Der Traum von Olympia
Als Reinhard Kleist, einer der besten Zeichner Deutschlands und Autor mehrerer preisgekrönter Graphic Novels vom Goethe Institut Palermo für ein einmonatiges Residenzprogramm eingeladen wurde, sich vor Ort einen Eindruck über das Leben von Geflüchteten zu verschaffen, zögerte er nicht lange und flog für einen Monat nach Sizilien. "Seit ich Elias Bierdels Buch ENDE EINER RETTUNGSFAHRT gelesen habe, lässt mich das Thema Flüchtlingspolitik nicht mehr los."
In den Straßen und Flüchtlingscamps lernte er nicht nur zahlreiche Flüchtlinge aus Nordafrika kennen, die zuvor die gefährliche Überfahrt in überfüllten Booten überstanden hatten. Bei seinen Recherchen traf er auch Teresa Krug, eine amerikanische Journalistin, die ihm das tragische Schicksal von Samia Yusuf Omar erzählte: Die junge Somalierin war 2008 als Läuferin für ihr Heimatland an den Olympischen Spielen in Peking an den Start gegangen und hatte sich als nächstes Ziel gesetzt, 2012 in London dabei zu sein.
Das tragische Schicksal der Samia Yusuf Omar
Da es für Samia in Mogadischu unmöglich war, sich auf dieses hochgesteckte Ziel vorzubereiten, beschloss sie - wie so viele junge Menschen -, ihren Traum durch die riskante Route über Addis Abeba nach Khartum im Sudan bis zur Küste in Libyen zu verwirklichen. Mit ihrer Schwester, die nach Finnland geflüchtet war, stand sie in Kontakt über Facebook, wo immer dies auf ihrer gefährlichen Odyssee möglich war. Obwohl sie alle Gefahren bis kurz vor ihrem Ziel überwunden hatte, kenterte ihr Flüchtlingsboot in den Gewässern vor Libyen bei einem Rettungsversuch der italienischen Marine, und sie ertrank vor den Augen der Rettungsmannschaft im verzweifelten Chaos der Insassen, kaum 21 Jahre alt.
Reinhard Kleist war bis dahin vor allem als Autor von gezeichneten Biografien über Johnny Cash, Fidel Castro oder den Boxer Hertzko Haft bekannt geworden. Sein Engagement für Flüchtlinge hatte ihn jedoch außer nach Palermo auch schon in ein Lager für syrische Kurden im Nordirak geführt, wo er eine Reportage für den Fernsehsender ARTE zeichnete.
Um Samias Geschichte glaubhaft nachzuvollziehen, musste er die spärlichen Stationen in ihrem kurzen Leben durch Recherchen im Internet, Gespräche mit ihrer Schwester oder mit somalischen Migranten in Berlin ergänzen. So gelang es ihm, realistische Szenen sowohl bildlich als auch durch typische Erlebnisse von Flüchtenden in Ostafrika in seiner Graphic Novel zu verarbeiten, die 2015 zuerst als Fortsetzungsgeschichte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf Deutsch erschien.
Nachdem das Buch in einer englischen und französischen Ausgabe erschienen ist, präsentierte der ägyptische Verlag Sefsafa Publishing House es im Januar 2017 nun auch auf Arabisch. Dies war für das Goethe-Institut im Sudan Anlass, Reinhard Kleist nach Khartum einzuladen, um sein Buch dort erstmals an einem Abend im Gespräch mit Publikum vorzustellen.
Eine neue Generation junger Comiczeichnern
Wie bei den meisten Besuchen von deutschen Gästen traf der Künstler aus Berlin an den Tagen zuvor mit sudanesischen Kollegen zusammen, die ihre Geschichten für Kinder oder Erwachsene ebenfalls als Comics veröffentlichen. Im Sudan ist ähnlich wie in Ägypten in den letzten Jahren eine junge Generation von Comiczeichnern an die Öffentlichkeit getreten, die ihr Können auch ohne spezielle Kurse an Kunsthochschulen autodidaktisch durch das Studium von Comics im Internet oder von Animationsfilmen erlernt haben.
So stellten die drei gemeinsamen Workshop-Tage mit Reinhard Kleist für die jungen Comiczeichner eine willkommene Gelegenheit dar, sich intensiv auszutauschen und gleichzeitig neue Skizzen anzufertigen: Yousif Elamin zum Beispiel, der seine Zeichnungen und Videos auf seiner Facebookseite YAKAM DUDES veröffentlicht und einer der aktivsten Künstler der "Sudanese Association for Comics and Games" ist, wollte vor allem über die Entwicklung von spannenden Handlungssträngen oder glaubhaften Charakteren, und abwechslungsreichem Layout mehr erfahren. Die eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Bilder von Samias Flucht eigneten sich dazu natürlich bestens.
Im Anschluss an den Workshop gründeten die Teilnehmenden mit Reinhard Kleist eine neue Facebook-Seite für den künftigen Austausch untereinander, und die Goethe-Institute in Ägypten und im Sudan sowie ihre Kollegen an den französischen Kulturinstituten planen als nächstes, ein gemeinsames Comic-Buch mit den besten neuen Stories für den Gastauftritt Frankreichs auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst dieses Jahres herauszugeben.
Auf diese Weise werden nicht nur die Geschichte von Samia Yusuf Omar als Graphic Novel für ein arabisches Publikum, sondern auch die neuesten Geschichten der lokalen Comicszenen über die Grenzen Ägyptens oder des Sudans bekannt gemacht. – Und Reinhard Kleist war von seinem Aufenthalt in Khartum genauso wie zuvor in Ägypten so angetan, dass er durchaus bereit wäre, für weitere Workshops noch einmal dorthin zu reisen!
Manfred Ewel
Manfred Ewel ist Leiter des Goethe-Institut Sudan in Khartum.