Musik gewordener Widerstand 

"Beja Power“ von der Noori & His Dorpa-Band ist eine fesselnde Entdeckungsreise durch eine der ältesten und kaum bekannten kulturellen Traditionen des Sudan. Dabei spielt die Band mit verschiedenen Einflüssen und erzielt verblüffende Effekte. Von Richard Marcus  

Von Richard Marcus

Wer nicht in Afrika lebt, dürfte seine Kenntnisse über den Sudan vor allem aus den Schlagzeilen der Medien oder aus Kurzbeiträgen der Nachrichtensendungen gewinnen. Unser Bild des Sudan ist geprägt von gewaltsamen Aufständen und einem insgesamt instabilen Land. Doch wie jedes andere Land auf unserem Planeten ist auch der Sudan so viel mehr als das, was uns die Medien vermitteln. 

Das Album "Beja Power“ von der Noori & His Dorpa-Band mag nicht viel dazu beitragen, unsere Wahrnehmung des Sudan zu verändern. Aber es kann uns zumindest bewusst machen, dass das Land nicht so homogen ist, wie wir oftmals denken. Noori und seine Band stammen aus Port Sudan, der Hafenstadt am Roten Meer. Die Musiker gehören zur ethnischen Minderheit der Beja, deren Kultur jahrelang von den verschiedenen sudanesischen Regierungen unterdrückt wurde. 

Im Siedlungsgebiet der Beja im Ost-Sudan liegen große Goldvorkommen, die sich größtenteils in der Hand ausländischer Unternehmen befinden. Den Beja ergeht es ähnlich wie vielen anderen indigenen Völkern: Ihre Forderungen nach Beteiligung an den Gewinnen aus der Goldförderung wurden stets abgelehnt. Gleichzeitig wurden sie und ihre Kultur marginalisiert. Es überrascht daher nicht, dass die Beja oft besonders vehement nach politischen und gesellschaftlichen Veränderungen im Sudan riefen.

Cover des Albums der Noori & His Dorpa-Band "Beja Power"
Unter dem ehemaligen Diktator Omar al-Bashir wurde verstärkt versucht, Sprache, Musik und Kultur der Beja auszulöschen. Dieses Album beweist, dass der Versuch, eine Kultur zu zerstören, die sich über Jahrtausende zurückverfolgen lässt, glücklicherweise nicht ganz erfolgreich war. Einige Historiker zählen die Beja zu den ältesten lebenden Nachfahren des alten Ägypten und des Reichs von Kusch.

Eine alte Kultur

Unter dem ehemaligen Diktator Omar al-Bashir wurde verstärkt versucht, Sprache, Musik und Kultur der Beja auszulöschen (die meisten Beja sprechen heute Arabisch, es gibt aber auch eine eigene Beja-Sprache, die zur Gruppe der kurschitischen Sprachen gehört, Anm. der Red.)



Dieses Album beweist, dass der Versuch, eine Jahrtausende alte Kultur zu zerstören, glücklicherweise nicht ganz erfolgreich war. Einige Historiker zählen die Beja zu den ältesten lebenden Nachfahren des alten Ägypten und des Reichs von Kusch in Nubien. 

Der Sudan ist nach dem Militärputsch im Oktober 2021und den darauffolgenden Protesten der Zivilgesellschaft immer noch in Unruhe. Es überrascht daher nicht, dass Noori den richtigen Zeitpunkt gekommen sah, die Beja-Musik wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft zu holen.



Damit will er die Menschen nicht nur daran erinnern, dass die Kultur der Beja weiterhin lebendig ist. Er sieht darin auch einen Akt des zivilen Widerstands gegen die Unterdrückung des Militärregimes. 

