Wahlpoker in Teheran
"Im Namen Gottes... gehen wir!" Mit diesen Worten, so Faezeh Hashemi zu einer Journalistin der Teheraner Zeitung Shargh, habe ihr Vater nach einem kurzen Telefonat plötzlich sein Büro verlassen, um kurz vor Fristablauf seine Präsidentschaftskandidatur anzumelden.
Nach langem Taktieren bringt der Politikveteran Rafsandschani mit seinem Entschluss neue Dynamik in das Rennen um die Nachfolge von Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Dominierten bislang Regimekader unterschiedlicher konservativer Schattierung das breite Feld der Anwärter, so ist nun eine starke Polarisierung der Kampagne zu erwarten.
Die Abstimmung am 14. Juni steht unter den Auswirkungen der letzten Präsidentschaftswahl. Im Sommer 2009 hatten die Proteste gegen Wahlmanipulation und deren gewaltsame Unterdrückung die Islamische Republik in eine der schwersten Krisen ihres Bestehens gestürzt.
Kontrollierte Wahlen
Revolutionsführer Ali Khamenei verfolgte nun einen sorgfältig kontrollierten Urnengang, der das Regime stabilisieren und nach dem unberechenbaren Ahmadinedschad einen fügsamen Präsidenten ins Amt bringen sollte.
Den von Privatfehden und Machtambitionen geplagten Konservativen gelang es jedoch nicht, den gewünschten Einheitskandidaten zu nominieren. Die mit dieser Aufgabe betrauten Getreuen Khameneis – Ex-Außenminister Ali Akbar Velayati, Parlamentsmitglied Hadad Adel und der Teheraner Bürgermeister Baqer Qalibaf – registrierten sich schließlich alle drei für eine Kandidatur. Hinzu kommen Anmeldungen von mehr als dreißig bekannten Politikern.
Möglich, dass die Gunst des Revolutionsführers jetzt auf den Quereinsteiger Said Dschalili umschwenkt. Der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats und Atomunterhändler hat zwar keine Regierungserfahrung. Doch Dschalili unterstreicht seine diplomatische Expertise und Erlebnisse an der Front im Krieg gegen den Irak. Offensichtlich versucht er sich so als Kandidat der Revolutionsgarden zu positionieren, deren Führung bislang noch keine Präferenzen gezeigt hat.
Ahmadinedschad will seinerseits das Amt nicht kampflos räumen. Wie erwartet hat der scheidende Präsident seinen Vertrauten Esfandiar Mashaei ins Rennen gebracht, der aufgrund nationalistischer und antiklerikaler Tiraden im konservativen Establishment auf starke Ablehnung stößt. Seine Zulassung durch den mit der Oberaufsicht der Wahlen betrauten Wächterrat ist daher fraglich.
In gewohnt großsprecherischem Stil hat Ahmadinedschad signalisiert, dass er auf eine solche Disqualifizierung mit kompromittierenden Informationen über hochrangige Regimevertreter an die Öffentlichkeit gehen könnte. Da das ihm unterstehende Innenministerium die Durchführung der Wahlen verantwortet, erscheinen iranischen Beobachtern auch Eingriffe in den Wahlprozess oder gar eine komplette Blockade nicht abwegig.
Mythos und Hoffnungsträger Rafsandschani
Im Lager der Reformer widerstand Ex-Präsident Mohammad Khatami dem Drängen seiner Anhänger, selbst noch einmal zu kandidieren. Als Schirmherr einer politischen Tendenz, deren wichtigste Vertreter noch in Haft sind oder unter Hausarrest stehen, hielt er diese direkte Konfrontation für wenig sinnvoll. Die Reformer und viele Anhänger der "Grünen Bewegung" werden sich jetzt hinter Rafsandschani stellen.
Ihm trauen sie zu, die Macht der Hardliner aus dem Umfeld Khameneis einzudämmen und eine vorsichtige Öffnung des Regimes herbeizuführen. Mit wachsender Zuspitzung könnte der Wahlkampf damit eine ähnliche Mobilisierung wie vor vier Jahren erzeugen.
Dennoch muss Rafsandschani darauf bedacht sein, unter seinen Anhängern keine systemkritischen Parolen laut werden zu lassen. Seit er im Juli 2009 Verständnis für die Protestbewegung äußerte, musste der einstige Khomeini-Vertraute, der schon sämtliche Spitzenämter der Islamischen Republik inne hatte, erheblichen Einflussverlust hinnehmen.
Mit einer erneuten Kandidatur will der 78-jährige Hashemi Rafsandschani offenbar seinen Mythos als zweiter Mann im Staat wieder aufleben lassen und sein politisches Erbe verteidigen. Unter Verweis auf seine langjährige Expertise wird er sich nun als den Mann darstellen, der als einziger das Land aus der internationalen Isolation und der anhaltenden Wirtschaftskrise zu führen vermag. Damit kann er auch auf die Unterstützung vieler traditioneller Konservativer und des schiitischen Klerus zählen.
"Gelbes Licht" vom Revolutionsführer
Zwar hat Rafsandschani betont, nicht ohne Zustimmung des Revolutionsführers zu kandidieren, doch bleibt unklar, ob er diese tatsächlich erhalten hat. Mit offener Blockade seines alten Rivalen hätte Khamenei das ohnehin schwache Interesse vieler Wähler am Urnengang schnell erstickt.
Für ihn zählt aber auch eine hohe Wahlbeteiligung, von der er sich einen Legitimationsschub verspricht. Somit dürfte der Telefonanruf in letzter Minute – so es ihn denn wirklich gab – Rafsandschani zumindest ein "gelbes Licht" des Revolutionsführers übermittelt haben.
Die Hardliner haben allerdings schon bei den letzten Wahlen gezeigt, wie weit sie bereit sind, für den Macherhalt zu gehen. Auffällig scharf bezeichnete Geheimdienstminister Heidar Moslehi kürzlich Rafsandschani als Mitglied der "Verschwörung" von 2009. Mit Verweis auf die spontane Demonstration einiger hundert Rafsandschani-Anhänger bei dessen Registrierung warnte Khameneis außenpolitischer Berater Velayati vor einer Wiederholung der Ereignisse.
Die nächste Etappe des Machtpokers ist die Zulassung der Kandidaten durch den Wächterrat bis zum 23. Mai. Schon jetzt erscheinen die Präsidentschaftswahlen nicht nur als letztes Duell der zwei dienstältesten Politiker der Islamischen Republik, sondern auch als Richtungsentscheidung mit offenem Ausgang. In Teheran stehen turbulente Tage bevor.
Marcus Michaelsen
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de