Ende der Großzügigkeit
"Ägypten ist wie unsere zweite Heimat geworden. Dort verbringen wir unseren Urlaub und machen unsere Geschäfte." Diese Beschreibung eines saudischen Geschäftsmannes zeigt, wie eng die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind. Ägypten ist mit knapp 100 Millionen Einwohnern der größte Absatzmarkt in der Region und liegt geostrategisch günstig zwischen Europa und Subsahara-Afrika.
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts kamen ägyptische Geschäftsleute nach Mekka und Medina, um die Pilgerfahrt Hadsch durchzuführen, und ließen sich in Dschidda, der saudischen Hafenstadt am Roten Meer, nieder.
Heute sind etwa 3.200 saudische Unternehmen in Ägypten aktiv. Saudi-Arabien ist Ägyptens wichtigster Handelspartner am Golf. Zwischen 2009 und 2014 wurden ausländische Direktinvestitionen in Höhe von insgesamt 1,3 Milliarden Dollar getätigt. Weitere Milliardeninvestitionen sind geplant: So soll unter anderem eine 20 Kilometer lange Stromleitung zwischen beiden Ländern verlegt werden, die unter dem Roten Meer verläuft. Die Investitionskosten sollen sich insgesamt auf 1,6 Milliarden Dollar belaufen. Der saudische Baugigant "Bin Ladin Group" soll eine Brücke für drei Milliarden Dollar errichten, die Ägypten und Saudi-Arabien verbindet.
Ökonomische Luftnummern?
Und im März 2015 wurden bilaterale Vereinbarungen über den Bau von Gas-, Kohle- und Solarenergieanlagen mit einer Kapazität von 7.000 Megawatt und einem Volumen von 13 Milliarden Dollar getroffen. Allerdings ist es fraglich, ob diese Megaprojekte, die teilweise schon seit Jahren geplant sind, realisiert werden oder es sich doch nur um eine Luftnummer handelt.
Damit ist Ägypten deutlich wichtiger für Saudi-Arabiens Wirtschaft als etwa Tunesien: Das mit zwölf Millionen Einwohnern im Vergleich zu Ägypten kleine Land bietet kaum saudische Absatzmöglichkeiten: Es sei "zu weit weg und eher Teil Europas", wie es ein saudischer Geschäftsmann umschrieb. Insbesondere die Dominanz europäischer Unternehmen, die hohen bürokratischen Hürden und der Unwille der tunesischen Politik, saudische Investoren bevorzugt zu behandeln, verhindern verstärkte Wirtschaftsbeziehungen. Insgesamt sind nur 39 saudische Unternehmen auf dem tunesischen Markt präsent, die gerade einmal 6.200 Arbeitsplätze geschaffen haben.
Auf Ägyptens Markt hingegen bleibt die saudische Präsenz stark – ganz gleich, welche Regierung gerade an der Macht ist. Dies zeigte sich während der Präsidentschaft von Mohamed Mursi zwischen 2012 und 2013, den das saudische Königshaus ablehnte. Trotzdem blieben der bilaterale Handel und das Investitionsvolumen auf konstant hohem Niveau.
Zwar ließ Mursi 29 von Saudi-Arabien implementierte Projekte auf Korruption überprüfen, was mit Unwillen auf saudischer Seite zur Kenntnis genommen wurde. Aber diese rechtlichen Auseinandersetzungen wurden rasch gelöst, was auch am "guten Draht" saudischer Unternehmer zur ägyptischen Politik lag. "Wenn ich ein Problem habe, benötige ich keine Unterstützung des Königs. Ich habe die Handynummer des ägyptischen Präsidenten und rufe ihn an", erklärte ein saudischer Unternehmer. Diese intransparenten Patronagenetzwerke funktionieren demnach verhältnismäßig unabhängig von der Politik.
Gewinne statt Entwicklung
Die "fetten Katzen" in Ägypten – die alles dominierende Wirtschaftselite – und die saudischen Patriarchen der großen Familien kooperieren und konkurrieren miteinander. Es ist ein Geben und Nehmen, wobei es um lukrative Renditen und nicht um langfristige Entwicklung geht.
