Wann ist ein Märtyrer ein Märtyrer?
Wie kann es international präsenten Medien wie BBC World, Al Dschasira, Deutsche Welle oder France 24 gelingen, in Krisenzeiten und Konfliktsituationen objektiv und ausgewogen zu berichten? Wie können sie jenseits von National- und Kulturgrenzen konfliktentschärfend wirken? Können sich westliche und muslimische Medienschaffende zehn Jahre nach dem epochalen Bewusstseinsschock vom 11. September 2001 auf gemeinsame professionelle Standards und klare ethische Maßstäbe für die Berichterstattung einigen?
Und können sie einen Konsens erzielen über den Umgang mit umstrittenen Begriffen wie "Märtyrer", "islamistischer Terrorismus" oder "gezielte Tötung"? Denn einerseits erleben wir zwar eine Internationalisierung der Kommunikation, andererseits erfolgt die Berichterstattung jedoch zunehmend vor dem kulturellen Hintergrund des jeweiligen Senders.
Spätestens seit dem großen Karikaturenstreit von 2005/2006, der als Wendepunkt im Verhältnis zwischen Europa und der islamisch geprägten Welt in die Geschichte einging, bilden diese Fragen den Kern der Debatte über die Rolle dieser Medien im internationalen Kontext. Denn dieser Konflikt hat uns vor Augen geführt, wie groß das Potenzial für grenzüberschreitende Eskalation sein kann, wenn sensible Themen ohne kulturelle Kompetenz und ohne das nötige Hintergrundwissen behandelt werden.
Ein vermeidbarer Konflikt
Damals waren nicht wenige Medienmacher und -wissenschaftler von der Wucht einer Kettenreaktion von Missverständnissen überrascht. Sie fragten sich: Wie konnte es nach der Veröffentlichung der sogenannten Mohammed-Karikaturen zu diesen ost-westlichen Irritationen kommen und vor allem zur gewaltsamen Eskalation? Die Erklärung liegt heute auf der Hand: Die meisten nationalen und internationalen Medien tappten in eine gefährliche Perzeptionsfalle, denn aus westeuropäischer Sicht ging es vor allem darum, die Meinungsfreiheit prinzipiell zu verteidigen. Man dürfe sich auch über die Religion der Muslime lustig machen, so rechtfertigten viele westliche Medien die Publikation der umstrittenen Karikaturen.
Aus muslimischer Sicht wurde schnell deutlich, dass viele die Bilder als sehr beleidigend und kränkend empfanden, da die Person des Propheten Mohammed in ihrer Religion einen herausragenden Stellenwert genießt.
Durch ihre fast ausschließliche Orientierung am jeweils eigenen kulturellen Kontext haben Medien in Ost und West allzu schnell eine einseitige Bewertung vorgenommen – und somit zur Verschärfung dieses vermeidbaren interkulturellen Konflikts beigetragen.
Aus diesen Fehlern scheint der Großteil international präsenter Medien gelernt zu haben: Nur drei Jahre nach dem medialen Super-Gau haben sie weitgehend sachlich und differenziert über den anti-islamischen Film "Fitna" des niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders berichtet. Sie haben ihrem Publikum vor allem den politischen Kontext in den Niederlanden erklärt und auf die von Wilders kalkulierte politische Provokation dezidiert hingewiesen. Deshalb erregte dieser Film – obwohl im Vergleich zu den Mohammed-Karikaturen wesentlich radikaler und populistischer – nicht annähernd ähnliche Reaktionen.
Eine einmalige Chance
Der Tod des Al-Kaida-Chefs Osama Bin Laden bietet gegenwärtig eine historische Chance, die Ära der Konfrontation und des simplen Dualismus zwischen dem "Westen" und der "Islamischen Welt" ad acta zu legen. Hinzu kommt, dass der Arabische Frühling zu einer merklichen Annährung zwischen westlichen und arabischen Medien führte, da beide die arabischen Demokratiebewegungen grundsätzlich wohlwollend begleiten.
Diese relative Entspannung im makropolitischen Kontext darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass gemeinsame Standards und verbindliche ethische Normen für die Berichterstattung in Krisensituationen unabdingbar bleiben. Insbesondere arabischen Medien dürften verbildlichen Leitlinien zugutekommen. Denn hier kann eine professionelle Medienkultur als Korrektiv für ein nicht ausreichend funktionierendes Mediensystem fungieren.
Diese internationalen Standards sollten Medienschaffende selbst entwickeln. So können sie die (trans)-kulturelle Sensibilisierung der Medienmacher stärken und eine größtmögliche Akzeptanz gewährleisten. Deshalb wäre es wünschenswert, wenn nachhaltige Kooperationen zwischen westlichen und muslimischen Medien vor allem in den Bereichen praktische Weiterbildungsprojekte und wissenschaftlicher Austausch stärker gefördert und institutionalisiert würden.
Loay Mudhoon
© Qantara.de 2011
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de