Palästinas Frauenschattenräte
In der konservativen, patriarchalischen Gesellschaft Palästinas gibt es noch immer viele Männer, die es ablehnen, dass Frauen am politischen Leben teilhaben und Entscheidungspositionen übernehmen. Sie sind der Meinung, dass Frauen sich auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter konzentrieren sollten. Häufig übertragen die männlichen Gemeinderäte ihren Kolleginnen nur Aufgaben, die sie als "frauengeeignet" betrachten. Viele Ratssitzungen finden zu Zeiten statt, die für Frauen unpassend sind, etwa in den Abendstunden, wenn von Frauen erwartet wird, dass sie sich zu Hause aufhalten. Die männlichen Kollegen versuchen zudem, die Gemeinderätinnen aus den Entscheidungsprozessen auszuschließen und ihre Rolle zu minimieren. Damit sind viele palästinensische Frauen nicht einverstanden.
Um die Gemeinderätinnen bei ihrem kommunalpolitischen Engagement zu stärken, kam die Palestinian Working Woman Society for Development (PWWSD) in Ramallah im Westjordanland auf die Idee, den gewählten Vertreterinnen Frauenschattenräte zur Seite zu stellen. Diese sollen die Frauen bei ihrer Arbeit mit Rat und Tat unterstützen und so an die kommunalpolitische Arbeit heranführen.
Mehr Frauenbeteiligung
Seit Sommer 2011 führt die Frauenorganisation nun dieses Projekt mit finanzieller Unterstützung der Theodor-Springmann-Stiftung in ausgewählten Dörfern des Westjordanlandes durch. Die Frauen haben das Konzept mit Begeisterung aufgenommen und es bildeten sich innerhalb kurzer Zeit 15 Frauenschattenräte. Mittlerweile gibt es auch Unterstützungsanfragen aus anderen Gemeinden der Westbank und sogar aus Jordanien. So ist in diesem Jahr die Bildung von 20 weiteren Schattenräten in insgesamt sechs Regierungsbezirken geplant. Frauenschattenräte bringen Genderfragen und Frauenbedürfnisse in die Arbeit der Gemeinderäte ein, versuchen, die Beteiligung von Frauen in den Entscheidungsprozessen sicherzustellen und die sozialen und politischen Beziehungen zwischen Frauen und ihren Gemeinden zu fördern.
Außerdem geht es darum, die Zahl der Frauen, die am politischen und sozialen Leben in den Kommunen teilnehmen, zu vergrößern. Frauen sollen durch dieses Gremium und dessen Aktivitäten ermutigt und motiviert werden, sich am kommunalen Entscheidungsprozess zu beteiligen, sich für ihre Anliegen einzusetzen und die Gesellschaft im Sinne der Berücksichtigung der Bedürfnisse der Frauen zu beeinflussen. Bei den Frauen soll das Bewusstsein für ihre politischen Rechte vergrößert werden.
Damit sie diese Aufgaben kompetent wahrnehmen können, unterstützt PWWSD die Schattenrätinnen durch Qualifizierungskurse etwa zum Thema Verhandlungsgeschick und Überzeugungskraft, Kommunikationsfähigkeit, Teamwork, kommunale Gesetzgebung, Leadership-Training oder Bedarfsanalysen.
Jeder kommunale Schattenrat besteht aus fünf bis neun Frauen, die entweder von den Frauen der Kommune gewählt oder bestimmt werden. Ein- bis zweimal im Monat finden Sitzungen der Frauenschattenräte statt, bei Bedarf auch öfter, häufig im Gebäude der Kommunalverwaltung oder einer lokalen Frauenorganisation. Auch die gewählten Vertreterinnen der Gemeinderäte nehmen an diesen Sitzungen teil und erhalten die gleichen Qualifizierungen wie die ihnen zur Seite gestellten Frauenschattenräte.
Lösung von Problemen
In vielen Gemeinden nimmt der Frauenschattenrat gleichberechtigt an den Sitzungen des Gemeinderates teil. Er stimmt nur nicht mit ab. Er berät den Gemeinderat bei dessen Arbei,t insbesondere in Bezug auf die Bedürfnisse der Frauen in den Kommunen. Die Mitglieder des Gemeinde- und des Schattenrates arbeiten häufig gemeinsam an der Lösung von Problemen wie Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung und Straßenbeleuchtung.
Um ihre Bedürfnisse zu ermitteln, stehen die Schattenräte in engem Austausch mit den Frauen der Gemeinde sowie mit lokalen Fraueninitiativen und -organisationen und auch Schulen. Sie suchen den Kontakt zu den lokalen Medien und zu politischen Entscheidungsträgern, um sie für Frauenthemen zu sensibilisieren. Die Wünsche der Frauen bringen sie dann in die Gemeinderatssitzungen ein.
