Drohender Flächenbrand
Noch während das französische Militär seine Angriffe auf radikale Islamisten im Norden Malis fortsetzte, sorgte ein Beschluss Algeriens und Marokkos, Frankreich die Nutzung ihres Luftraums zur Durchführung dieser Angriffe zu gestatten, für Kontroversen. Es gab Anlass zur Besorgnis, dass sich in Zukunft ganz Nordafrika zu einer Extremistenhochburg entwickeln könnte, vor allem nach der tragischen Geiselnahme in Algerien.
Auch stellt sich die Frage, inwieweit der französische Militärschlag sich auf die Interessen Algeriens und Marokkos sowie auf deren bilaterale Beziehungen auswirken wird. Die Grenzen beider Länder sind ja nach wie vor geschlossen. Nach Meinung von Beobachtern ist deren zustimmende Haltung gegenüber der Militärintervention Frankreichs in Mali vor dem Hintergrund der Gefahr zu sehen, welche von den in der Region operierenden Terrorgruppen für die innere Sicherheit beider Nachbarländer ausgeht.
Während einerseits Stimmen laut werden, die vor den verhängnisvollen Folgen dieses Beschlusses warnen, darunter die Möglichkeit eines Übergreifens extremistischer Aktivitäten vom Norden Malis auf die Grenzregionen Marokkos und Algeriens, erwarten andere, dass diese Krise zu einer Annäherung beider Ländern hinsichtlich des Westsahara-Konflikts führen wird, welcher immer wieder für bilaterale Spannungen sorgt.
Nach wie vor unterstützt Algerien die Polisario-Front in ihrem Kampf um die von Marokko beanspruchte Westsahara. Letzteres hat schon vor Jahren eine Autonomielösung für das Konfliktgebiet vorgeschlagen.
Terrorismusbekämpfung als kleinster gemeinsamer Nenner
Unmittelbar nach der algerischen Ankündigung, den französischen Kampfflugzeugen das Überflugsrecht zu gewähren, um Angriffe gegen die von den Islamisten beherrschten Gebiete in Mali fliegen zu können, wandten sich die Kommentatoren in Algier den möglichen Auswirkungen eines solchen Schrittes für die Interessen Marokkos zu, welches sich wegen des Sahara-Konflikts im Zustand eines kalten Krieges mit seinem östlichen Nachbarn befindet und dabei Frankreich zu einem seiner wichtigsten Verbündeten zählen kann.
Marokko beeilte sich jedoch, durch seinen Innenminister Mohand Laenser offiziell verlautbaren zu lassen, es unterstütze Algerien "rückhaltlos". Anschließend erklärte der französische Außenminister, Marokko habe seinem europäischen Verbündeten ebenfalls die Nutzung seines Luftraums zum selben Zwecke gestattet, was von Rabat nicht bestätigt wurde.
Der französische Terrorismus-Experte Mathieu Guidère vertrat gegenüber Qantara.de die Ansicht, die Entscheidung Marokkos und Algeriens sei im Wesentlichen auf deren historisch enge Beziehungen zu Frankreich zurückzuführen. Daneben habe Frankreich aber auch diplomatischen Druck auf die beiden Länder ausgeübt, damit diese ihm die Durchquerung ihres Luftraums ermöglichten. Und schließlich sei sowohl Marokko als auch Algerien daran gelegen, sich der von Mali her zusammenbrauenden "terroristischen" Bedrohung zu entledigen.
Nach Ansicht von Mohammed Benhammou, dem Vorsitzenden des "Afrikanischen Verbands für Strategische Studien" ("Fédération Africaine des Etudes Stratégiques") in Rabat, erfolgte die Intervention Frankreichs mit Rückendeckung durch die internationale Gemeinschaft und auf Wunsch Malis hin. Marokko habe stets die Einheit und Souveränität Malis unterstützt.
Weiter führt der marokkanische Experte im Gespräch mit Qantara.de aus: "Demzufolge ist der Beschluss Marokkos zur Öffnung seines Luftraums gegenüber Frankreich – sollte sich dieser tatsächlich bestätigen – vor dem Hintergrund der durch die gegenwärtige Phase bedingte Notwendigkeit zur Zusammenarbeit zu sehen, sowie der sich zuspitzenden Sicherheitslage, unter der die afrikanische Sahel-Zone leidet."
Mit Blick auf die Kehrtwende der Position Algeriens, welches ja bislang jedweder Einmischung in die inneren Angelegenheiten irgendeines anderen Staates ablehnend gegenüber stand, und dann doch einer Unterstützung Frankreichs bei seinem Militäreinsatz auf malischem Territorium zustimmte, erklärte Benhammou:
"Ich glaube, dass der jüngste Besuch des französischen Präsidenten François Hollande in Algerien einen gewichtigen Einfluss auf die algerische Entscheidung hatte. Hinzu kamen Treffen zwischen der algerischen Führung und westlichen Entscheidungsträgern. Offenbar hat all dies Algerien dazu bewogen, eine Position der positiven Neutralität einzunehmen, d.h. keine direkte Einmischung, sondern eben eine Hilfestellung für die französische Intervention."
Kostspieliger Feldzug
Als unmittelbare Reaktion auf den Beschluss Algeriens erfolgte die Geiselnahme in der Umgebung von In Amenas, welche Algerien teuer zu stehen gekommen ist und das Land zu erhöhten Sicherheitsvorkehrungen entlang seiner südlichen Grenzen veranlasst hat.
Dr. Ammar Jaffal, Direktor des Labors für Studien und Forschungen im Bereich Internationale Beziehungen an der Universität Algier, bemerkte dazu: "Auch wenn Algerien nicht direkt an der Militäroperation beteiligt ist, so geht diese doch in hohem Maße auf Kosten seiner Sicherheit. Schließlich wird all dies eine Aufstockung des Verteidigungsetats, höhere Investitionen in den Schutz der Förderanlagen im Süden, sowie die Stationierung von mehr Sicherheitskräften erforderlich machen."