Dementsprechend profitiert nur ein kleiner Teil der bedürftigen Bevölkerung von saudischen Investitionen: So werden etwa lieber Luxusappartements und Hotelkomplexe erbaut statt günstige Wohnungen für die breite Masse. Es werden auch nur wenige Arbeitsplätze geschaffen und langfristige Strukturreformen durch die saudischen Investoren eher verhindert. Denn beide Eliten profitieren vom bestehenden System.
Der damalige König Abdullah sah Präsident Mursi, den Wahlsieger der Muslimbrüder, als Gefahr für die eigene Legitimation. Immerhin waren die Muslimbrüder über eine demokratische Wahl in Regierungsverantwortung gelangt. Dies hätte vor dem Hintergrund des "Arabischen Frühlings" Auswirkungen auf die saudische Bevölkerung haben können.
Viele junge saudische Männer und Frauen betrachteten die Aufstände in Tunesien und Ägypten mit Wohlwollen, sympathisierten mit den Forderungen nach Demokratie und Freiheit und teilweise auch mit den Muslimbrüdern. Deren anti-monarchische Ideologie stellte somit aus saudischer Sicht eine Bedrohung für die innere Stabilität dar.
In den 1950er und 1960er Jahren waren ägyptische Muslimbrüder vor der Verfolgung des damaligen Präsidenten Gamal Abdel Nasser nach Saudi-Arabien geflohen. Dort arbeiteten sie als Lehrer und politische Berater und beeinflussten Teile der saudischen Jugend mit ihrer Ideologie.
Dadurch inspiriert entwickelte sich Anfang der 1990er Jahre eine innersaudische Oppositionsbewegung (Sahwa– "Erweckung"), die unter anderem eine konstitutionelle Monarchie forderte. Spätestens ab diesem Moment sah das Könighaus die Muslimbrüder als Feind. Mursis Wahlsieg ließ diese alten Ressentiments wiederaufleben, so dass die saudische Ägypten-Politik bis 2014 von einer gewissen Angst vor der Bruderschaft getrieben wurde.
"Großer Bruder Ägyptens"
Dementsprechend begrüßte das saudische Königshaus den Sturz Mursis durch das ägyptische Militär im Juli 2013 und startete danach eine umfassende Unterstützungskampagne für das Militärregime unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Bis zum Frühjahr 2015 flossen etwa zwölf Milliarden Dollar an Subventionen ins Land, darunter mindestens zwei Milliarden Dollar an Finanzeinlagen in die Zentralbank, zwei Milliarden zinsfreie Darlehen und etwa drei Milliarden an Entwicklungshilfe. Hinzu kamen kostenfreie Öl- und Gaslieferungen.
Weiterhin sollen zusätzliche 20 bis 30 Milliarden Dollar direkt an das Militär geflossen sein, worüber aber keine Belege existieren. Die Botschaft allerdings war eindeutig: Saudi-Arabien wollte das neue Regime stabilisieren – "koste es, was es wolle", wie es ein saudischer Politikberater beschrieb: "Zum ersten Mal in Saudi-Arabiens Geschichte agierte das Königreich als großer Bruder Ägyptens." Ziel war es, die Muslimbrüder aus dem politischen Leben zu verbannen. Was folgte, war eine Repressionskampagne Al-Sisis gegen Mitglieder der Bruderschaft. Daneben sollten die saudischen Investitionen in Ägypten geschützt und die desolate ägyptische Wirtschaftslage verbessert werden.
Einige Unternehmer erhofften sich eine bessere politische Flankierung bei der Umsetzung von Projekten unter Al-Sisi als unter Mursi. Diese Hoffnung erfüllte sich: So wurde Ende 2013 eine saudisch-ägyptische Unternehmensvereinigung gegründet, um die Geschäftsbeziehungen zu vertiefen.