Tatsächlich steckt noch mehr dahinter: Es gibt nur wenige Aufnahmen von Beja-Musik. Dieses Album ist nicht nur die erste moderne Aufnahme, sondern auch die erste Aufnahme, die ein internationales Publikum erreicht. Mit anderen Worten: Außerhalb des relativ kleinen Siedlungsgebiets der Beja im Ost-Sudan hat bisher fast niemand die Musik gehört, die auf "Beja Power" zu hören ist. 

Traditionelle Rhythmen und aktuelle Einflüsse

Auf dem Album hören wir die traditionellen Rhythmen und Melodien der Beja. Einige davon sind möglicherweise bis zu 6.000 Jahre alt.  Gespielt auf Saxophon, Bass, E-Gitarre, zwei verschiedenen Arten von Perkussionsinstrumenten und anderen modernen Instrumenten sind die Stücke deutlich von zeitgenössischen Einflüssen geprägt – so wie das auch bei anderer indigener Musik aus Afrika der Fall ist. 

 

 

Bei Noori ist das anders. Er spielt ein Instrument, das absolut einzigartig ist. Er schuf die einzige bekannte hybride Tambour-E-Gitarre. Hierzu montierte er auf eine vom Vater geerbte viersaitige Tambour-Gitarre den Hals einer E-Gitarre, die er auf dem Schrott gefunden hatte. Das Ergebnis ist ein besonders eigenwilliges Klangbild. 

Wie der aus Mali bekannte Desert Blues hat auch die Musik der Beja eine hypnotische Qualität. Alle Instrumente, von den Trommeln bis zum Saxophon, folgen dem zentralen Rhythmus eines Liedes und treiben die Musik vorwärts. Ab und zu hebt sich ein Instrument von den anderen ab und gibt eine neue Richtung vor. Diese Leads oder Breaks sind Akzente und Ergänzungen, die den Stücken ihre Spannung verleihen. 

Das Eröffnungsstück "Saagama“ beginnt mit einer E-Gitarre, die die Melodie vorgibt. Schlagzeug und Saxophon kommen hinzu und steuern Melodie- und Rhythmusschichten bei. Das Zusammenspiel der Instrumente baut sich im Laufe des Stücks auf und flaut wieder ab. Die Gitarre wird immer vielschichtiger und engagierter und verwandelt eine scheinbar einfache Melodie in etwas weitaus Komplizierteres und Interessanteres. 

Organische Übergänge 

Die Eröffnungstakte des dritten Stücks auf dem Album, "Al Amal“ (dt. Hoffnung), erinnern an klassische Soulmusik aus Nordamerika. Die Musik entwickelt sich, lässt die Synkopierung des funkigen Grooves hinter sich und wird zunehmend fließender und flüssiger. Man spürt förmlich den Übergang zum Jazz. Dieser Übergang erfolgt nicht dissonant oder gar unbeholfen, sondern entwickelt sich durchaus organisch und ganz natürlich. 

Fast scheint es, als sei die Musik zu weitläufig, um in ein einziges Genre zu passen. Sie verweigert sich unseren gängigen Vorstellungen, wie Musik klingen oder nicht klingen sollte. Vielleicht ist es das, was mit zeitloser Musik gemeint ist: Musik, die sich nicht so leicht in eine der Kategorien einordnen lässt, die wir zu ihrer Definition verwenden. 

Die Jazz-Qualitäten einiger Songs sind nicht zu leugnen. "Jabana“, der vierte Song des Albums, könnte auch in einem New Yorker oder Pariser Club gespielt werden. Das samtige Saxophon und die eleganten Gitarren zaubern nicht nur einen fesselnden Rhythmus, sondern verleihen dem Song mit diversen Soli auch emotionale Tiefe. 

Dieses Album ist eine außergewöhnliche Sammlung von Sounds, die jedem, der sich darauf einlässt, neue musikalische Welten eröffnen. Der Sudan mag ein aufgewühltes Land sein, doch das hält seine Bewohner nicht davon ab, wunderbare Musik zu erschaffen. 

Richard Marcus 

© Qantara.de 2022  

Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers