Welten im Kinderblick
Der in Paris geborene Zeichner und Filmemacher Riad Sattouf hat seine Kindheit in Gaddafis Libyen, in Syrien und anderen Ländern des Nahen Ostens verbracht. In "Der Araber von morgen", wie die im Februar erschienene Übersetzung auf deutsch betitelt wurde, schildert er seine Erlebnisse aus der unerschütterlichen Perspektive eines kleinen Jungen. 1978 bis 1984, an interkulturellen Konflikten reiche Jahre, gespiegelt in einer illustrierten Autobiographie.
Am 1. Februar 2014 wurde der Band beim 42. Festival von Angoulême mit dem Fauve d'or, dem wichtigsten europäischen Comic-Preis, als beste Graphic Novel des letzten Jahres ausgezeichnet.
Sattoufs Vater kam als Student und Wehrdienstflüchtling aus Syrien nach Frankreich, heiratete eine Kommilitonin, promovierte, wurde Vater - und glaubte an den neuen Mann: den gebildeten, nach anti-westlichen und pro-sunnitischen Allianzen strebenden Araber. Um der Geburt dieses "Arabers von morgen" helfend beizuwohnen, ließ er sich 1980 als Historiker an eine libysche Universität berufen.
Politische Irrungen
Sattoufs Comic erzählt die Geschichte des Vaters und die seiner Zeit, erklärt mit liebevollem Spott seine nur inkonsequent verfolgten Ideale und entlarvt sie kommentarlos als politische Irrungen der frühen 1980er Jahre. Er erzählt vom Alltag im gelobten Land des libyschen Revolutionsführers und im Syrien Hafiz al-Assads, geschildert aus eigener Anschauung und der Perspektive eines Kindes. Von Erinnerungen daran, wie es ist, sich als kleiner, blonder Junge in einer Schlange von lauter Männern wiederzufinden, um nach Bananen und Corned Beef anzustehen - eine reine Männerschlange wohlgemerkt, denn die gleichzeitige Anwesenheit von Frauen hätte sittlichen Verfall bedeutet.
Er erklärt, worauf man achten muss, wenn einem die Cousins Beleidigungen auf Arabisch beibringen, und wie man den brutalen Straßenjungs entkommt. Die Welten, die Sattouf schildert, mögen nur wenigen Lesern näher bekannt sein; die besondere Qualität dieses Comics ist es, dass er trotzdem voller Witz an Erinnerungen und Gefühle anknüpft, die jeder mit der eigenen Kindheit verbindet.
Gestalterisch ist das Buch ein ausführliches Triptychon aus Blau, Ocker und Rosa. Die Zeichnungen der verschiedenen Stationen sind abwechselnd durchgängig symbolisch eingefärbt, hellblau für Frankreich und das Meer der Bretagne, die Zwischenaufenthalte im Haus der mütterlichen Großmutter, ocker für die Wüste Libyens und rosa für den rötlichen Boden Syriens.
Riad Sattouf hat zehn Jahre lang immer wieder an diesem grafischen Roman in der Tradition von Art Spiegelmans "Maus" gearbeitet. Er ist als Trilogie angelegt, der zweite Band wird demnächst in Frankreich erscheinen.
Sattouf gehört seit langem zu Frankreichs bekanntesten Comic-Künstlern und wurde immer wieder für seine Arbeiten ausgezeichnet. Zehn Jahre lang lieferte er wöchentlich einen Cartoon für Charlie Hebdo, "La Vie secrète des jeunes" (Das geheime Leben der Jungen), auf französisch 2007 bis 2012 gesammelt in drei Bänden publiziert.
In der Sonderausgabe der Satirezeitschrift, die nach dem Mordanschlag auf die Mitarbeiter am 14. Januar 2015 erschien, findet sich ein neuer Streifen dieses in hartem Jugendslang verfassten Comics mit der Signatur Riad Sattoufs.
Der Journalist und Comic-Experte Andreas Platthaus hat den "Araber von morgen" sehr gelungen in knappes Sprechblasen-Deutsch übertragen. Seiner Übersetzung ist zu wünschen, dass sie in Deutschland ähnlich viele Leser findet wie das auf Französisch 150.000 mal verkaufte Original.
Sabine Peschel
© Deutsche Welle 2015
Riad Sattouf: "Der Araber von morgen" , Verlag Knaus (Randomhouse), München, 160 Seiten