Ferner erklärt der algerische Experte im Interview mit Qantara.de: "Schon ohne Entführungsaktionen und Terrordrohungen ist diese Angelegenheit für Algerien mit hohen Kosten verbunden."
In der öffentlichen Meinung Algeriens herrscht Missbilligung und Ablehnung der offiziellen algerischen Position vor. Die Zeitungen sparen nicht mit Kritik an der algerischen Führung, zumal Algerien sich davor stets in aller Deutlichkeit zur Neutralität in dieser Frage verpflichtet hatte.
Für Jaffal liegt der Hauptgrund für diese Kritik in der Tatsache, dass es bei dieser Sache um Frankreich, den früheren Kolonisator Algeriens, gehe. Es gebe im Land aber auch einen anderen, ebenfalls weit verbreiteten Diskurs, welcher das Vorgehen Algeriens rechtfertige und auf die gefährliche Situation in den südlichen Grenzgebieten des Landes verweise.
In Marokko hingegen ist die Öffentlichkeit nur unzureichend darüber im Bilde, wie es sich mit dem Beschluss der marokkanischen Regierung verhält. Dies hat eine der Oppositionsparteien dazu bewogen, ihre Kritik am Vorenthalten konkreter Informationen über das, was in Mali geschieht, zum Ausdruck zu bringen.
Der französische Experte Guidère sagt dazu, die wahre Herausforderung, mit der sich Marokko und Algerien nach ihrer Entscheidung konfrontiert sehen, sei nicht die Bedrohung durch bewaffnete Gruppen wie jene Geiselnehmer in Algerien. Eine viel größere Gefahr stelle vielmehr die ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber dem Beschluss zur Unterstützung Frankreichs dar, denn dadurch würden sich die jungen Menschen beider Länder leichter in die Arme jener Gruppen treiben lassen.
Die Tuareg und der Sahara-Konflikt
Dieser These stimmt auch der marokkanische Experte Benhammou zu, der glaubt, dieser Krieg sei "kein traditioneller und kein symmetrischer", er stelle eine Bedrohung für die Region insgesamt dar. Extremisten würden ihn zum Vorwand nehmen, mehr Kämpfer zu rekrutieren, um Terrorangriffe in benachbarten Staaten durchzuführen, wie in Algerien geschehen.
Unterdessen erwartet der algerische Experte Jaffal, dass sich die Konfrontation zwischen den französischen Truppen und den bewaffneten Bewegungen in die Länge ziehen und "von einer direkten Konfrontation in einen Guerillakrieg übergehen wird. Die Auswirkungen davon kündigen sich bereits an, auch wenn die Aktion von In Amenas sehr spezifisch und tollkühn war, und von niemandem in einem solchen Ausmaß erwartet worden wäre."
Nach Überzeugung des französischen Experten Guidère werde das, was in Mali vor sich gehe, Auswirkungen auf den Westsahara-Konflikt haben. "Dieses Problem ist auch nach wie vor heikel, doch ist nun Bewegung in die Position der Sahrawis gekommen: Anfangs hatten diese, als der nördliche Teil Malis, der sogenannte Azawad, seine Unabhängigkeit erklärte, noch gehofft, bald denselben Weg beschreiten zu können, zumal die internationale Gemeinschaft sich abwartend verhielt. Doch die jüngsten Entwicklungen haben ihre Unabhängigkeitsbestrebungen zunächst einmal über den Haufen geworfen."
Guidère fügt hinzu, zwischen Sahrawis und Tuareg sei – aufgrund einer ähnlichen Ausgangslage und ähnlichen Zielen – eine Annäherung und ein enger Austausch zu beobachten. Frankreich hingegen lehne die Errichtung einer Republik Westsahara ab, so wie es auch gegen die Ausrufung eines Tuareg-Staates sei. Das bringe Algerien in eine schwierige Position.
In diesem Zusammenhang erklärt Guidère: "Ich glaube nicht, dass dies zu einer Öffnung der Grenzen zwischen den beiden Ländern führen wird, aber doch zumindest zu einer Vereinbarung, welche die Errichtung jedweder neuer Staaten in der Sahel-Zone für nicht unterstützungswürdig erklärt."
Algerien werde möglicherweise seine Unterstützung für die Sahrawis in der marokkanischen Westsahara einstellen, sobald es sich durch die Tuareg bedroht fühle. "Wenn diese Gruppen komplett aus Mali vertrieben werden sollten, werden sie zuallererst in der Sahara Zuflucht suchen. In einem solchen Fall wird sich Algerien mit derselben Situation wie in Mali oder womöglich Schlimmerem konfrontiert sehen."
Ammar Jaffal hingegen teilt solche Einschätzungen nicht und meint dazu: "Ich glaube, die Sahara-Frage ist schon alt und steht in keinem Zusammenhang mit dem, was derzeit geschieht. Über sie wird im Rahmen der Vereinten Nationen verhandelt, ihre Konfliktparteien sind bekannt. In Mali jedoch haben wir es mit einer Bitte seitens der Regierung um eine Intervention von außen zu tun."
Und weiter führt der algerische Experte aus: "Bis jetzt konnte nicht nachgewiesen werden, dass die Sahrawis mit den Tuareg im Norden Malis in Verbindung stehen. Ich würde eher sagen, letztere sind schon seit einiger Zeit mit al-Qaida und den aufständischen Bewegungen im Süden verquickt."
Siham Ouchtou
© Qantara.de 2013
Übersetzung aus dem Arabischen von Rafael Sanchez
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de