Hoffnung auf eine echte Revolution
Die echte Revolution wird kommen. Sie muss und sie wird es auch. Ägypten hat genug von seinen autokratischen Patriarchaten. Die Fundamente wackeln bereits. Die Welle der entschiedenen Ablehnung der Autokratie in all ihren Formen, wie sie vor zwei Jahren ihren Anfang nahm, ebbt nicht ab. Mit jedem Versuch, sie einzudämmen, wird sie noch stärker; so verhält es sich mit der Physik der Revolution.
Die Revolution, die am 25. Januar 2011 ihren Anfang nahm, stellt die umfangreichste Politisierung in der Geschichte Ägyptens dar. Auch wenn ihr kurzfristiges Ziel darin bestand, einen korrupten Autokraten zum Rücktritt zu zwingen, gab es doch von Beginn an das weiter gehende Ziel, die Maschinerie des despotischen Autoritarismus zu zerstören, von der die Politik, die Wirtschaft und die Gesellschaft im Würgegriff gehalten werden und schließlich den Plan, das Land als eine Demokratie wiederaufzubauen, die diesen Namen tatsächlich verdient.
Der Tahrir-Platz als Drehscheibe der Revolution
Patriarchale Tyranneien, wie sie Ägypten erlebt hat – und das in einer ihrer letzten Erscheinungsformen – müssen in all ihren Schattierungen beseitigt werden.
Die Macht des Herrschers über die Beherrschten, einer Klasse über andere, einer Gruppe über andere (gleich, ob religiös, zivil, ethnisch oder in Form von Rassendiskriminierung), älterer über jüngere, Männer über Frauen – alle diese Erscheinungen bilden einen Teil des genau austarierten Systems von Macht und Kontrolle, das wir Patriarchat nennen. Das Erkennen dieses Systems und das klare Benennen desselben ist der erste Schritt zu dessen Überwindung
Als sich das Land vor zwei Jahren erhob, wurde der Tahrir-Platz zu einer Drehscheibe der Revolution: Frauen und Männer, Junge und Alte, Muslime und Christen, Arme und Reiche – alle waren sie versammelt, trugen Schilder, Banner und Fahnen, Kopftücher und bemalte Gesichter und überall waren die Worte und Symbole der Revolte zu sehen.
Während dieser inzwischen legendären 18 Tage erlebten die Ägypter eine nie zuvor gesehene – und uneingeschränkte – nationale Einheit, als es nämlich darum ging, den patriarchalen Diktator loszuwerden.
In der Folge, als die Mission erfolgreich beendet war, traten die Oligarchen auf den Plan und sorgten mit allen Symbolen militärischer Autorität dafür, dass die nationale Revolution entpolitisiert wurde – sei es durch Überredung, sei es durch Gewalt – und dazu gebracht, wieder zur "Normalität" zurückzukehren. Im Namen der persönlichen und wirtschaftlichen Sicherheit verlangten die militärischen Patriarchen, der "Oberste Rat der Streitkräfte" (SCAF), von den Menschen, einfach nach Hause zu gehen, als sei die Revolution beendet.
Um sich als neue starke Macht im politischen System des Landes zu etablieren, musste der Oberste Militärrat zunächst die Revolution auflösen, indem die Revolutionäre gegeneinander aufgebracht und ausgespielt wurden. Denn zuvor waren diese vereint – durch ihre leidenschaftliche Hingabe und ihre Vision eines gewandelten Ägyptens, frei von Unterwerfung und Unterdrückung.
Die Revolution ist auf die Frauen angewiesen
Ein frühes Zeichen für diese schleichende Entwicklung hin zur Autokratie war zweifelsohne das Drängen des Rates die Verfassunggebende Versammlung zu bilden, die sich vor allem durch ihre erzkonservative Ausrichtung und Abwesenheit jeglicher Frauen auszeichnete.
Am 9. März, als die Frauen aus Anlass des Internationalen Frauentags vom Tahrir-Platz aufbrachen, um in einer eindrucksvollen Demonstration ihren Einsatz für die Ideen der Revolution unter Beweis zu stellen, wurden sie verbal, körperlich und sexuell angegriffen – und dies durch ganz offensichtlich zu diesem Zweck angeheuerte Schlägertrupps.
Als sich dann auch Soldaten einmischten, die die protestierenden Frauen aufgriffen, um sie einer Prüfung ihrer Jungfräulichkeit zu unterziehen, wurde nicht nur die Komplizenschaft des Militärs offenbar, sondern auch, dass erkannt wurde, welche zentrale Rolle den Frauen für den Erfolg der Revolution beigemessen wurde.