Doch die Zeiten der saudischen Unterstützung scheinen unter dem neuen König Salman vorüber zu sein. Im Januar 2015 starb Abdullah und sein Nachfolger muss sich neuen Herausforderungen widmen: Seit Mursis Sturz in Ägypten hat sich die regionale Strahlkraft der Muslimbrüder drastisch reduziert. Stattdessen fürchtet Salman den wachsenden Einfluss des Erzrivalen Iran. Er sieht sein Land von iranisch-schiitischen Vasallen im Irak, dem Jemen, in Bahrain oder Syrien umzingelt.
Dies wirkt sich auch auf die Beziehungen zu Ägypten aus: War der Kampf gegen die Muslimbrüder unter Abdullah noch außenpolitische Priorität, ist es nun die von "Iranoia" geprägte Eindämmung der Islamischen Republik. Ein Zeugnis der "Iranoia" ist die Hinrichtung des hochrangigen schiitischen Geistlichen Sheikh Nimr Baqir al-Nimr in Saudi-Arabien im Januar, die einen Sturm des Protestes im Iran.
Solange die eigenen Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen nicht bedroht werden, hat Ägypten an Bedeutung für Saudi-Arabien verloren. Finanzhilfen wurden unter Salman nicht mehr geleistet. Allerdings wurde im Dezember 2015 angekündigt, dass Saudi-Arabiens Staatsfonds insgesamt acht Milliarden Dollar in Ägypten investieren will, direkte Finanzhilfen sollen aber nicht gezahlt werden.
Stattdessen benötigt Salman Milliardensummen, um den von ihm begonnenen Krieg im Jemen zu bezahlen, das aufgrund des sinkenden Ölpreises auf 20 Prozent gewachsene Haushaltsdefizit zu stopfen und die Jugendarbeitslosigkeit von 30 Prozent zu bekämpfen. Immer wieder äußerten sich saudische Blogger kritisch zur Finanzhilfe an andere Staaten, da das Geld doch eher im eigenen Land benötigt werde.
Saudische Entwicklungshilfe
Saudi-Arabien war in den vergangenen Jahrzehnten ein generöser Geber von offizieller Entwicklungshilfe (ODA) – nicht nur nach Ägypten: Allein zwischen 1975 und 2005 wurden 90 Milliarden Dollar an Staaten in Afrika, die arabische Welt und Asien gezahlt. 2013 belief sich die ODA auf 1,3 Milliarden Dollar, womit Saudi-Arabien auf Rang 20 der weltweit größten Geber rangierte. Ein Drittel der Entwicklungshilfe wurde in den vergangenen zehn Jahren in Ländern wie Pakistan, Sudan oder Jemen eingesetzt. Ob diese Zahlungen jedoch aufrechterhalten werden können, erscheint aufgrund der angespannten Haushaltslage fraglich.
Hinzu kommt, dass sich Al-Sisi in der Syrienkrise dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, erklärter Feind Riads, annähert. Um den Vormarsch Irans und der Terrorgruppe ISIS zu bekämpfen, benötigt das Königreich die Türkei oder Qatar, die als Unterstützer der Muslimbrüder gelten. Um beide Staaten für sich zu gewinnen, scheint das saudische Königshaus den Druck auf Al-Sisi zu erhöhen, seine Repression der Muslimbrüder zu lockern. Und auch im Jemen ziehen beide Partner nicht an einem Strang: Während Saudi-Arabien von Ägypten verlangt hatte, das militärische Vorgehen mit eigenen Truppen zu unterstützen, war Al-Sisis Reaktion zurückhaltend.
Bereits im September 2013 hatte der mittlerweile verstorbene damalige saudische Außenminister Saud al-Faisal gesagt: "Jeder Anfang hat ein Ende. Wir können Ägypten nicht für immer unterstützen."
Sebastian Sons
© Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 2016
Sebastian Sons arbeitete bis August 2015 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Er promoviert zu Mediendiskursen über pakistanische Arbeitsmigranten in Saudi-Arabien an der Humboldt-Universität Berlin.