Die Stimmen des globalen Südens und Ostens
Als im Januar im Literaturhaus Frankfurt die Litprom Literaturtage stattfanden, ahnte noch niemand etwas von der Pandemie, die bereits vor der Tür stand. Die Säle waren bis auf den letzten Platz besetzt, das Publikumsinteresse an Autorinnen und Autoren aus Iran, Guatemala, Israel und zahlreichen weiteren Ländern war enorm. Es sollte der Auftakt werden zu einem Jubiläumsjahr mit Lesungen, Ausstellungen und dem großen Finale auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober. Ob diese überhaupt stattfinden kann, ist noch völlig offen.
Doch auch ohne öffentliche Feierlichkeiten ist der 40. Geburtstag von Litprom ein Grund, zu feiern. Mehr als 800 Bücher sind bislang vor allem deshalb auf Deutsch erschienen, weil die Übersetzungen mit Fördergeldern von Litprom ermöglicht wurden. Namen wie Shariar Mandanipur und Fariba Vafi (Iran), Raja Alem (Saudi-Arabien), Burhan Sönmez (Türkei), Samuel Selvon (Trinidad) und zahlreiche weitere würde man ohne dieses Engagement hierzulande wahrscheinlich nicht kennen.
Postkoloniale Literatur als Novum
Geschäftsleiterin Anita Djafari ist seit dem ersten Tag dabei. Damals, 1980, studierte sie Germanistik und Anglistik in Frankfurt. "Postkoloniale Literatur war etwas ganz Neues", erinnert sie sich. "Plötzlich kam unser Professor mit englischsprachiger indischer und afrikanischer Literatur. Sowas hatte es vorher nicht gegeben."
Die Begeisterung, die mit den neuen Leseerfahrungen aufkam, spürt man bei ihr bis heute. Die Gründungsinitiative des Vereins kam dann mit Peter Weidhaas, dem damaligen Direktor der Frankfurter Buchmesse, der "Schwarzafrika, so nannte man das damals, als Gastland auf die Messe holte". 1984 gelang es, auch das Auswärtige Amt als Geldgeber mit ins Boot zu holen. Das hatte bis dahin zwar die Verbreitung deutscher Literatur im Ausland unterstützt, aber der umgekehrte Weg war Neuland.
"Damals wie heute", sagt Anita Djafari, "wollen wir Verlage dafür begeistern und gewinnen, Literatur aus der sogenannten Dritten Welt zu machen. Das Herzstück unserer Arbeit ist deshalb die Übersetzungsförderung." Denn die Verlage gehen mit Titeln aus asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern Risiken ein.
Bücher zu machen ist teuer, Übersetzungen kosten vier- bis fünfstellige Beträge, je nach Buchumfang. Wenn die Titel sich dann nicht verkaufen, kann das schnell zu wirtschaftlichen Problemen führen. Trotzdem gibt es bis heute eine Reihe kleiner Verlage, die sich auf diese Literaturen spezialisiert haben – aber auch große Häuser nehmen immer mal wieder auch weniger populäre Titel ins Programm. "Insgesamt sind die Auflagen eher niedrig", sagt Djafari. Die Regel seien 1.000 bis 1.500 Exemplare. "Große Auflagen werden dann erreicht, wenn ein Buch einen großen internationalen Preis gewinnt."
Arabische Literatur im Abseits
Besonders schwer hat es die arabische Literatur. Als 2004 die arabische Welt Buchmesse-Gastland war, war das Publikumsinteresse überschaubar, und auch die Presse reagierte verhalten. Erst mit dem Beginn des Arabischen Frühlings wuchs das Interesse vorübergehend. Bei den ersten Litprom Literaturtagen im Januar 2012 stand das Thema im Mittelpunkt, es sollte ein "Schritt aus der Nische" sein.
Der türkischen Literatur gelingt das inzwischen, wenn auch nur langsam. Eine große Rolle dabei hat sicher der Nobelpreis für Orhan Pamuk gespielt, aber auch dass nach dem Gezi-Aufstand vom Sommer 2013 und dem enormen medialen Interesse an den politische Entwicklungen am, Bosporus sowie den deutsch-türkischen Konflikten gleich mehrere Verlage nicht nur moderne Klassiker wie Oguz Atay oder Sabahattin Ali, sondern auch junge türkische Gegenwartsliteratur auf Deutsch publizierten.
