Emanzipation im Rennanzug
Nur Dahud liebt den Klang ihres Motors. Die 22-Jährige öffnet die Motorhaube ihres aufgemotzten BMWs und tritt im Leerlauf aufs Gaspedal – so hört man am besten, was der Wagen drauf hat. "Ein 320i, mit einem Dreilitermotor, der hat echt Power", sagt sie. "Ich wollte ihn eigentlich umrüsten, auf Handschaltung statt Automatik – aber alle meine Freunde haben gesagt: Tu das nicht. So wie Du fährst, wird er dich umbringen."
Nur Dahud ist eine der "Speed Sisters" von Ramallah. Acht Frauen – Muslimas und Christinnen im Alter von 19 bis 38 – haben sich zum ersten Rennfahrerinnenverband in der Geschichte Palästinas zusammengeschlossen. Sie sind die offizielle Mannschaft ihres Landes. Die Rennen finden auf der ganzen Westbank statt – in Bethlehem, Ramallah, Jenin –, aber auch in Jordanien und Ägypten. Und nicht selten schneiden sie besser ab, als ihre männlichen Kollegen.
Als Trainingsgelände dient ein Parkplatz am Stadtrand von Ramallah, direkt an der Mauer, mit der die Palästinensergebiete abgetrennt worden sind, in unmittelbarer Nähe eines israelischen Checkpoints. Für Palästinenser aus der Westbank ohne Sondergenehmigung ist hier die Welt zu Ende.
Applaus von israelischen Wachsoldaten
Die israelischen Soldaten, die mit ihren Sturmgewehren am Checkpoint stehen, mögen die Speed Sisters, weil ihre Trainingseinheiten ihren öden Dienst verkürzen. Manchmal applaudieren sie von ihrem Wachturm aus.
Eines der wichtigsten Fahrmanöver, das hier trainiert wird, ist der so genannte "Doughnut": Die Fahrerin beschleunigt den BMW auf knapp 100 km/h, geht dann abrupt in die Kurve und zieht die Handbremse – der Wagen schleudert um die eigene Achse. Es quietscht, die Reifenspuren auf dem grauen Asphalt haben die Form eines schwarzen Doughnuts. Jeder Schleudergang kostet kräftig Gummi. Das größte Problem der Speed Sisters im Westjordanland ist deshalb der Nachschub.
"Jedes Mal, wenn Du richtig schleuderst, brauchst du danach neue Reifen", sagt Nur Dahud. "Alle Teile müssen entweder aus Deutschland hergebracht werden, oder aus den USA oder Jordanien. Und die Israelis erlauben nicht immer automatisch, dass sie für uns Palästinenser eingeführt werden dürfen."
Trainingseinheiten auf der israelischen Autobahn
Grenzformalitäten sind jedoch nicht die einzigen Hindernisse, mit denen die Frauen zu kämpfen haben. Wegen der vielen Checkpoints im Westjordanland gibt es kaum Strecken, auf denen sich richtig trainieren können. Nur Dahud allerdings hat als arabische Bewohnerin Ostjerusalems das Privileg, ins israelische Kernland zu fahren dürfen. Dort, auf der Autobahn zwischen Jerusalem und Tel Aviv, kann sie ihren Wagen richtig ausfahren.
"Einmal wollte mich die israelische Polizei dafür ins Gefängnis stecken. Ich war auf der Autobahn, in Tel Aviv. Ich glaube, ich bin über 190 Kilometer pro Stunde gefahren. Normalerweise erwischen sie mich nicht, aber dann war Stau, und ich musste bremsen. Als ich dem Polizisten, der mich angehalten hat, dann meine Renn-Karte gezeigt habe, hat er mich gehen lassen, okay, hat er gesagt, aber trainier bitte nicht hier.
Auf israelischen Autobahnen gilt ein Tempolimit von 110 Stundenkilometern.
Die jüngste der Fahrerinnen ist Marah Sahalka, 19 Jahre alt. Sie stammt aus Jenin, im Norden des Westjordanlandes und studiert Betriebswirtschaftslehre an der Birzeit University. Um nach Ramallah zu fahren, muss sie für die Strecke von 63 Kilometern mindestens zwei Stunden einrechnen – wegen der Checkpoints.
"Ich liebe Autos", sagt sie. "Seit ich ein kleines Mädchen bin, fahre ich. Meine Mutter unterstützt das. Sie ist Fahrlehrerin. Eines Tages wurde ich entdeckt, von einem der Organisatoren der Rennen, der sagte: Mach doch einfach mit bei einer Rallye."
Marah wartet auf die Einfuhrerlaubnis für einen Golf GTI aus Deutschland – bezahlt von ihrem Sponsor, einem Unternehmer aus dem Westjordanland. Bis der Wagen da ist, fährt sie ihre Rennen mit dem Golf, mit dem ihre Mutter, Arab Sahalka, in Jenin Fahrschüler ausbildet. "Marah ist für diesen Sport geboren", sagt sie. "Ich habe sie immer unterstützt, sogar bevor ihr Vater das getan hat. Sie fährt, seit sie zehn Jahre alt ist."
Konkurrenz mit und Zuspruch von den Männern
Im konservativen Jenin hat es mancher am Anfang nicht gern gesehen, dass Mädchen professionell Autorennen fahren – in hautengem Rennanzug und mit Helm. Aber als Marah anfing, Pokale zu holen, hat das aufgehört. Heute wird sie von allen unterstützt, sagt sie.
Wenn die Rennfahrerinnen sich messen wollen, tun sie das normalerweise im Speed-Test. Ein Parcours mit Hindernissen, der abgefahren werden muss – dies ist die besondere Spezialität von Betty Sa'adi, 30 Jahre alt, aus Bethlehem. Wochentags, wenn sie keinen Rennen fährt, arbeitet sie als Angestellte in einem der Konsulate in Ramallah.
"Meine Fingernägel brechen ab, wenn ich Rennen fahre", sagt sie lachend. "Vor dem letzten Speed-Test habe ich meine Nägel machen lassen, zwei sind abgebrochen. Aber besser, Du brichst deine Nägel als deine Knochen, hat meine Mutter gesagt."
Betty stammt aus einer Rennfahrerfamilie: Ihr Vater war Rally-Champion in Mexiko, ihr Bruder der Gewinner 2009 Autocross-Championships im Westjordanland. Mittlerweile besitzt ihr Vater in Bethlehem eine Shopping Mall – er ist ihr wichtigster Sponsor. 30.000 US-Dollar hat ihr Wagen gekostet – weshalb der Vater deprimiert war, als Betty beim letzten Speed-Test nur den zweiten Platz belegen konnte. 1 Minute 15 hatte sie für den Parcours gebraucht, fünf Sekunden mehr als der Sieger, ein junger Mann aus Ramallah. Künstlerpech.
"Wenn wir gut sind, besser als die Jungs, dann werden einige von denen neidisch, insbesondere die, die wir schlagen. Aber die anderen wollen uns dabei haben. Die finden, ohne Mädchen ist das Rennen langweilig."
Suna Aweidah, die seit mehr als sechs Jahren Autorennen fährt, sagt, dass es für palästinensische Frauen nicht mehr so schwer ist wie früher, selbstbestimmt ihren Interessen nachzugehen.
Die junge Frau, die beruflich für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge arbeitet, sieht in der Akzeptanz für die Speed Sisters ein Anzeichen dafür, dass die Palästinensische Gesellschaft zum Positiven wandelt – u und nicht im Sport, sondern im Leben allgemein. "Palästinensische Frauen sind immer mehr in der Lage, beweisen zu können, welche Fähigkeiten sie haben."
Andreas Baum
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de