Um Ammar, Mitglied des Schattenrats in Beitunia, einem Ort am Stadtrand von Ramallah, beschreibt ihre Erfahrung als "wunderbar" und "einzigartig". Der Schattenrat von Beitunia organisiert Besuche zwischen den Gemeinderatsmitgliedern und Frauenorganisationen im Ort, um Barrieren zwischen beiden zu überwinden.
Yasmin Hajiji vom Schattenrat in Qarawa Bani Zaid im Regierungsbezirk Ramallah erklärt, dass ihr Gremium mit den Gemeinderatsmitgliedern zusammenarbeitet, um Lösungen etwa für den Wassermangel und das Müllproblem im Ort zu finden. Es gibt auch schon Erfolge vorzuweisen: In Qarawa Bani Zaid wurde ein neues Wassernetzwerk installiert und neue Müllbehälter aufgestellt. Der Schattenrat sammelte dafür zusammen mit dem Gemeinderat Spendengelder von lokalen Organisationen. Die Gremien erreichten außerdem eine Verbesserung der Situation in den Schulen des Dorfes. Die Zahl der Klassenräume wurde erhöht und einige Schulhöfe erneuert.
Die schwierige Finanzlage in den palästinensischen Kommunen schränkt die Arbeit der Frauenschattenräte allerdings ein. Es gibt aber auch Dinge, die ohne viel Geld realisiert werden konnten. Beispiele sind der Bau eines Kinderspielplatzes und eines Gartens in Ni’lin im Regierungsbezirk Ramallah und die Pflanzung von Bäumen in Till, nachdem israelische Siedler dort Bäume zerstört und verbrannt hatten. Außerdem besuchten Frauen in Till eine Schulung über Lebensmittelverarbeitung und Verbesserung der Baumernte und lernten, wie man Sämlinge herstellt und verschiedene Baumsorten veredelt.
Der Schattenrat in Ni'lin organisierte auch Schulungen für Frauen im Bereich Schneiderei, Friseurhandwerk und Computernutzung. Daneben bietet er Kurse über Frauenrechte an, um das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken und ihr Engagement in der Gesellschaft zu fördern. Der Frauenschattenrat erreichte außerdem, dass die Gemeinderatssitzungen nun tagsüber stattfinden, was die Teilnahme von Frauen erleichtert. Darüber hinaus konnte er durchsetzen, dass der Gemeinderat sie jetzt regelmäßig über seine Projekte und Pläne informiert.
Mehr Austausch
Um die Arbeit der Schattenräte weiter zu verbessern, werden nun zwei politische Foren eingerichtet: Ein Forum im Regierungsbezirk Ramallah für die Mitte und den Süden und eines in Nablus für den Norden des Westjordanlandes. Die zwei Foren sollen alle Schattenratsmitglieder des jeweiligen Bezirks zusammenbringen. Sie können dort Fragen und Probleme diskutieren, Lösungen finden, gemeinsame Aktivitäten durchführen und Erfahrungen austauschen.
Außerdem sollen die beiden Foren eine weitere Funktion erfüllen: Sie sollen den Frauen eine Stimme in der Gesellschaft und auf politischer Ebene verleihen sowie ihre bürgerliche und politische Beteiligung fördern. Dies ist besonders wichtig, da diese Frauen als Schattenrätinnen an Entscheidungsprozessen in den Gemeinderatssitzungen beteiligt sind und an politischen Workshops und Konferenzen teilnehmen.
Die Schattenräte haben bereits viel im Bewusstsein der Bevölkerung verändert. Sie ermutigen junge Frauen, in der Gemeinde, aber auch auf nationaler Ebene aktiv zu werden, und animieren ihre Mitglieder, bei künftigen Kommunal- und Parlamentswahlen zu kandidieren. Obwohl die Vorsitzenden der Gemeinderäte die Idee der Schattenräte anfangs nur sehr zurückhaltend akzeptierten, unterstützen mittlerweile viele das Konzept. Einige sprechen sich nun sogar für eine Ausweitung aus.
Die Frauenschattenräte sind ein guter Weg, den Palästinenserinnen zu mehr Selbstbestimmung zu verhelfen. Es bestehen zwar immer noch etablierte Strukturen, in denen die Familien- oder Parteizugehörigkeit mehr zählen als Kompetenz und Qualifikationen. Aber Frauen beteiligen sich nun in verstärktem Maße am kommunalpolitischen Entscheidungsprozess und an der Entwicklung der Kommune, was zur Demokratisierung der Gesellschaft führt. Die stärkere Einbeziehung von Frauen bedeutet eine nachhaltige Entwicklung für Palästina.
Reham Alhelsi & Petra Schöning
© Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 2014
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Reham Alhelsi ist Regionalplanerin und arbeitet als Programm-Managerin bei Palestinian Working Woman Society for Development (PWWSD). Petra Schöning ist Beraterin, Trainerin und Projektmanagerin im und zum Nahen Osten.