Als mächtige revolutionäre Kraft mussten Frauen aus der öffentlichen politischen Arena entfernt werden. In den Augen der neuen, uniformierten Patriarchen sollten die Frauen in ihre Schranken verwiesen werden. Doch körperliche und sexuelle Einschüchterungsversuche, um die Frauen klein zu halten und die Revolution zu ersticken, haben letztlich nicht funktioniert. Junge Frauen stellen sich Seite an Seite mit den Männern den Angreifern wirksam entgegen und denken nicht daran, aufzugeben.
Islamismus und patriarchale Kontrolle
Als die Islamisten an die Macht kamen, trat eine neue Art patriarchaler Kontrolle in den Vordergrund, mit ihren eigenen Methoden der Behinderung von Frauen und einer neuen Taktik bei der Bekämpfung der Revolution. Zu ihrer Trumpfkarte wurden die rechtliche und religiöse Kontrolle, wobei die Grenzen zwischen beiden oft verschwimmen.
Die neue Verfassung, der nur 60 Prozent der überschaubaren Anzahl der Wähler ihre Stimmen gaben, billigt dem Präsident eine größere Macht zu und stärkt die Rolle der Religion. Zugleich wird das Gebot noch einmal gestärkt, dass alle Gesetze im Einklang mit der Scharia, dem islamischen Recht, stehen müssen.
Indem sie es unterlässt, den Frauen gleiche Rechte zuzubilligen, öffnet die Verfassung dem Rückschritt alle Türen. "Die Frau" wird von der Verfassung einzig im Kontext der "authentischen ägyptischen Familie" gesehen und so wird von ihr verlangt, ihre familiären Pflichten mit ihrer Rolle in der Gesellschaft in Übereinstimmung zu bringen. Männer werden als Familienoberhäupter angesehen, wobei deren oft vorhandenen Schwierigkeiten, eine solche Verantwortung mit ihren gesellschaftlichen Rollen zu vereinbaren, nicht erwähnt werden.
Das patriarchale Modell der Familie stützt die Struktur des patriarchalen Staates. Wir könnten auch fragen, was eigentlich genau die "authentische ägyptische Familie" ist. Ist es eine der zahlreichen von einer Frau geführten Haushalte? Oder eine der bäuerlichen Familien, in denen beide Ehepartner sich die Arbeit teilen müssen, um sich über Wasser halten zu können? Oder eine wohlhabende Familie aus der Stadt, in der die Frauen von ihren reichen Männern "unterstützt und geschützt" werden? Oder geht es gar um die Familien der Mittelklasse, in denen Frau wie Mann Karriere machen?
Die Revolution, basierend auf der Überzeugung von der Gleichheit aller Bürger, befindet sich im offenen Konflikt mit den Regimen sowohl des patriarchalen Staates wie dem der Familie. Der islamistisch geführte Staat ist gegen die Revolution und die Revolutionäre, die sich einer egalitären Ordnung als integralen Bestandteil sozialer und ökonomischer Gerechtigkeit verschrieben haben.
Die Revolution wird verschoben
Mittlerweile gibt es jedoch auch Säkulare, die sich selbst als Liberale sehen, und doch patriarchale Haltungen gegenüber Frauen zu pflegen scheinen. So etwa, wenn sie es ablehnen, sich öffentlich zu vollen und gleichen Rechten von Frauen zu bekennen, zum Beispiel, indem Frauen ans Ende der Wahllisten gesetzt werden. All dies blockiert die Vollendung der Revolution.
Wenn die Unterdrückung von Menschen, basierend auf einer bestimmten sozialen Kategorie anerkannt wird, dann fördert dies die Unterdrückung auch von Menschen auf der Basis jeglicher sozialer Klassifizierung. Die jungen Revolutionäre und die Frauen, beide am unteren Ende der patriarchalen Sozialstruktur, erleben diese Ungleichheiten am stärksten.
Die jungen Männer und Frauen, die sich an die Spitze der Revolution gesetzt haben und dabei ihr Leben riskieren, wissen, dass eine halbe Revolution gar keine Revolution ist. Diese Revolutionäre werden es nicht zulassen, dass die Religion missbraucht wird, um sich dem Projekt der sozialen Transformation in den Weg zu stellen.
Die jungen Revolutionäre wissen sehr gut, dass, solange das Patriarchat in all seinen Schattierungen die Oberhand behält, die Revolution verschoben werden muss. Aber die Zeit ist auf ihrer Seite. Und hierin liegt, zwei Jahre nach dem Beginn des Aufstands, die Hoffnung auf eine echte Revolution.
Margot Badran
© Qantara.de 2013
Margot Badran ist Historikerin und Expertin für Feminismus, spezialisiert auf den Nahen Osten und die arabische Welt. Sie ist Forscherin am "Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington". Ihr jüngstes Buch trägt den Titel "Feminism in Islam: Secular and Religious Convergence".
Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de