Unbekannte Heldinnen
Fünf Jahre alt war Golineh Atai, als sie 1980 mit ihrer Familie den Iran verlassen musste. Doch ist das Schicksal des Landes für die Fernsehjournalistin und derzeitige Leiterin des ZDF-Studios in Kairo offenbar ein Herzensthema.
Gleich zu Beginn des Buches betont Atai, das Schlimmste am Iran sei gar nicht einmal die Realität. Die Tatsache, dass den Menschen seit über vier Jahrzehnten aus nichtigen Gründen Folter, Haft und Tod drohen. Das wirklich Schlimmste ist, dass "so wenig bis nichts von dem, was im Iran täglich passiert, es in die westliche Öffentlichkeit schafft“. Diese Kluft zwischen der Wucht der Ereignisse und den fehlenden Schlagzeilen laste bleiern auf den Menschen, insbesondere den Frauen. Es gibt ihnen ein Gefühl, mit ihrer tragischen Situation allein zu sein.
Immer wieder hätten ihre Gesprächspartnerinnen geschildert, iranische Menschenleben seien wohl nichts wert. Anders können sie sich das Desinteresse der westlichen Öffentlichkeit nicht erklären. Atai will den unsichtbaren Heldinnen des Iran eine Stimme verleihen.
Sie hat zwischen Herbst 2020 und Sommer 2021 Interviews mit Frauen geführt, die teilweise im Land, teilweise im Exil leben, in der Türkei, Belgien, Slowenien, Kanada oder den USA und die alle durch ihren – ganz unterschiedlichen Kampf zu Vorbildern geworden sind. Es sind unglaublich mutige Frauen, die für ihre Haltung einen hohen Preis gezahlt haben – und von denen man eigentlich nie etwas hört.
Eine Stimme für die unsichtbaren Heldinnen des Iran
Feindschaft gegen Frauen gehört zu den politischen Grundpfeilern des politischen Systems im Iran. Offensichtlich hätten die Machthaber mehr Angst vor den Frauen als vor ihren ideologischen Gegnern, schreibt Atai.
Nachdem Ayatollah Chomeini 1979 aus seinem Pariser Exil nach Teheran gekommen war, schaffte er nur 15 Tage später die unter dem Schah reformierte, fortschrittliche Gesetzgebung zum Ehe- und Scheidungsrecht ab.
Männer bekamen wieder das Recht, vier Frauen zu heiraten und sich, im Gegensatz zu den Frauen, nach Belieben scheiden zu lassen. Bildungsministerin Farrochru Parsa, die erste Frau in einer Regierungsposition wurde hingerichtet, weil sie eine Vertreterin des Schah-Regimes war.
Atais Mutter war damals unter den Frauen, die vergeblich gegen die Einschränkungen der neuen Machthaber demonstrierten. Es war ein letztes Aufbäumen gegen die Einführung der Islamischen Republik.
Doch der Widerstand gegen diese Unterdrückung geht weiter und er nimmt ganz unterschiedliche Formen an. Es sind die persönlichen Schilderungen Atais und die Biografien der vorgestellten Frauen, die das Buch so besonders machen und von anderen "Inside-Iran“-Geschichten unterscheiden.
Nur aufgrund ihrer Biografie und ihrer langjährigen Kontakte war diese Auswahl überhaupt möglich.
Es sind Geschichten von einer unbeugsamem Widerständigkeit und der Suche nach Würde. Atai ist sehr nah dran an den Erlebnissen ihre Gesprächspartnerinnen, sie teilt ihren Schmerz darüber, dass eine Veränderung im Rahmen des Systems der Islamischen Republik offenbar nicht möglich ist.
Alle haben das im Laufe ihrer Biografie erfahren müssen, ziehen aber unterschiedliche Schlüsse aus dieser Erkenntnis.
Das Buch ist Frauen gewidmet, deren Stimmen nie gehört wurden
Da ist etwa Shiva Nazar Ahari, die 2005 während der auslaufenden Amtszeit von Präsident Chatami die Eine-Million-Unterschriften-Kampagne mit lanciert hat, eine Initiative, um die breite Öffentlichkeit über den rechtlichen Status von Frauen aufzuklären und mit Hilfe von Unterschriften eine Petition zur Änderung frauenfeindlicher Gesetze auf den Weg zu bringen.
Wegen ihres Engagements wurde Shiva zweimal inhaftiert und ging danach zermürbt ins Exil nach Slowenien. Oder Atena Daemi, die sich gegen die Todesstrafe einsetzte. Iran ist nach China das Land mit den meisten Hinrichtungen weltweit.
