Bessere Noten ohne Kopftuch
Eigentlich gab es auf dieser Schule kaum Probleme. Bis Amina Nisics Tochter nach der mittleren Reife auf das Gymnasium wechseln wollte. "Die Lehrer schmetterten das in der Notenkonferenz ab. Sie meinten, meine Tochter schaffe das sowieso nicht", erzählt Nisic. Nachvollziehbar war das nicht. Mit einem Notendurchschnitt von 1,4 war die Zehntklässlerin Jahrgangsbeste. Dass ihre 16-jährige Tochter mit solchen Hürden konfrontiert wird, erlebt Amina Nisic nicht zum ersten Mal. Das Mädchen trägt seit der vierten Klasse ein Kopftuch, sie wollte das unbedingt.
Wenn ihrer Tochter Steine in den Weg gelegt werden, handelt die 42-Jährige. Weil die Lehrer der vorherigen Schule der Schülerin mehrfach geraten hatten, für bessere Noten das Kopftuch abzulegen, suchte sie eine andere Schule im Bezirk. Nisic sprach auch mit der Klassenlehrerin der neuen Schule, nachdem diese das Mädchen vor den Mitschülern mit "Seht, da kommt ein Mädchen im Ganzkörperkondom" begrüßt hatte. Die Lehrerin entschuldigte sich, meinte, das sei "nur ein Scherz" gewesen. Sobald es aber um den Wechsel auf das Gymnasium ging, blieben die Lehrer stur. Erst nachdem Nisic sich einen Termin bei der regionalen Schulaufsicht Berlin-Neukölln besorgt und mit dem Referatsleiter gesprochen hatte, bekam ihre Tochter die Empfehlung für das Gymnasium. Aber für eine Bewerbung an den Schulen war es da schon zu spät. "Ärgerlich", sagt Nisic.
Es geht vor allem um institutionelle Diskriminierung
Ellen Kollender kennt zahlreiche ähnliche Geschichten. Die Politologin an der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität forscht zu Rassismus und institutioneller Diskriminierung an Berliner Schulen. Ihr haben Eltern mit Migrationshintergrund vielfach von Diskriminierung in der Schule berichtet. "Es geht nicht immer um direkte Äußerungen und Handlungen einzelner Lehrkräfte", meint sie, "sondern oft um institutionelle Diskriminierung." Beispiele gebe es viele: fehlende Übersetzungshilfen auf Elternabenden, die dominante Besetzung von Elterngremien durch Akademikereltern ohne Migrationshintergrund, ein Türkischverbot auf dem Schulhof oder Erfahrungen wie die von Amina Nisic. Das "nicht deutsche" Aussehen spiele auch eine große Rolle – ein Zeichen, wie häufig noch immer Deutsch-Sein mit bestimmten optischen Merkmalen gleichgesetzt werde.
Dabei geht es auch anders, weiß Emine Elçi. Anfang der 1970er Jahre als Tochter kurdischer Migranten aus der Türkei in Berlin geboren, war sie dort eines der ersten Gastarbeiterkinder. "Ich konnte kaum Deutsch, aber die Lehrer unterstützten mich sehr", sagt sie. "Das stärkt fürs Leben." Heute hat Elçi selbst fünf Kinder, und hört immer wieder von Schülerinnen und Schülern aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis, "die von ihren Lehren aufgrund ihrer Herkunft oder ihres sozialen Status als künftige Hartz-IV-Empfänger abgestempelt werden." Oft heiße es auch, dass Kopftuch tragende Mädchen ja sowieso als Hausfrau enden.
Austausch zwischen Eltern
Elçi kennt die Schwierigkeiten in Berlin-Neukölln gut. Sie unterstützte nach ihrer Weiterbildung als Stadtteilmutter dort mehrere Jahre lang Menschen, die die deutsche Sprache oder das Behördensystem noch nicht genug kennen. Später arbeitete sie als Dolmetscherin, gab Nachhilfe und begann, Stadtführungen durch den Bezirk zu leiten – auch, um mit Vorurteilen und Klischees aufzuräumen.
"Egal, wohin ich komme", sagt sie, "das Kopftuch führt erstmal zu Irritationen, die auch im migrantisch geprägten Neukölln Alltag sind." Auch an den Schulen hätten die Lehrer bestimmte Erwartungen, denen die Eltern aus außereuropäischen Ländern häufig nicht richtig zu begegnen wüssten, sagt Elçi. "Weil sie niemand darüber aufklärt, dass der Lehrer hier nicht die einzige Instanz ist, sind manche verwundert über eine Einladung zum Elternabend und das Mitgestaltungsrecht der Eltern." Was hilft, sei Austausch zwischen den Eltern, zum Beispiel in Elterncafés, die in manchen Schulen entstanden sind, sagt sie. "Wenn man früh investiert, etwa durch Sprachförderung für Schülerinnen und Schüler mit Mängeln oder mithilfe von Lehrern und Sozialarbeitern mit Migrationshintergrund, kann man viele Schwierigkeiten vermeiden."
Viele Initiativen wie der "Türkische Elternverein" in Berlin-Brandenburg oder der Verein "Yekmal" von Eltern aus Kurdistan setzen sich seit langem dafür ein, Bildungschancen von Schülerinnen und Schülern migrantischer Herkunft zu verbessern. Ellen Kollender betont aber, dass sich die Eltern Vorverurteilungen und Diskriminierungen weder komplett allein stellen könnten, noch sollten. Politik und Schule müssten sich engagieren.
Positive Entwicklungen gibt es inzwischen immer mehr, etwa interkulturelle Schulungen in der Lehrerausbildung in einigen deutschen Bundesländern. Andere Vorstöße setzen auf eine inklusive Kita- und Schulentwicklung – zum Beispiel die in Berlin ansässige "Fachstelle Kinderwelten". Auch Emine Elçi hofft auf weitere Fortschritte. "Die Schule besteht nur aus Mauern und Steinen und kann per se nichts falsch machen", sagt sie. Entscheidend sei, was das Schulsystem daraus macht. Amina Nisics Tochter kann trotzdem nur auf Besserungen für künftige Schüler hoffen. Sie selbst muss sich damit abfinden, dass der Wechsel auf das Gymnasium nicht geklappt hat und sie stattdessen nun die Sekundarschule besucht.
Nicole Sagener