Politik ist die Haltung zum Jemen-Konflikt. Kritik an Saudi-Arabien und den Golfstaaten, die mit ihrem Jemen-Feldzug die derzeit größte humanitäre Katastrophe in der Region auslösten: Fehlanzeige. Durch das Eingreifen der Allianz unter saudischer Führung sind neue Rückzugsräume für Al-Qaida und den IS entstanden, die man ja eigentlich bekämpfen will.
Auch im Jemen sind deutsche Heckler und Koch-Gewehre sowie Bombenteile aus der Produktion einer Rheinmetall-Tochter aufgetaucht. Tatsächlich zeigt die Erfahrung der letzten Jahrzehnte: Je mehr Waffen es in einem Land gibt, desto größer ist die Gefahr der Eskalation von Konflikten.
Bestes Beispiel dafür ist der Irak, der in den 1980er Jahren vom Westen massiv aufgerüstet wurde, auch deutsche Firmen waren beteiligt. Sie lieferten etwa Komponenten für Giftgas. Nach dem Sturz von Saddam Hussein und dem Einmarsch der Amerikaner fielen 650.000 Tonnen Munition in die Hände des IS und ermöglichten ihm seinen Siegeszug im Juni und Juli 2014. Wozu dann wieder Waffen geliefert werden mussten, um die Dschihadisten zu stoppen.
Ein Teufelskreis ist entstanden, aus dem es so schnell keinen Ausweg gibt, das weiß auch Bickel. Er verweist stattdessen auf "soft powers" wie Entwicklungshilfe und zivile Konfliktlösung und fordert, die Zivilgesellschaft besser zu unterstützen. Leider bleibt er beim Aufzeigen von Alternativen etwas vage. Aber in seiner Analyse führt Bickel eindrücklich die Widersprüche deutscher Politik im Nahen Osten vor.
Claudia Mende
© Qantara.de 2017
Markus Bickel: "Die Profiteure des Terrors. Wie Deutschland an Kriegen verdient und arabische Diktaturen stärkt", Westend Verlag 2017, 224 Seiten, ISBN: 9783864891526