Während der Proteste von 2009 half sie den Familien der Gefangenen und Getöteten, nahm an einer Kampagne von Aktivisten gegen die Todesstrafe teil, protestierte vor Gefängnissen, bis auch sie verhaftet und zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, nachdem sie sich geweigert hatte "Reue“ zu zeigen. Im Gefängnis trat sie wegen der schlimmen Haftbedingungen in einen Hungerstreik.
Oder die Journalistin Sahra Rusta, die in der Grenzregion zu Pakistan und Afghanistan arbeitet und das Leben der Menschen in dieser am wenigsten entwickelten Region des Landes dokumentiert. Die Provinz Sistan-Belutschistan ist vom Klimawandel besonders hart betroffen. Dürre, Wassermangel und Armut prägen diese Region, in der die Menschen als sunnitische Belutschen zu einer Minderheit gehören.
Die Journalistin wurde von den Revolutionsgarden unter Druck gesetzt, ihre Berichte über die Benachteiligung von Minderheiten, die keine gültigen Papiere haben, als "emotional“ und von "weiblichen Gefühlen“ geprägt zu widerrufen. Rusta unterschreibt ihren Widerruf, sie will – vorerst zumindest – im Iran bleiben.
Eine andere Heldin ist die Angestellte Asam Dschangrawi, die in der Revolutionsstraße in Teheran auf einen Verteilerkasten gestiegen ist und für 40 Minuten ihre Haare entblößt hat. Sie wurde für viele Iranerinnen zu einem Vorbild. Für diesen zentralen Moment in ihrem Leben nahm Asam Misshandlung und endlose Verhöre in Kauf und verlor das Sorgerecht für ihre Tochter. Kurz bevor das Mädchen an ihren Ex-Mann übergeben werden sollte, gelang ihr die Flucht in die Türkei. Mit ihrem Kind.
In allen Berichten schwingt die Frage mit, ob es Sinn macht zu bleiben oder ob man besser gehen soll. Atai bewertet die unterschiedlichen Entscheidungen der Frauen nicht, sie begegnet ihren Figuren mit viel Empathie und fühlt sich in ihre jeweiligen Lebensumstände ein.
Angst des Regimes in Teheran vor den Frauen
Man fragt sich beim Lesen unwillkürlich, warum die Machthaber sich dermaßen vor den Frauen fürchten. "Der Islam“ ist jedenfalls nicht die Ursache, denn er wird immer wieder anders ausgelegt, wie Atai betont. Eine der Interviewten, Fatemeh Sepehri, die Tochter eines Geistlichen, die sich ihr Recht auf Bildung mühsam erstritten hat und später eine international bekannte Frauenrechtsaktivistin wurde, gibt eine Antwort: Frauen seien stärker als die Männer.
Die Herrschenden hätten das genau verstanden und würden sie deshalb unterdrücken. Über 500 Frauenrechtlerinnen säßen im Moment im Gefängnis. So ist der Kampf für ein besseres System untrennbar mit dem Kampf der iranischen Frauen um Gleichberechtigung verbunden.
Im Westen allerdings will man von ihren Schicksalen nicht viel wissen. Über die Menschenrechtsverletzungen an Iranerinnen (und Iranern) wird nur wenig berichtet. Ihre Schicksale bleiben, wenn sie es überhaupt in die Nachrichten schaffen, dürre Meldungen, ohne dass die Menschen dahinter sichtbar werden.
Das hat auch damit zu tun, dass man denjenigen Kreisen – wie etwa den Republikanern in den USA - die einen harten Kurs gegenüber Iran verfolgen, keine weiteren Vorwände für ihre Politik liefern wolle.
Doch für Atai kann es keine Lösung sein, aus politischer Opportunität über diese Menschenrechtsverletzungen zu schweigen. Und noch auf eine weitere Lebenslüge des Westens geht die Autorin immer wieder ein. Wer auf die sog. Reformer im Iran setzt, der hofft vergeblich auf einen grundlegenden Wandel.
Denn die Reformer hätten ihre Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung längst verspielt. Sie seien „Linke, die aus den Rippen der Islamischen Republik geschnitzt wurden“, zitiert Atai einen iranischen Exiljournalisten, aber keine echte Alternative zum Regime.
Golineh Atai hat ein sehr persönliches und ein eindringliches Buch geschrieben, das einen seltenen Einblick in die iranische Gesellschaft und ihre widerständigen Frauen gibt.
© Qantara.de 2022
Golineh Atai, Iran. Die Freiheit ist weiblich, Rowohlt Verlag Berlin 2021