Wandel in vielen kleinen Schritten
Zugleich kann man die Übersetzungen aus dem Persischen, die pro Jahr auf Deutsch erscheinen, an weniger als einer Hand abzählen, und beim Arabischen sieht es, trotz der riesigen arabischsprachigen Weltregion, nicht viel besser aus.
Litprom versucht, das zu ändern, in vielen kleinen Schritten. "Viele Menschen merken, dass Literatur ihnen helfen kann, die Welt ein bisschen besser zu verstehen. In diesem Sinne verstehe ich unsere Arbeit als Einladung, sich auf Unbekanntes einzulassen und tolle Entdeckungen zu machen", sagt Anita Djafari.
Ein Mittel hierfür ist der "Weltempfänger", eine von Litprom regelmäßig herausgegebene und von einer Fachjury ermittelte Bestenliste von neu auf Deutsch erschienenen Büchern aus Asien, Afrika und Lateinamerika. Dabei gibt es keine inhaltlichen Beschränkungen. Auf dem Weltempfänger finden sich Romane, Kurzgeschichten und Lyrik, und immer wieder ist auch Genreliteratur dabei. Krimis aus der Türkei oder Syrien unterscheiden sich letztlich gar nicht so stark von ihren hiesigen Pendants – es ist gut gemachte und unterhaltsame Spannungsliteratur, die aber auch neue Perspektiven mit sich bringt.
"Die Literaturen des globalen Südens und Ostens sind gar nicht so fremd, wie viele glauben", erzählt Djafari. Zwar kämen zu den Literaturtagen meist Menschen, die ohnehin schon aufgeschlossen seien und Interesse an interkulturellen Themen haben, aber "am schönsten ist es, wenn wir dabei gelegentlich auch Menschen erreichen, die bisher nur europäische oder amerikanische Literatur im Blick hatten und sich nun auf Neues einlassen. Was man nicht verkennen darf: Es reicht nicht, die Verlage zu überzeugen, es braucht auch die Buchhändler und Leser."
Von der Lebenswirklichkeit der Frauen lernen
Besonders marginalisiert ist die Literatur von Schriftstellerinnen. Die meisten Bücher, die übersetzt werden, sind von Männern geschrieben. Zwar werden Frauen inzwischen sichtbarer. Doch auch das ist ein Wandel, der nur sehr langsam vonstatten geht. Noch in den Achtzigern waren schreibende Frauen aus der so genannten Dritten Welt auf dem westlichen Buchmarkt praktisch unsichtbar.
Diese Erkenntnis wurde 1986 zur Geburtsstunde des LiBeraturpreises – ein Wortspiel aus Literatur und Freiheit. Djafari: "Die Idee war, dass wir uns selbst uns von unseren Wahrnehmungsmustern und von Klischees befreien müssen und anhand von Literatur die Lebenswirklichkeit der Frauen ansehen und dazulernen."
Ein Vierteljahrhundert lang arbeiteten die Initiatoren des Preises, alle aus dem Litprom-Umfeld, ehrenamtlich. Als das immer schwieriger wurde sprang Jürgen Boos, der heutige Direktor der Frankfurter Buchmesse ein und sicherte die Finanzierung. Seither wird der LiBeraturpreis jedes Jahr auf der Messe vergeben, zuletzt 2019 an Mercedes Rosende aus Uruguay. Eine der ersten Preisträgerinnen war 1989 die Algerierin Assia Djebar.
"Es gibt noch viel zu tun", sagt Anita Djafari mit Blick auf das Jubiläum und die Zukunft. "Das Ziel ist, dass es irgendwann gar nicht mehr interessiert, wo Literatur herkommt, sondern einfach in den Kanon eingeht. Wenn das erreicht wäre, wäre Litprom überflüssig. In diesem Sinne wäre es wunderbar, wenn unser Engagement nicht mehr gebraucht würde. Aber das wird noch dauern."
Gerrit Wustmann
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