Ehrfurcht für den Kosmos

Mit "Holy Quarter" von Monira al-Qadiri zeigt das Haus der Kunst in München noch bis Anfang Juni die Arbeit einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstlerinnen aus der Golfregion. Claudia Mende hat die Ausstellung gesehen.

Von Claudia Mende

Sand, Licht und Steine. Es sind nicht die klassischen Wüstenphantasien, die Monira al-Qadiri in ihrer Installation "Holy Quarter" im Haus der Kunst zeigt. Es sind vielmehr eindrucksvolle Bilder einer Landschaft fern jeder Zivilisation.

Bei der Eröffnung der Ausstellung in München hat die Künstlerin ihr Werk vorgestellt. Es besteht aus im Raum verteilten schwarzen Glasskulpturen sowie einer Videoerzählung, zu der Text und Musik eingespielt werden. Die Bilder auf der großen Leinwand in dem dunklen Raum haben eine große Wirkung.

Man spürt, dass sich Al-Qadiri künstlerisch mit globalen Fragestellungen wie der Frage nach einer Zukunft für die von der Klimakrise gebeutelte Menschheit auseinandersetzt. Dabei blickt sie ausdrücklich aus einer arabischen Perspektive auf die Fragestellungen.

Eindrücke vom "Leeren Viertel"

Über die große Leinwand flackern Bilder von Sanddünen, Steinformationen und der großen Weite in der Wüste "Rub al-Khali", dem "Leeren Viertel" zwischen Saudi-Arabien, Oman, Jemen und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ein einzelner Strauch in einem Meer von Sand ist zu sehen. Die Videoerzählung demonstriert, wie klein der Mensch angesichts der Naturgewalten ist. Unweigerlich stellen sich Fragen nach dem Sinn des Daseins und den Wurzeln menschlicher Existenz.

Al-Qadiri ist 1983 in Dakar, der Hauptstadt des Senegal, geboren. Ihre Eltern stammen aber aus Kuwait, wo sie aufwuchs. Im Alter von 16 Jahren zog es sie nach Tokio, wo sie das Fach Intermediale Kunst studierte und 2010 mit einer Promotion abschloss. Nach einigen Jahren in Beirut lebt die Künstlerin heute in Berlin.

Die Filmaufnahmen, mithilfe einer Drohne im „Leeren Viertel“ entstanden, bilden eine Einheit mit den runden schwarzen Glasskulpturen vor der Leinwand. Ein wichtiger Anknüpfungspunkt für das intermediale Projekt ist die Geschichte des britischen Entdeckungsreisenden St. John Philby, der in den 1930er Jahren im "Leeren Viertel" unterwegs war.

Fiktives Wesen mit einer mythologischen Qualität

Der Orientalist war auf der Suche nach den Ruinen einer antiken Stadt, als er 1932 als erster Europäer in dieser menschenfeindlichen Gegend die Wabar-Krater entdeckte. Was der Brite für einen erloschenen Vulkan hielt, war tatsächlich durch den Einschlag von Meteoriten entstanden. Wabar gilt als der besterhaltene Krater nach dem Einschlag eines Meteoriten weltweit.

Al-Qadiri sieht in diesen Überresten des Meteoriten aber mehr als eine geologische Attraktion. In ihrer Installation wird Wabar zu einem fiktiven Wesen mit einer mythologischen Qualität, das aus dem All auf die Erde gefallen ist. In den eingespielten Audio-Sequenzen spricht Wabar Texte aus dem Tagebuch von St. John Philby, vermischt mit Anmerkungen aus wissenschaftlichen Journalen und religiöser Poesie.

"Wenn man diese Steine, die von einem Meteoriten stammen, in die Hand nimmt, dann bekommt man unweigerlich ein spirituelles Gefühl für die unendliche Weite des Universums, mit dem wir verbunden sind", erläutert sie.

Dieses Gefühl der Ehrfurcht für den Kosmos wollte sie in ihrer Installation transportieren. Die Glasskulpturen erinnern an die "Wabar- Perlen" im Meteoritenkrater, schwarz leuchtende Steine, die durch den Aufprall der Meteoriten im Sand entstanden sind. Gleichzeitig ist ihre Perlenform aber auch eine Anspielung auf die Ära vor dem Erdölzeitalter in Kuwait, als das Perlentauchen im Meer noch die Lebensgrundlage der Menschen war.

Vom Wüstenzelt in den Wolkenkratzer

Monira al-Qadiri gehört zu einer jungen Generation arabischer Künstlerinnen und Künstler, die sich mit den Folgen des Erdölzeitalters für ihre Gesellschaften auseinandersetzen. Denn der kulturelle und gesellschaftliche Umbruch nach dem Beginn der Ölförderung war einschneidend. Noch Al-Qadiris Großvater arbeitete als Sänger auf einem Perlenfischerboot. Innerhalb kürzester Zeit hat die Erdölförderung das Leben der Menschen in der Region komplett umgekrempelt. In nur einer Generation wurden sie vom Wüstenzelt in den Wolkenkratzer, vom Kamel in den Mercedes katapultiert.

nstallation "Holy Quarter" von Monira al-Qadiri, 2019, im Haus der Kunst in München; Foto: Maximilian Geuter/HdK
Zerrissenheit zwischen Wohlstand und innerer Leere als Folge des Erdölzeitalters: Mit ihrer schwarzen Farbe verweisen die Glasskulpturen auf das alles bestimmende Öl. Ideen für eine postfossile Zukunft könne aber nur entwickeln, wer sich an die Zeit vor der Erdölförderung erinnert, ist die Künstlerin überzeugt.

Al-Qadiri vergleicht den Einbruch des Erdölzeitalters in die Golfregion mit einer Invasion von Aliens aus dem Weltall so wie Wabar, das fiktive Wesen, das aus dem All stammt. Über einem importierten westlichen Modell von Fortschritt wären die eigenen kulturellen Wurzeln komplett in Vergessenheit geraten, meint sie.

Bis heute beruhen Wohlstand und Überkonsum in der Region auf dem Öl, das zu einer Zerrissenheit zwischen Wohlstand und innerer Leere geführt habe. Mit ihrer schwarzen Farbe verweisen die Glasskulpturen auf das alles bestimmende Öl. Ideen für eine postfossile Zukunft könne aber nur entwickeln, wer sich an die Zeit vor der Erdölförderung erinnert, ist die Künstlerin überzeugt.

Die Ästhetik der Traurigkeit

Aber im Nahen Osten habe man die Vergangenheit aus dem kollektiven Bewusstsein verdrängt und daher gebe es auch keine tragfähigen Ideen, wohin man sich entwickeln wolle. "Die Erzählungen unserer Gesellschaften zerfallen", sagt sie, "es gibt überhaupt keine Vision für die Zukunft." Die Lage im Nahen Osten hält sie für "schmerzhaft" und "tragisch".

"Trotzdem hat diese orientalische Melancholie für mich eine ästhetische Qualität", meint sie und stellt diese bewusst einem westlichen Zwang zur dauerhaften Fröhlichkeit gegenüber. "Die Ästhetik der Traurigkeit im Nahen Osten" war dann auch der Titel ihrer Doktorarbeit. Die Zukunft erscheint düster. Aber es gibt eben auch die vitalen Stimmen von jungen Künstlern wie Al-Qadiri, die ein enormes kreatives Potenzial besitzen. 

Nach Ausstellungen in Amsterdam, Beirut, London, Jeddah, Kuwait-City, Doha, Tokio, Göttingen ist Monira al-Qadiri jetzt noch bis 21. Juni im Haus der Kunst zu sehen.

Claudia Mende

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